Ich bin durch Zufall auf Euer Forum gestossen und ziehe meinen Hut. Mir gefällt der nette Umgangston und auch das Fachwissen kommt ohne Überheblichkeit rüber.
Ich wohne an der B312 in der Nähe von Zwiefalten. Ich war fast 40 Jahre lang als Bauingenieur im Tiefbau tätig und geniesse nun meinen verdienten Ruhestand. Zur eigenen Jagd hat es nicht gereicht, ich werde aber oft eingeladen und helfe im Gegenzug dem Freund bei der anfallenden Arbeit im Revier.
Sie haben vor ein paar Tagen das Thema Dämmerungsglas angesprochen, vielleicht kann ich dazu meinen Beitrag leisten. Ich besitze neben dem Zeiss 10x42 als Pirschglas auch noch ein 8x56 neuester Machart und ein 10x56 vom gleichen Hersteller, dass ich einem Jagdfreund abgekauft habe.
Die äusserlich gleichen Gläser sind rasch beschrieben, in der hereinbrechenden Dämmerung zeigt uns das 10x56 Zeiss aus 30 Schritt Entfernung den Kleiber am Baumstamm, der sich noch eine allerletzte hellgraue Made vor der Nacht einverleibt. Die Frage ob Krähe oder Schwarzspecht läßt sich eindeutig entscheiden, weissliche Augen, also Specht. Es geht um die kleinsten und feinsten Unterschiede, die wir nur mit maximaler Vergrößerung unterscheiden können. Wer den Marder am Baumstamm bestimmen will, der ist mit diesen 10x56 ideal versorgt.
Füchse erkennt man noch auf 100 Schritte, scheue Wildkatzen, dies ist die Dämmerung, für die das 10x56 gemacht wurde.
Doch dann wird es dunkler. Der Himmel ist dunkelblau, die Lichtung fast schwarz, dahinter die Tannen undurchdringlich. Das ist die kurze Zeit für das 8x56. Sieht man denn jetzt mehr? Naja, die Tannen haben Stämme, die Lichtung ist nicht so einheitlich schwarz, sie ist dunkelgrau und dazwischen stehen ein paar Büsche, die sind wirklich schwarz. Zum Schiessen ist es längst zu spät, fast auch für unsere Augen, aber dann hören wir ein Geräusch, das sich auf uns zu bewegt. Es ist kein schweres Tier, ein Dachs? Unsere Ohren erkennen die Richtung, nach ein paar Sekunden erkennen wir im 8x56 einen kleinen Schatten, der sich in Richtung Hochsitz bewegt. Es wird ein Dachs sein, Einzelheiten sind nicht mehr zu erkennen. Doch während unsere Aufmerksamkeit dem kleinen Dachs? galt, kommt aus dem enfernten Teil der Lichtung ein lauteres Geräusch, Wildschweine. Sie sind kompakt und auch bei Neumond noch zu erkennen. Zum Zählen ist es zu dunkel, jetzt müßte man etwas Mondlicht haben. Wer jetzt nur ein 10x56 hat, der wird enttäuscht sein, die Säue sind zu hören, aber zu sehen bekommt man nichts.
Es sind im Herbst und im Frühjahr etwa 10-15 Minuten, die man mit dem 8x56 länger beobachten kann. Wir Jäger wissen aus Erfahrung, dass das Wild diese Zeit nutzt und dass wir es dann beobachten können.
Jungjäger neigen dazu, sich mit einem einfacheren Glas zu begnügen. Das funktioniert aber nicht, obwohl sie die jüngeren Augen haben, die billigeren Gläser haben Probleme mit dem Kontrast, oben im Bild der Himmel, unten im Bild der dunkle Wald, das können die billigen Gläser nicht. Wir raten daher immer dazu, die Dinger links liegen zu lassen und sich lieber um ein gut erhaltenes Gebrauchtglas zu bemühen, Zeiss oder Swarovski, alles andere ist zweite Wahl.
Fragen Sie einmal in der Schonzeit, ob der Revierpächter Sie mit zur Beobachtung nimmt, es ist ein tolles Erlebnis, ohne Handy und ohne moderne Zertreuung.
Roger Brandt