Sie schrieben doch gleich zu Beginn, daß Sie auf der Suche nach einem „Allroundglas“ seien. Unter einem solchen Fernglas verstehe ich eines, daß möglichst vielseitig und oft eingesetzt werden kann, so daß man kein anderes Glas mehr benötigt oder wenn man kein anderes hat. Zu den Eigenschaften eines solchen Fernglases gehört dann zwangsläufig auch, daß es handlich, kompakt und leicht sein muß (jedenfalls nicht zu sperrig und zu groß sein darf). Folglich hätte ich das 10x56 gar nicht erst in die Auswahl genommen.
Ihr Vorgehen ist dem eines Autokäufers vergleichbar, der z.B. am Rand einer mittelgroßen Stadt ohne öffentliche Verkehrsmittel wohnt und ein Auto für die täglichen Einkäufe, für die Wochenendfahrt ins Grüne und den gelegentlichen Besuch von Freunden kaufen möchte und sich die Qual der Wahl dadurch erschwert, daß er nun Probefahrten mit allen Autos vom Smart bis zum 20-Tonner-Sattelschlepper macht.
Für mich läge bereits ein 8x42 an der Grenze dessen, was als Allroundglas in Frage kommt. Bei Zeiss und Leica haben Sie in dieser Größe mit den neuen Modellen (Victory FL bzw. Ultravid) noch eine Chance, denn deren Gewicht kann man je nach eigener körperlicher Kostitution für „Allround“ evtl. gerade noch akzeptieren.
Ich empfehle Ihnen, sich lieber mal auf 8x32 und 10x32 zu beschränken und, sofern Sie nicht besondere Gründe haben, ein Zeiss zu favorisieren, die betreffenden Modelle von Leica, Zeiss, Swarovski und Nikon HG-L einem Vergleich zu unterziehen. Über die verschiedenen Parameter, auf die Sie achten sollten, wurde hier schon oft diskutiert. Deshalb nur eine kleine Liste mit Stichwörtern:
Handlichkeit, Griffgkeit, Gewicht
Augenmuschelhandhabung
Fokussierung (Griffigkeit, Gängigkeit, Übersetzung)
Einblickverhalten
Randschärfe (Mittenschärfe ist bei allen tadellos)
Verzeichnung kontra Globuseffekt
Reflex-/Streulichtverhalten bei Gegenlicht
Bildhelligkeit*
Farbneutralität*
* Hier sind die Unterschiede bei den vier genannten Marken so gering, daß Sie eigentlich auf diesen Vergleich verzichten können (wenn Sie beim normalen Durchschauen Unterschiede wahrnehmen sollten, so dürften diese wahrscheinlich mehr auf Vermutungen (um nicht zu sagen: Einbildung) als auf wirkliches Feststellen beruhen.
Falls Sie nicht allein sind und das Fernglas dann auch von Ihrer Frau oder Freundin oder von Kindern mitbenutzt wird, sollten Sie diese Person(en) ebenfalls zumindest in den Test der von Ihnen in die engste Wahl genommenen Ferngläser einbeziehen. Denn es kann durchaus sein, daß diese Personen wegen anderer Größe der Hände, wegen einer anderen Augenweite, wegen einer (anderen) Fehlsichtigkeit oder wegen schwächerer Muskelkraft mit dem einen oder anderen Modell nicht so gut zurechtkommen wie Sie und es aussortieren, so daß Sie so nicht nur schneller zu einer Entscheidung kommen, sondern vor allem auch zu einer, die nicht nur allein Ihren Bedürfnissen entspricht, sonderen auch denen der potentiellen Mitbenutzer.
Wenn Sie sich hingegen das Leben schwer machen wollen, sollten Sie auch noch die Kompaktferngläser 8x20, 10x25 und wenigstens zwei oder drei Astro-Großferngläser in Ihre Tests mit einbeziehen. Dann sollten Sie aber unbedingt mit jedem dieser Gläser unter Hinzuziehung einer Stoppuhr versuchen, einen Gegenstand freihändig ununterbrochen zwei Minuten zu beobachten. Achten Sie darauf, wie zittrig das Bild in den letzten Sekunden dieser zwei Minuten aussieht und wie lange Sie brauchen, bis sich Ihre Armmuskulator danach so gut erholt hat, daß Sie den Test mit dem nächsten Fernglas fortsetzen können.
Walter E. Schön
