Sehr geehrter Herr van den Berg,
Sie haben gut aufgepasst, mein Kompliment. Der Teufel steckt im Detail, wie so oft und Details wollte ich mir ersparen, um niemanden zu langweilen. Der entscheidende Punkt ist, dass in einem perfekt justierten Fernglas drei Achsen parallel laufen müssen: die beiden Objektivachsen und auch die Knickbrückenachse. Sobald diese Bedingung, zum Beispiel durch einen Stoß oder Verschleiß nicht mehr erfüllt ist, kann es problematisch werden.
Machen wir folgendes grob vereinfachtes Gedankenexperiment mit einem dejustierten Glas (und setzen dabei hohe aber nicht unrealistische Zahlenwerte ein, um leichter zu "sehen", worauf es ankommt):
Person A mit 70mm Augenabstand schaut bei Unendlichstellung durchs Glas, das in dieser Stellung parallele Objektivachsen hat, dessen Knickbrückenachse aber in dieser Stellung nicht zu diesen parallel liegt. Der Fehler ist nicht zu sehen, das Glas scheint kollimiert. In Naheinstellung verringert Person A die eingestellte Augenweite auf 67mm, bei der die Objektivachsen schon nicht mehr ganz perfekt parallel stehn. Wie sie zueinander zu stehen kommen und wie sehr sie sich relativ zueinander verschieben, hängt von der relativen Stellung der Knickbrückenachse ab. Ist die Stellung noch innerhalb einer gewissen Toleranz, und/oder wirkt die Konvergenzbewegung der Augen (Einwärtsschielen) dem Stellungsfehler zufällig entgegen, sieht Person A auch im Nahbereich keinen Fehler.
Person B mit 60mm Augenabstand dreht die Achsen weiter zusammen in eine zunehmend unparallele Lage, kann aber, evt. mit leichtem, oft unbemerktem Einwärtsschielen, im Unendlichen den Fehler noch ausgleichen. Für den Nachbereich stellt Person B auf 57mm und überschreitet nun endgültig die "Schmerzgrenze" beim Einwärtsschielen, die Bilder kommen nicht mehr zu Deckung.
Fazit: Person A hat kein Problem mit dem Glas, Person B schon.
Diese - ich betone es nochmals - grobe Vereinfachung soll nur meine Überlegungen illustrieren, sie sagt nichts darüber aus, wie stark solche Effekt im konkreten Fall auftreten. Individuelle Unterschiede in der Empfindlichkeit für die Wahrnehmung einer Dejustierung können hinzukommen, und die Dinge überlagern, das haben wir vor ein paar Wochen hier diskutiert. Vielleicht erinnern Sie sich an meinen Beitrag "Anmerkungen zur Wahrnehmung der Justierung" und die Ergänzungen anderer Leser. (Bei Gelegenheit werde ich zum dabei angesprochenen Thema Auflösung beim Blick mit Brille durch ein Fernglas noch etwas schreiben)
Noch etwas scheint mir wichtig. Ich nehme an, dass angesichts der kurzen Tuben des (ebenfalls zugegeben optisch fabelhaften) Zeiss 8x32FL und des Kunststoffgehäuses eine Dejustage der Tuben selbst nicht sehr wahrscheinlich ist, dazu wird der Kunststoff zu zähelastisch sein. (Wieder mal ein Vorteil für den Kunststoff). Aber die Knickbrückenachse oder ihre Lagerung, die wie ich annehme bei Zeiss aus Metall ausgeführt sind oder zumindest solche Bestandteile enthalten dürfte, könnte durch die duktilen Eigenschaften des Metalls bei einem Stoß minimal "verbogen" oder relativ zu den Tuben verschoben worden sein. Eine Spekulation, zugegeben. mehr nicht, ein Gedankenspiel. Gut möglich, dass die Leser, die den Fehler eher auf Seiten der individuellen Wahrnehmung von Herrn Nickel vermuten, näher an der Wahrheit liegen.
Ich hoffe, dass war nicht zu langatmig, danke für Ihren schönen Link zu den Vogelnestern und wünsche Ihnen Frohe Ostern!
PS.: Hier noch eine überflüssige Gedankenspielerei: Im Glas, dass wir im Gedankenexperiment benutzt haben, verschieben sich bei Verringerung der Augenweite (Austrittspupillenquerabstand) die optischen Achsen an der Objektivseite relativ zueinander nach auswärts. Dazu muß die Knickbrückenachse relativ zur Ebene, die von beiden Objektivachsen aufgespannt wird, so verschoben sein, dass sie zur Objektivseite näher an dieser Ebene läge, zur Okularseite hin weiter entfernt. Ein dejustierender Stoß hätte also den unteren Teil der Knickbrückenachse auf der Vorderseite des Glases zwischen den Objektiven getroffen. Oder den oberen Teil zwischen den Okularen von hinten. Und damit genug gespielt.
9-mal bearbeitet. Zuletzt am 23.03.08 02:40.