Es ist nicht ein Erlahmen des in der Fachsprache als „Ziliarkörper“ bezeichneten Ringsmuskels, der gegen die Zugkraft einer Membran die gestreckte und dann flacher gewölbte Augenlinse wieder kugeliger werden läßt und ihr somit höhere Brechkraft verleiht, sondern es ist tatsächlich eine von innen nach außen fortschreitende Verhärtung der Augenlinse, die mit zunehmendem Alter die Akkommodationsfähigkeit einschränkt.
Die Linse wird übrigens, wie schon aus meiner obigen Formulierung hervorgeht, nicht von einem Muskel gespannt, wie Sie schreiben, sondern von einer elastischen Membran über die Zonulafasern. Der Ringmuskel wirkt, wenn er aktiv wird und sich zusammenzieht, dieser „Trampolinspannung“ entgegen, entspannt also damit auch die Augenlinse, die nun aufgrund ihrer eigenen Elastizität kugeliger wird.
Daß auch unter jungen Menschen verschiedene Visuswerte vorkommen, liegt fast immer daran, daß der optische Apparat (insbesondere die Hornhaut) nicht perfekt ist und eben etwas unterschiedliche Abweichungen vom Optimum hat. So ist z.B. die Hornhaut nicht exakt sphärisch und nicht einmal exakt rotationssymmetrisch. So, wie auch nicht alle Menschen gleich groß oder gleich schlank oder korpulent sind, nicht alle die gleiche Hautfarbe haben, nicht alle dieselbe Kopfform besitzen usw., so sind auch nicht alle Augen gleich (zwar gleich im prinzipiellen Aufbau, nicht aber in der praktischen Ausführung, sondern wie Industrieprodukte mit gewissen Toleranzen behaftet). Das sollte Sie eigentlich nicht wundern. Oder wundern Sie sich vielleicht auch darüber, daß nicht alle Menschen gleich gut Cembalo spielen können?
Ob die Abbildungsschärfe eines visuell eingesetzten optischen Instruments, z.B. eines Fernglases, eine mehr oder weniger große Rolle spielt, hängt verständlicherweise stark vom Visus des Beobachters ab. Ist sein Visus schlecht, so daß sein Auge eine deutlich geringere Winkelauflösung erreicht, als ihm zwei zu vergleichende Ferngläser okualrseitig liefern, so wird er wahrscheinlich keinen Unterschied in der mit beiden Ferngläsern erzielten Detailauflösung wahrnehmen. Ist sein Visus jedoch besser und erzielt es eine höhere Detailauflösung, als das schlechtere der beiden Ferngläser ihm okularseitig bietet, so wird er dessen Schwäche erkennen und es als schlechter wahrnehmen als das andere Fernglas. Ist sein Visus sehr gut, die okularseitige Winkelauflösung der beiden Ferngläser aber noch deutlich besser, so wird er deren Unterschiede wiederum nicht feststellen können. Verwendet er jedoch einen Booster (2fach oder 3fach) zwischen Okular und Auge, dann ist es evtl. möglich, zwischen den beiden ohne Booster gleich scharf erscheinenden Ferngläsern doch einen Unterschied auszumachen. Allerdings muß es ein guter Booster sein, und er liefert leider nur eine Aussage über den zentralen Bereich des Sehfeldes, der ziemlich kein ist. Wenn das Fernglas z.B. einen SSW von 60° bietet und der Booster einen von ca. 38° (wie der Zeiss -Booster Mono 3x12), dann sieht der Beobachter durch den Booster nicht näherungsweise (weil nicht mir Winkelfunktionen, sondern vereinfacht mit Winkeln gerechnet) 38/60 des Sehfelddurchmessers, sondern bei 2fach Vergrößerung nur 18/60 und bei 3facher Vergrößerung nur knapp 13/60 des Sehfelddurchmessers. In Fläche umgerechnet ist das im letztgenannten Falle weniger als 5% des gesamten Sehfeldes! Darüber sollte man sich im klaren sein, wenn man auf Basis einer Booster-Überprüfung die Schärfeleistung eines Fernglases beurteilt.
Walter E. Schön