Wer in einer Grosstadt wohnt, der wird vielleicht die Gelegenheit haben, verschiedenfarbige Leuchtreklamen mit seinem Fernglas zu beobachten. Dabei macht sich ein interessanter Effekt bemerkbar, der als Farbtiefeneffekt bekannt ist: Man hat den Eindruck eines 3D-Effekts, rotfarbige Anteile einer Leuchtreklame scheinen eine andere Tiefe zu besitzen als blaufarbige, obwohl beide auf demselben Display erscheinen.
Die Ursache fuer diesen Effekt liegt in der transversalen chromatischen Aberration des Auges, die dadurch entsteht, dass Blickrichtung und optische Achse leicht verschoben sind (die Fovea liegt bekanntlich nicht exakt auf der optischen Achse des Auges). Dadurch werden unterschiedliche Farben geringfuegig seitlich versetzt, und beim binokularen Sehen interpretiert unsere Wahrnehmung dies (faelschlicherweise) als Tiefeneindruck. Da die Austrittspupille, gerade in der Nacht, auch die Funktion einer Blende uebernimmt, kann man den Tiefeneindruck sogar steuern, indem man den Augenabstand des Fernglases ueber die Knickbruecke variiert (siehe Details dazu im Manuskript von Christian Ucke, im Anhang). Das ist ein lustiges Spiel und ich empfehle, das mal mit einem guten Fernglas zu probieren.
Ich gehe davon aus, dass dieselbe transversale CA des Auges auch zu den Farbraendern beitraegt, die manche Beobachter als sehr stoerend empfinden: Wenn die Augenabstandseinstellung des Fernglases nicht stimmt, oder wenn das Auge Richtung Sehfeldrand blickt und dabei das Strahlenbuendel beschneidet, dann werden die Effekte dieser Aberration asymmetrisch beeinflusst und die Korrektur solcher Stoerungen, die unsere Wahrnehmung normalerweise vornimmt, funktioniert nicht mehr. Der Versatz zwischen Fovea und Hauptachse ist uebrigens individuell verschieden - auch dies koennte ein Grund dafuer sein, dass manche Beobachter von sehr stoerenden Farbsaeumen berichten, waehrend andere dasselbe Fernglas als gut korrigiert einschaetzen.
Viele Gruesse,
Holger