Es ist zwar nicht ganz falsch, wenn Sie sagen, daß das reelle Zwischenbild (= das vom Objektiv erzeugte Bild) betrachtet wird, aber dieses Bild wird durch das Okular und nicht unmittelbar vom Auge betrachtet. Das Okular macht bei korrekter Fokussierung daraus ein virtuelles Bild in derjenigen Entfernung, auf die Ihr Auge in entspanntem Zustand (= bei Fernakkomodation) eingestellt ist. Als Alterweitsichtiger können Sie, sofern nicht zusätzlich eine Über- oder Kurzsichtigkeit vorliegt, Ihr Auge im entspannten Zustand auf unendlich fokussieren. Folglich werden Sie beim Fokussieren Ihres Spektivs dieses so einstellen, daß dessen Okular das reelle Zwischenbild virtuell nach unendlich abbildet. „Nach unendlich abbilden” heißt nichts anderes, als daß alle zu einem beliebigen Bildpunkt gehörigen Strahlen das Okular nach hinten als Parallelbündel verlassen.
Es ist also nicht so, daß Ihr Auge auf ein, wie Sie vermutet haben, sehr dicht vor dem Auge (Sie schreiben: wenige Millimeter vor dem Okular) schwebendes reelles Bild fokussieren muß. Dazu wären Sie bei Ihrer Altersweitsichtigkeit, die nichts anderes als eine reduzierte Akkomodationsfähigkeit ist, gar nicht in der Lage. Denn wie Sie leicht ohne Brille nachprüfen können, sehen Sie einen Gegenstand nur dann scharf, wenn er eine vermutlich mindestens bei oder gar über 50 cm liegende Entfernung vom Auge hat.
Daß es sich beim Spektiv um eine Abbildung nach unendlich handelt, können Sie leicht und ohne Meßgeräte überprüfen: Fokussieren Sie (ohne Benutzung Ihrer Lesebrille) das Spektiv auf eine große Entfernung. Es sollte dabei möglichst auf einem Stativ befestigt sein oder sicher auf einer festen Unterlage ruhen. Nun entfernen Sie sich langsam vom Okular längs dessen optischer Achse und blicken dabei unverwandt ins Okular. Sie werden merken, daß Ihr scheinbares Sehfeld sehr schnell sehr klein wird (bald nur noch so groß wie die winzige Austrittspupille Ihres Spektivs). Aber dennoch können Sie bei einem geeigneten, feinstrukturierten Motiv erkennen, daß ungeachtet Ihres Abstandes vom Okular das Bild scharf bleibt und Sie mit demselben Auge neben und über dem Spektiv auch gleichzeitig den fernen Hintergrund scharf sehen. Das beweist, daß Sie Ihr Auge für das im Okular sichtbare Bild genauso akkomodieren (= scharfstellen) mußten wie für den fernen Hintergrund und keineswegs auf eine Minientfernung von wenigen Zentimetern.
Ihre Altersweitsichtigkeit hat keinerlei Einfluß auf die Sehqualität beim Blick durchs Spektiv. Sofern Sie, wie schon gesagt, nicht zusätzlich noch eine Über- oder Kurzsichtigkeit haben, fokussieren Sie Ihr Spektiv genauso wie ein Normalsichtiger und sehen auch genauso gut durchs Spektiv wie ein Normalsichtiger. Hätten Sie hingegen statt Ihrer Alterweitsichtigkeit oder zusätzlich zu ihr noch eine Über- oder eine Kurzsichtigkeit, dann wäre der einzige Unterschied, daß Sie Ihr Spektiv beim gleichen Beobachtungsobjekt etwas anders fokussieren würden (als Übersichtiger so, daß die Strahlen eines Bildpunktes leicht konvergent statt parallel austreten, als Kurzsichtiger so, daß sie leicht divergent statt parallel austreten). Aber auch dann würden Sie bei der jeweiligen auf Ihr Auge abgestimmten Fokussierung genauso viel und genauso scharf sehen wie ein Normalsichtiger bei seiner anderen Fokussierung. Nur wenn Sie noch einen Astigmatismus hätten, dann kämen Sie (genauso wie ohne korrigierende Brille ohne Spektiv) nicht auf die maximale Bildschärfe, weil sich Astigmatismus nicht durch Fokussieren kompensieren läßt. Erst wenn Sie mein Blick durchs Spektiv eine den Astigmatismus korrigierende Brille tragen, sehen Sie wieder in voller Schärfe.
Ich hoffe, daß dies nicht zu kompliziert war. Zeichnungen des Strahlengangs hätten vielleicht eine leichter verständliche Erklärung ermöglicht, aber die sind hier im Forum nicht darstellbar.
Walter E. Schön
