Sie übersehen dreierlei:
1. Ferngläser werden in identischer Ausführung in großer Stückzahl hergestellt. Sie sind also Massenprodukte, die sehr rationell, weil nach einheitlichem Plan zu großem Teil aus halb- oder vollautomatisch gefertigten Teilen gefertigt werden können. Die vom Augenoptiker gelieferten Brillengläser sind dagegen in der Regel echte Individuen. Zwar gibt es auch Fehlsichtige, die nur sphärisch geschliffene Gläser benötigen, doch selbst diese dann auch in Massen vorgefertigten Gläser müssen passend zur ausgesuchten Fassung "zugeschnitten" werden, also in die passende Randform geschliffen, facettiert und eingesetzt werden. Das ist nicht irgendwie zu tun, sondern so, dass die optische Mitte links wie rechts relativ zur Fassung exakt auf gleicher Höhe und exakt symmetrisch im richtigen Abstand der Augenweite des jeweiligen Kunden liegt. Das ist individuelle Handarbeit, die vorher noch eine Messung am Kunden anhand der noch glaslosen Fassung und hinterher eine Überprüfung und Anpassung der Ohrbügel erfordert. Nur nebenbei: Das, was von Nichtfachleuten wie weiter oben in einigen Beiträgen meistens als Gestell oder Brillengestell bezeichnet wird, heißt korrekt Fassung oder Brillenfassung.
Da die meisten Fehlsichtigen auch noch einen Astigmatismusanteil haben, können die meisten Brillengläser nicht rein sphärisch gewölbte Flächen, sondern müssen eine asphärische Form haben. Sie ergibt sich aus der Überlagerung eines sphärischen und eines zylindrischen Anteils. Die Kombination der beiden Anteile kann sehr unterschiedlich sein. Wenn Sie sich nur auf den Bereich von -6 dpt bis +6 dpt und eine Abstufung in 0,25-dpt-Schritten beschränken, haben Sie schon 48 verschiedene rein sphärische Brillengläser. Wenn Sie für den Astigmatismus einen Bereich bis 3 dpt und dieselben 0,25-dpt-Schritte annehmen, haben Sie 12 verschiedene Astigmatismusstärken. Das ergibt dann 48 · 12 = 576 verschiedenen Kombinationen. Brillenglashersteller werden trotz dieser großen Zahl vielleicht die gängigsten 100 Kombinationen in größeren Stückzahlen und daher noch relativ preisgünstig produzieren und vorrätig halten. Trotzdem aber sind diese Gläser schon erheblich teurer, weil eine der beiden Oberflächen asphärisch sein muß und daher viel schwieriger und nicht auf den einfachen Linsenschleifmaschinen herzustellen ist. Die restlichen Kombinationen müssen nach Bedarf einzeln oder in kleinsten und dann sicher nicht mehr kostengünstigen Stückzahlen gefertigt werden. Auch das Einpassen der Gläser in die Fassung wird jetzt komplizierter und verlangt höhere Präzision (Beachtung der Zylinderachse!).
Ich weiß nicht, wie groß der Anteil der Fehlsichtigen mit einer Gleitsichtbrille ist, aber ich schätze, daß es wohl mindestens ein Viertel oder Drittel sein wird. Das macht die Herstellung noch individueller, denn nun wird nicht nur die Form der Glasoberfläche noch um ein Vielfaches komplizierter, sondern auch die Zahl der Varianten nochmals erheblich größer (schätzungsweise mindestens um den Faktor 3). Ferner verkompliziert sich die Einpassung der Gläser in die Fassung ein zweites Mal.
Die Vielzahl der Varianten nichtsphärischer Gläser führt letztlich in vielen Fällen zur wirklich individuellen Fertigung jedes einzelnen Glases! Das erfordert darüber hinaus auch eine ganz andere Logistik, weil von der Bestellung bis zur Auslieferung an den Kunden jedes Glas individuell behandelt werden muss.
Wer die Kosten beim Augenoptiker mit denen beim Kauf einer "Brille von der Stange" im Kaufhaus vergleicht, vergleicht eine oft an Hochtechnologie grenzende Fertigung (bei asphärischen Flächen für astigmatismusbehaftete Gleitsichtgläser, oftmals aus speziellen Glassorten oder manchmal noch teureren Kunststoffen mit besonders geringem Gewicht und relativ geringer Dispersion) mit billiger Massenfertigung rein sphärischer Gläser aus 08/15-Glassorten höheren Gewichts, stärkerer Dispersion, geringerer Kratz- und Chemikalienfestigkeit, ohne oder nur mit vergleichsweise mangelhafter Vergütung und ohne wasser- und schmutzabweisende Beschichtung. Außerdem läßt er den durch die Individualität enorm gestiegenen Arbeitsaufwand völlig unberücksichtigt. Ein solcher Vergleich ist in höchstem Maße unfair.
Zu den asphärischen Formen ist noch zu ergänzen, dass diese Formen sowohl hinsichtlich der Berechnung als auch der Fertigung alles andere als trivial sind. Selbst zwischen höchstwertigen Brillengläsern, z.B. von Rodenstock und von Zeiss, gibt es noch Unterschiede, erst recht zwischen denen solcher Qualitätsprodukte und billiger Produkte aus meistens markennamenloser Quelle. Der fachlich unbedarfte Kunde, dem solche Unterschiede nicht bewusst sind, neigt dann schnell zur (vorschnellen) Meinung, er bezahle den Mehrpreis nur für den Markennamen.
2. Bei Brillen spielt auch ein erheblicher modischer Faktor mit, der den Preis der Fassung um einen Faktor bis ca. 50 in die Höhe treiben kann. Dazu kommt auch hier die riesige Vielfalt, die ebenfalls preissteigernd wirkt, weil sie die jeweiligen Stückzahlen reduziert. Wer Mode für Schnickschnack hält und den Preis dafür nicht bezahlen will, kann sich ja bei Fielmann, Apollo und anderen Billiganbietern bedienen. Niemand zwingt uns, eine Fassung von Cartier, Armani oder Gucci zu kaufen. Niemand zwingt uns, korrosionsfreies Gold oder das extrem leichte Titan als Material zu wählen. Wir können schon für 20 Euro (und weniger) eine Brillenfassung bekommen, die ihrer funktionalen Bestimmung vollauf gerecht wird. Dass sie nicht so chic aussieht und nicht so lange hält wie meine Brillen, wohl auch etwas schwerer und vielleicht unbequemer ist oder Nickel bei Ihnen evtl. Allergien auslöst, sollte Sie dann nicht stören, weil es Ihnen auf den „Schnickschnack“ nicht ankommt. Es gibt sogar Billiganbieter, die Ihnen nominell die Fassung für 0 Euro anbieten und die, wenn auch niedrigen, so trotzdem existierenden Kosten in den Preis der Brillengläser eingerechnet haben. In der Regel werden die Billiganbieter auch das weit schlechter fachlich geschulte Personal haben, obwohl es da sicher manche Ausnahmen auf beiden Seiten gibt.
Wie teuer modische Aspekte (und ein imageträchtiger Name) ein Produkt machen können, sehen Sie besonders deutlich im Bekleidungs- und Kosmetikbereich: Sie können z.B. ein T-Shirt bei C&A für 5 Euro oder eines von Versace oder D&G für 2000 Euro kaufen. Der Preisunterschied ist nur zu geringem Teil durch besseres Material oder Aufwand für Zierat zu erklären. Ich nehme an, dass Sie und Gleichgesinnte sich darüber aber noch nie aufgeregt haben, obwohl das ebenso berechtigt wäre.
3. Nicht immer, aber durchaus oft und deswegen nicht vernachlässigbar muss der Augenoptiker die Fehlsichtigkeit des Kunden prüfen und exakt quantitativ bestimmen. Nicht jeder Brillenkäufer kommt mit einem Rezept vom Augenarzt! Und selbst dann empfiehlt sich oft die Nachprüfung durch den in dieser Hinsicht meistens versierteren Augenoptiker. Ich habe es schon zweimal an mir selbst erlebt, dass die von der Augenärztin (in ziemlichem Schnelldurchlauf) ermittelten Werte zu ungenau waren und die gewissenhaftere Bestimmung durch den guten Augenoptiker sehr viel besser war; die zuerst nach den Angaben auf dem Brillenrezept gefertigten Brillengläser waren nicht gut genug und bei geringer Helligkeit unbrauchbar und mussten deshalb durch nach den neu ermittelten Werten des Augenoptikers gefertigte Gläser ersetzt werden! Seither verzichte ich beim Augenarzt auf die Bestimmung der Brillenglaswerte und überlasse diese meinem sehr guten Augenoptiker, der sich dafür reichlich Zeit nimmt und sehr präzise arbeitet. Der zeitliche wie apparative Aufwand für diese Messungen ist nicht vernachlässigbar und wird in der Regel nicht vollständig dem betreffenden Kunden berechnet, sondern teilweise in die Mischkalkulation mit den Brillenpreisen ohne individuelle Sehschärfeprüfung einbezogen, um zu große Preisunterschiede zu verhindern.
Was folgt daraus?
Ich könnte weitere gewichtige Argumente anführen, meine aber, dass die obigen schon reichen, um Sie davon zu überzeugen, dass man die Preise von Brillen nicht mit denen von Ferngläsern vergleichen kann. Die Produkte sind dazu einfach zu unterschiedlich, auch wenn es sich bei beiden im weitesten Sinne um "optische Geräte" handelt.
Nobody