Vorab eine Bemerkung zu „Retina“. Das ist ebenso wie „Visus“ der in der Augenoptik übliche Fachbegriff. Wenn wie hier in einem Form diskutieren, das sich hin und wieder auch mit der Optik des Auges befaßt, so sehe ich keinen Grund, den Begriff „Retina“ zu ächten. Ich denke, daß jeder oder fast jeder, der sich an Diskussionen rund um dieses Thema hier im Forum beteiligt, den Begriff „Retina“ kennt und richtig interpretiert.
Anders ist es mit „ceteris paribus“, einer Wendung, die entgegen Ihrer Behauptung keineswegs in der deutschen Alltagssprache verankert ist und auch in der Fachsprache der Optik nicht üblich ist. Selbst in der Sprache der Wissenschaft ganz allgemein sind die Zeiten vorbei, als „ceteris paribus“ noch sehr gängig war (das war nur damals der Fall, als die Beherrschung des Lateinischen Voraussetzung zu jeglicher wissenschaftlicher Betätigung war und höchstens noch ein paar wenige Jahrzehnte lang danach bis in erste Drittel des 20. Jahrhunderts). Sie werden selbst unter Wissenschaftlern höchstens auf Teilgebieten, in denen Latein noch eine größere Rolle spielt, also z.B. in der Romanistik, Medizin und Theologie, diese Wendung häufiger finden, in naturwissenschaftlichen Bereichen hingegen wohl seit etwa 50 bis 70 Jahren nur noch höchst selten.
Nun zum Visus (den Sie fälschlich noch immer mit Trennschärfe gleichsetzen).
Der Visus ergibt sich nicht allein aus den Eigenschaften der Sehzellen (Größe und Verteilung), sondern auch aus den optischen Eigenschaften des Auges. Zwar kann der Visus nie höher sein, als es die Sehzellendichte zuläßt (wobei allerdings noch die Signalverarbeitung in der Netzhaut selbst sowie im Gehirn mitberücksichtigt werden muß, die z.B. zu einer erheblich höheren „Nonius-Sehschärfe“ führt, als man unmittelbar aus der Sehzellendichte erwartet). Aber wenn der Visus auffällig gering ist, dann ist nur selten die Netzhaut und Sehzellenverteilung daran schuld, sondern es liegen meistens irgendwelche Defekte im optischen Apparat vor, z.B. Kurz- oder Weitsichtigkeit, Astigmatismus oder noch komplexere Formen der Hornhautvergrümmung, Schlieren oder sonstige Unregelmäßigkeiten in der Augenlinse (bis hin zur Linsentrübung), evtl. im Glaskörper oder in der Hornhaut oder selten im Kammerwasser.
In dem von mir per Link angegebenen Wikipedia-Beitrag ist im Absatz „Messmethoden der Sehschärfe“ der Satz zu lesen: „Bei der Messung des Visus wird zwischen dem ohne optische Korrektur (z. B. Brille) und dem mit optischer Korrektur unterschieden.“ Der ohne Sehhilfe ermittelte Visus wird in der Augenoptik als „Visus s.c.“ (Visus sine correctione) und der mit Sehhilfe ermittelte als „Visus c.c.“ (Visus c u m correctione)* bezeichnet. Die Sehhilfe ändert aber nichts an der Netzhaut, sondern behebt oder vermindert nur die Aberrationen des optischen Apparats.
Die mit zunehmendem Alter festzustellende schleichende Verminderung des Visus hat in erster Linie und in den meisten Fällen nur seine Ursache in der Verschlechterung der optischen Eigenschaften, also z.B. in der Verhärtung der Augenlinse (was zu der als Alterssichtigkeit bezeichneten Verminderung der Akkommodationsfähigkeit führt) und in einer Trübung der Augenlinse oder der Hornhaut und evtl. in einer Zunahme der Hornhautverkrümmung (Extremfall „Keratokonus“). Seltener, allerdings aufgrund der in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegenen durchschnittlichen Lebenserwartung inzwischen schon relativ häufig, ist eine durch Alterung, längere UV-Einwirkung und falsche Ernährung bedingte Makuladegeneration an der Visusverschlechterung beteiligt oder gar Hauptursache (Beschädigung bis hin zur Ablösung der Netzhaut im Bereich des „gelben Flecks“, des zentralen Bereichs der Netzhaut mit dem höchsten Auflösungsvermögen).
Walter E. Schön
* Ich mußte an dieser Stelle das lateinische Wort für „mit“ gesperrt (also mit je einem Leerraum zwischen den drei Buchstaben) schreiben, weil es sonst vom Spamfilter zu einem unlesbaren Zeichenmischmasch verfälscht wird, wie ich vor dem Einstellen meines Beitrags in der Vorschau sah. Die Sperrung hat sonst keine weitere Bedeutung.