Wenn Sie nur an den Bildwinkel des Kameraobjektivs denken, ist Ihre Überlegung richtig: In der Weitwinkelposition ist der auf die Bildecken bezogene Bildwinkel evtl. größer als der scheinbare Sehwinkel (SSW) des Spektivs oder Fernglases, so daß dann das kreisförmige Sehfeld und das rechteckige Bildformat einander so überlagern, daß die Ecken kreisförmig gerundet abgeschnitten werden. Oftmals wäre der Bildwinkel des Kameraobjektivs gar nicht oder nur unwesentlich größer als der scheinbare Sehwinkel, aber aufgrund der zu weit vom Okular entfernten (also nicht in der Ebene der AP, sondern etwas dahinter liegenden) Objektiv-Eintrittspupille wird dann doch etwas mehr vignettiert, als aufgrund der Winkel (Bildwinkel/SSW) zu erwarten wäre. Das ist derselbe Effekt, der auftritt, wenn Ihr Auge bei der Beobachtung nicht nah genug am Okular ist. Auch dann sehen Sie ein kleineres Sehfeld.
Wenn man nun zu längeren Brennweiten hin zoomt, verkleinert sich der Bildwinkel des Objektivs so, daß die vier Bildecken dann irgendwann weit genug innerhalb der kreisförmigen Vignettierungsgrenze (bzw. des Begrenzungskreises des SSW) liegen. Aber leider passiert gleichzeitig noch etwas, das unserem Wunsch nach einem vignettierungsfreien Bild entgegenläuft: Die Eintrittspupille des Kameraobjektivs verlagert sich immer tiefer ins Objektiv hinein* und entfernt sich somit immer weiter hinter die Ebene der AP des Spektivs oder Fernglases. Dadurch tritt ein anderer Vignettierungseffekt ein, der mit zunehmender Brennweite des Objektivs wegen der dann immer tieferen Lage der Objektiv-Eintrittspupille zunimmt.
Wir haben also einerseits aufgrund des bei Zoomen in Richtung Tele immer enger werdenden Bildwinkels eine Abnahme der Vignettierung, aber andererseits auch wegen der damit einhergehenden Verlagerung der Objektiv-EP nach innen eine Zunahme einer anderen Vignettierung. Irgendwo zwischen Weitwinkel- und Teleposition gibt es bei den meisten Digitalkameras eine Brennweite oder einen Brennweitenbereich mit nicht oder kaum mehr störender Vignettierung, beiderseits davon, also sowohl in Richtung WW als auch in Richtung Tele, nimmt aber die Vignettierung zu (aber jeweils aus einem anderen Grund!). Um diesen Bereich herauszufinden, sollte man ein paar Testaufnahmen machen (was digital ja gar nichts kostet, da kein Filmmaterial verbraucht wird, sondern die gespeicherten Testaufnahmen wieder gelöscht werden können) und sich dann die Einstellung merken. Sollte man einen größeren vignettierungsfreien Bereich ermitteln, so ist meistens eine Einstellung nahe dem weitwinkligeren Bereichsende die zweckmäßigste Einstellung. Denn erstens entspricht dann das Bild annähernd einem den Sehfeldkreis knapp berührenden Rechteck (und zeigt nicht nur einen kleinen Ausschnitt davon) und zweitens ergibt sich dabei das größere Öffnungsverhältnis für eine kürzere, also besser vor Verwacklung schützende Verschlußzeit.
* Wie sich die EP des Kameraobjektivs nach innen verlagert, kann man bei den meisten Kameras gut sehen, wenn man bei eingeschalteter Kamera von vorn ins Objektiv auf die scheinbar 1 bis 2 cm tief innenliegende Blendenöffnung schaut und dabei zwischen Weitwinkel und Tele hin und her zoomt. Die Blendenöffnung wandert beim Zoomen in Richtung Tele nach hinten und beim Zoomen in Richtung Weitwinkel nach vorn.
Es wäre ideal, wenn es eine Digital-Kompaktkamera gäbe, die 1. ein qualitativ sehr gutes und wenig (oder nur leicht tonnenförmig**) verzeichnendes Objektiv fester Brennweite mit einem auf die Bildecken bezogenen Bildwinkel von ca. 60°-63° (also innerhalb des SSW der hochwertigen Spektive), 2. eine sehr weit vorn liegende Eintrittspupille (zur perfekten Positionierung in der AP-Ebene des Spektivs oder Fernglases) und 3. um das Objektiv am Kameragehäuse ein stabiles Gewinde oder Bajonett für Adaptertuben hat, mit dem eine perfekte Anpassung an das Okular (exakt zentriert im richtigen Abstand) und auch eine stabile Befestigung möglich wäre. Leider ist noch kein Kamerahersteller auf diese Idee gekommen, mit der eine große Zahl von Vogelbeobachtern glücklich gemacht werden könnte! Es gibt einige hundert Digital-Kompaktkameras, aber nicht eine einzige, die speziell für die Digiskope optimiert wäre. Vielleicht nimmt ein Hersteller diese Anregung auf. Wie wär's mit Leica? Damit hätte man ein preisgünstigeres und wesentlich vielseitigeres Gegenstück zum Kameraokular von Zeiss, das eine viel größere Stückzahl ermöglichte, weil damit nicht nur Beobachter mit den hauseigenen Spektiven arbeiten könnten.
** Eine leichte tonnenförmige Verzeichnung hätte den Vorteil, der üblichen kissenförmigen Verzeichnung des Spektive entgegenzuwirken.
Ich habe mir kürzlich die neue Ricoh GR digital II bestellt, die ich in den nächten Tagen erhalten sollte. Diese Kamera hat ein Weitwinkelobjektiv fester Brennweite, das vergleichsweise wenig verzeichnet und eine sehr gute Schärfe für eine Digiknipse bietet. Ich hatte bereits einmal das Vorgängermodell für denselben Zweck gekauft, es dann aber sofort wieder zurückgegeben, als ich feststellte, daß diese Kamera mit einem externen Autofokus über die beiden runden Fensterchen oberhalb des Objektivs auf der rechten Gehäuseseite (in Aufnahmerichtung gesehen) arbeitet, der in Verbindung mit Spektiven unbrauchbar ist (weil nicht TTL). Ricoh hatte das nirgendwo in den Prospekten oder im Internet gesagt, so daß ich natürlich vor meinem Kauf annahm, daß auch diese Kamera einen TTL-Autofokus hätte. Das neue Modell GR digital II dagegen hat jetzt endlich einen TTL arbeitenden Autofokus, so daß ich nun einen neuen Versuch starte. Vorteilhaft an dieser Kamera ist auch, daß es genau den von mir gewünschten Befestigungsring am Gehäuse um das Objektv und einen daran anzubringenden Adaptertubus serienmäßig gibt, der zwar vom Hersteller nicht für die Digiskopie gedacht war, sondern zum Anbringen von Filtern, einer Streulchtblende und vor allen von Weitwinkel- und Teleadaptern dient. Er sollte sich aber über einen weiteren Adapterring auch zur Befestigung am Okular des Spektivs oder Fernglases benutzen lassen. Allerdings weiß ich momentan noch nicht, wie tief die Eintrittspupille liegt. Wenn ich meine Versuche abgeschlossen habe, werde ich hier über die Ergebnisse berichten.
Herr Jülich wäre dank seiner Fachkenntnisse, seiner Werkstatt und seiner Mitarbeiter sicher in der Lage, passende Adapterringe zur Anpassung an die Okulare der Leica-, Swarovski- und Zeiss-Spektive zu fertigen und anzubieten und könnte so eine Lücke füllen, die bedauerlicherweise bisher von den Spektivherstellern selbst noch nicht erkannt wurde.
Walter E. Schön