Hallo Herr Müllers,
Glückwunsch zum Neuzugang! Erlauben Sie mir ein paar Reflexionen zu seinen Reflexen. Ich darf spekulieren.
Die Ränder von Linsen (insbesondere bikonvexe oder bikonkave) haben im Querschnitt betrachtet eine mehr oder weniger prismatische Geometrie. Auch deshalb steigen die Farbfehler zum Rand an. In der normalen Durchsicht dürfte die randnahe Spektralzerlegung unbemerkt bleiben, weil sie zum einen vielleicht in der Intensität des großflächigen axialen Anteils des Strahlenbündels untergeht, oder weil diese randnahen prismatischen Bereiche bei normalem Einblick nicht mehr bildgebend wirksam sind.
Kommt die Sonne, als stärkste natürliche Helligkeitsquelle aber von schräg seitlich hinten auf den Randbereich des Okulars, geht die dortige spektrale Zerlegung zunächst in Richtung Objektiv. Angesichts der Qualitäten moderner Mehrschichtvergütungen könnte man erwarten, dass eine mögliche Rückreflektion kleiner randnaher Regenbögen genügend stark interferometrisch unterdrückt sein sollte. Wenn man aber überlegt, das selbst 0,4% oder weniger Restreflexion bei der hohen Intensität direkt einfallenden Sonnenlichts immer noch eine sehr beträchtliche Helligkeit bedeuten können, wäre denkbar, dass die Reflektion an einer geometrisch geeignet liegenden inneren Grenzfläche einer Okularlinse den Regenbogen unter bestimmten Winkeln zurückprojiziert und ein gewisser Anteil wieder nach außen dringt, zum Rand ihres Auges.
Könnte dieser Effekt durch eine wenige Nanometer dicke zusätzliche Schutzschicht beeinflusst werden? Möglicherweise. Die einzelnen Schichten der MC-Vergütungen haben Dicken im Bereich von Vierteln, Halben und entsprechenden Vielfachen der jeweiligen Wellenlänge sichtbaren Lichts, sind also zwischen ca. 90 und 190 Nanometern und deren Vielfachen dick. Um bei den komplexen Grenzflächenverhältnissen zwischen Brechung, Absorption, Reflexion und Dispersion im Gesamtaufbau des Schichtsystems die Restreflektivität optimal zu unterdrücken muß nicht nur das Schichtendesign kompliziert ausgeklügelt sein, auch die nötigen Toleranzen der einzelnen Schichtdicken liegen im Bereich nur weniger Prozent, also u.U. nur weniger Nanometer. Deshalb ist nicht ganz auszuschliessen, dass eine ebenfalls wenige Nanometer dicke Schutzschicht in dieses komplizierte interferometrische Wechselspiel eingreift. Nicht zu vergessen, dass die ganze Geschichte auch noch winkelabhängig ist, was die Verhältnisse am Linsenrand nochmals kompliziert.
Meines Wissens hat Leica dem Schichtendesigns erst in jüngerer Zeit mehr Aufmerksamkeit gewidmet, möglicherweise hat man also AquaDura appliziert, und hielt eventuelle Wechselwirkungen mit den MC-Vergütungen für vernachlässigbar. Vielleicht sind sie es aber unter bestimmten Umständen nicht ganz. Möglicherweise spielt auch eine Rolle, dass bei den HDs die MC-Schichten verändert wurden und auch kleine Modifikationen an der Linsengeometrie vorgenommen wurden. All das könnte Ihre Beobachtungen vielleicht erklären und vielleicht helfen diese Spekulationen Ihnen, großzügig über diese gelegentliche verschmitzte kleine randnahe Farbenfreude von schräg hinten hinwegzusehen. Als Teil der Kehrseite der großen von vorn.
PS.: Bei einer Schichtdicke von wenigen Nanometern dürfte die Weglänge zu gering sein, um die Dispersion von AquaDura sichtbar werden zu lassen. Andererseits, bei sehr flachen Einfallswinkeln...? Wer weiss. Viel Spass jedenfalls mit dem schicken Glas.
PPS.: Ist Ihr Astigmatismus so hoch, dass Sie lieber die Brille aufbehalten? Ohne Brille sollten Sie nicht nur weitgehend die Reflexe verlieren, sondern bei mittlerer Kurzsichtigkeit auch noch etwa Faktor 0,5 aufwärts an Vergrößerung gewinnen... Beste Gruesse.
5-mal bearbeitet. Zuletzt am 03.08.09 19:32.