Meines Wissen ist es nicht so einfach, an Ferngläsern vernünftige MTF-Kurven zu messen. Und mindestens genauso schwierig ist es, sie zu interpretieren. Ferngläser als afokale Systeme liefern ja kein reelles Bild am "Ausgang". Man kann also nicht einfach einfach wie bei Objektiven das Bild auf einem Film oder einer Sensoroberfläche auffangen und dessen Kontrastübertragung messen. Man muß das durch das Okular beobachtete Zwischenbild im Fernglas zu messen versuchen, was vergleichsweise schlecht geht. Bei Teleskopen lassen sich die Meßbedingungen aufgrund der speziellen Anwendung viel leichter fassen, ein Teleskop muß z.B. nur im unendlichen gut abbilden und hat keinen Umkehrsatz. Die bei Tag beobachtete Welt ist aber (mindestens) dreidimensional, und da die MTF-Kurven meist nur für eine Bezugsebene oder einige wenige auufgezeichnet werden, kann man sich denken, wie vergleichsweise klein der erfasste Ausschnitt der Bildleistung bei einem Fernglas sein dürfte.
Hinzu kommt dass die Interpretation der Kurven für visuelle Tagbeobachtung schwieriger zu beurteilen ist, denn ein Sensor oder Film registrieren das Bildmuster anders, als es das Auge bewertet. Die Kurvenverläufe sind ja nicht nur vom verwendeten Licht, sondern u. a. auch von der Entfernungseinstellung, dem Beobachtungswinkel, dem individuell höchst verschiedenen AP-Längsabstand usw. abhängig, was eine vermeintlich objektive Beurteilung weiter erschweren muss. Schon bei den bekannten MTF-Diagrammen von Foto-Objektiven gibt es keine ganz einfachen und "objektiven" Bewertungskriterien, die einen simplen eindeutigen Qualitätsvergleich erlauben. Auch die dort veröffentlichten Kurven sind immer nur ein winziger Teil der gesamten Abbildungsleistung, von dem keineswegs immer ganz klar ist, wie repräsentativ er eigentlich ist und wie relevant für den vorgesehenen Einsatzzweck.
Praktiker wissen deshalb, dass nicht alles, was sich in einem ganz bestimmten Aspekt oder einigen wenigen Aspekten sehr gut mißt, in der Anwendung ebenfalls gut abschneidet. Denn in der persönlichen Praxis können sich unter den vielen bildbestimmenden Parametern andere Gewichtungen ergeben, als die, die bei dem kleinen gemessenenen Ausschnitt der Abbildungsleistung im Prüflabor vorgenommen wurde. Es gibt etliche Foto-Objektive, die trotz vergleichbar guter Testkurven in der Praxis deutlich verschiedene Resultate liefern. (Darunter auch solche, die statt einer ausgewogenen Gesamtabstimmung raffinierterweise auf die speziellen Testbedinungen hin optimiert wurden, zwecks besserer Verkäuflichkeit. Mit dem Ergebnis, dass sie in der Praxis weit schwächer abschneiden können, als es die Kurven suggerieren.)
Meines Wissens wurde vor gut 15 Jahren bei Leica eine MTF-Anlage für Ferngläser entwickelt, gebaut und auch einige Jahre betrieben. Später hat man diesen Weg jedoch nicht weiter verfolgt. Aufwand und Ergebnis standen wohl in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis, ich nehme an aus Gründen wie den oben genannten. Man tat vielleicht gut daran, die knappen Resourcen eher in eine gute Gesamtauslegung bei der Entwicklung neuer Modelle zu stecken, als eine aufwendige zusätzliche Meßtechnik zu pflegen, von der Anwender kaum profitieren dürften.
Wenn es darum geht, den Kontrast zu maximieren, dürfte es ab einem bestimmten Punkt nicht mehr sinnvoll sein, nur einseitig die Transmision zu verbessern. Zeiss war hier lange führend, und ist es insgesamt betrachtet, wohl immer noch, wenngleich der Abstand sehr klein geworden sein dürfte. Ich habe erfahren, dass bei Leica das Thema Vergütungsschichten bis vor gar nicht langer Zeit zwar Ernst genommen, in der Praxis aber eher aus dem Handgelenk umgesetzt wurde. Inzwischen beschäftigt man neben neuen Anlagen aber auch einen eigenen Vergütungsschichten-Designer. Die Schichten und ihre Wirkungen sind komplex, vielleicht ist ein Teil des "Geheimnisses" hier verborgen. Verborgen vom Zufall oder der historischen Entwicklung, denn ich glaube weniger, dass die speziellen farb oder kontrastverstärkenden Eigenschaften der Leica-Gläser bisher kontrollierte und bekannte Ursachen haben. Vielleicht ändert sich das aber in Zukunft.
Je höher man aber die Transmission treibt, desto eher nähert man sich dem Punkt, an dem der "Schwarzwert" durch zunehmendes Streu- und Falschlicht aufgehellt wird. Jede weitere Transmissionsverbesserung wird dann bezüglich des Kontrastes nicht mehr wirksam, eher im Gegenteil, weil die nicht unterschreitbare Restreflektivität der Fassung mit höherer Transmission zu stärkerer Aufhellung an ungewünschten Stellen und so insgesamt zur visuellen Kontrastabschwächung führen dürfte. Deshalb wäre es eigentlich unabdingbar, dass die Hersteller nicht nur die Vergütung immer weiter zu perfektionieren versuchen, sondern auch die Innenschwärzung endlich deutlich verbessern. Dazu gibt es längst Möglichkeiten, die meiner Meinung nach überhaupt nicht beachtet werden. Meiner subjektiven Einschätzung nach wäre auf diesem Gebiet in Sachen Bildqualität inwzischen sogar weit mehr herauszuholen, als durch weitere Transmissionssteigerung.
Insgesamt gesehen glaube ich, reicht es nicht, nur zu rechnen und zu messen, man müsste immer wieder Versuchsoptiken persönlich visuell testen und vergleichen lassen. Versuch und Irrtum, viel Herumprobieren wäre angesagt. Denn letzlich entscheidet der menschliche Wahrnehmungsapparat was ihm gefällt und beeindruckt. Ob aber zum Herumprobieren Zeit, Geld und Leidenschaft vorhanden sind, ist ähnlich wie in der Wissenschaft von vielen Zufälligkeiten und den Vorgaben der Betriebskaufleute und Personalpolitiker abhängig.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 20.05.09 17:05.