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Keine verrückte, aber wegen verschiedener Probleme eine „naive“ Idee

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31. Juli 2005 22:58
Die Idee ist durchaus naheliegend, und Sie sind gewiß nicht der Erste, dem eine solche Lösung eingefallen ist. Aber „leicht machen” läßt sich das leider nicht. Beim Stereomikroskop ist das genaz anders, denn da ist der Konvergenzwinkel konstant. Beim sog Greenaugh-Stereomikroskop sind beide optische Systeme schon zueinander geneigt und beim sog. Fernrohrsystem sind die Achsen der optischen Systeme zwar parallel zueinander, aber durch ein gemeinsam vor beiden Objektiven liegendes achromatisches oder apochromatisches System werden die „Sehstrahlen“ konvergent abgeknickt. Der Konvergenzwinkel hängt nur vom Abstand zwischen den beiden Objektivachsen und vom Betrachtungsabstand ab. Beide Größen bleiben auch bei Zoomsystemen konstant. Nur bei Verwendung von Vorsatzobjektiven ändert sich das, aber automatisch genau in dem Maße, wie das Vorsatzsystem den freien Abstand verkürzt bzw. verlängert. Es ist also auch hier kein bewegliches System nötig, sondern alle Teile bleiben stets mechanisch starr zueinander.

Bei Ferngläsern hingegen müßte der Konvergenzwinkel kontinuierlich mit der Entfernungseionstellung verändert werden, und das machte ein kompliziertes mechanisches System erforderlich, das sehr hohe Winkelgenauigkeit aufweisen müßte (nämlich in exakt derselben Genauigkeit, wie sie für das Kollimieren der optischen Systeme nötig ist).

Einerseits müßte sich diese Konvergenzeinstellung so leichtgängig bewerkstelligen lassen, daß man beim Drehen der Fokussierwalze kein nennenswert größeres Drehmoment aufwenden müßte, aber andererseits muß das ganze System stabil genug sein, damit es sich nicht schon bei geringer Erschütterung verstellt oder gar beschädigt wird. Denn da bewegt sich nicht eine wenige Gramm leichte Linse (wie bei der Innefokussierung von Dachkantgläsern), sondern es müssen sich die ganzen Rohre von jeweils ca. 300 g bis 600 g Masse relativ zueinander bewegen! Das sind einander so sehr widersprechende Forderungen, daß bisher alle Konstrukteure die Finger davon gelassen haben. Es ist eben nicht alles, was aus der Lieschen-Müller-Perspektive einfach aussieht, auch wirklich so einfach (Lieschen Müller meint auch, daß es doch gar nicht so schwer sein könnte, eine Rakete zu einem Jupitermond zu schicken: man muß doch nur genau in die richtige Richtung schießen; von den sich beim Flug laufend ändernden Gravitationseinflüssen der Erde, des Mondes und in der „Nähe” befindlicher Planeten sowie von Fliehkräften bei nicht geradlinigen Flugbahnen ahnt Lieschen Müller ja nichts!). Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie so mit Lieschen Müller vergleiche, aber Ihr Vorschlag sieht in der Tat wie das Lieschen-Müller-RaketenBeispiel auf den ersten Blick einfach aus, und erst, wenn man genauer darüber nachdeckt, offenbaren sich dem nicht mit solchen Dingen Vertrauten die riesigen damit verbundenen Schwierigkeiten.

Dabei sind die obengenannten Schwierigkeiten noch nicht alles. Sie müssen ja beim Porroglas zur Anpassung des Okularachsenabstandes an die Augenweite des Benutzers die beiden Fernglashälften durch gegenseitiges Verschwenken um die Achse der Fernglasbrücke bewegen können. Diese Bewegung würde sich aber der variablen Konvergenz überlagern, was die Genauigkeit weiter reduzieren und das Gesamtsystem instabil machen könnte.

Daß das Kollimieren (= das In-eine-einzige-Fluchtlinie-Bringen aller optischen Elemente von den Objektivlinsen über die Umkehrprismen bis zu den Okularlinsen) keine triviale Sache ist, sieht man daran, wie viele einfachen und Mittelklasse-Ferngläser bereits im Neuzustand mit schlechter Deckungsgleichheit beider Bilder zu finden sind. Wenn das dann auch noch bei einem beweglichen System in derselben Genauigkeit über den gesamten Entfernungseinstellbereich funktionieren und das Fernglas als Ganzes dabei auch noch mechanisch stabil bleiben soll, wäre das ein großes und bestimmt auch sehr kostspieliges Kunststück. Daß das Fernglas dabei gewiß um 200 g bis 400 g schwerer und einige hundert Euro teure würde, sei nur nebenbei bemerkt (aber diese beiden Punkte würden das Porroglas endgültig im Vergleich zum Dachkantglas zu einem aussichtslosen Konkurrenten machen).

Es käme jedoch als eine mechanisch besser zu realisierende Lösung eine variable Konvergenzeinstellung mit auf beiden Seiten gegenläufig eingerichteten „Drehkeilen” vor den Objektiven in Frage, die nach dem in Entfernungsmessern verschiedener Sucherkameras (z.B. von der alten Zeiss Ikon Ikonta, Super-Ikonta I und II bis hin zur heutigen Linhof Master-Technika) benutzen Prinzip arbeiten. Nur erzeugen solche Drehkeile ein Farbspektrum, das beim Entfernungsmesser wegen der Verkleinerung des Bildes (meistens um 0,7- bis 0,85fach) nicht stört, aber bei einem vielleicht 8fach oder 10fach vergrößernden Fernglas katastrophal wäre. Also kann man auch diese Idee begraben.

Schließlich käme noch eine weitere Lösungsmöglichkeit in Frage: Man könnte eine Achse wie die zur Einstellung auf die Augenweite einbauen, die nicht parallel zu den beiden optischen Achsen der Objekive verläuft, sondern dazu nach unten oder oben geneigt. Dann würden sich beim Schwenken der beiden Fernglashälften die beiden optischen Achsen nicht mehr parallel zueinander verschieben, sondern sich parallel zu zwei Mantellinien auf einem Kegelmantel bewegen. Wenn man die Achse so einbaut, daß in einer Schwenkposition beide Rohrachten parallel sind, dann würde eine Abweichung davon in einer Richtung beide Achsen bei Blickrichtung nach vorn konvergent und eine Abweichnung in der anderen Richtung divergent machen. Allerdings stünde diese Schwenkbrücke dann nicht mehr zur Einstellung auf die Augenweite des Beobachters zur Verfügung, sondern im Gegenteil, es würde sich der Okularachsenabstand beim Fokussieren auf verschiedene Entfernungen ungewollt immer ändern. Also müßte noch ein zweites System her, mit dem man eine gegenläufige Einstellung zur Kompensation bewerkstelligen kann (damit die Augenweitenanpassung stabil bleibt) und mit der dann zusätzlich auch auf unterschiedliche Augenweiten eingestellt werden könnte. Dies würde ein zusätzliches Rhombus-Prismensystem erfordern, wie es z.B. in den bildstabilisierenden Ferngläsern von Canon zur Anpassung an die Augenweite benutzt wird. Diese Lösung wäre mechanisch relativ stark belastbar, könnte mit guter Genauigkeit gefertigt werden und würde fast keine Farbsäume verursachen. Aber die zusätzlichen Prismen würden das Fernglas um einige Zentimeter länger und vielleicht 100 g bis 150 g schwerer machen. Da diese zusätzlichen Prismen einen mehrere Zentimeter langen Lichtweg brauchen, müßten die eigentlichen Umkehr-Porroprismen weiter nach vorn verlegt werden, wo der Strahlenbündelquerschnitt wesentlich größer ist, also dann auch die Porroprismen viel größer werden müßten. Das kostete nochmals vielleicht 200 g Mehrgewicht und ziemlich viel Geld. Da ein Porroprisma mit größerem Durchlaß proportional zum Durchmesser auch länger wird, würde eine Aufweitung des Querschnitts um nur 25% schon fast genau eine Verdoppelung des Volumens und Gewichts ergeben, denn 1,23ˆ3 = 1,953. Der viel längere Lichtweg durch das vergrößerte Porrosystem und durch das zusätzlich nötig gewordene Rhombusprisma wäre so groß, daß die stark vergrößerte sphärische und chromatische Aberration neu zu konstruierende Objektive erforderte und wahrscheinlich dennoch eine merkliche Verschlechterung einträte. Also hätten wir zwar mit diesem Lösungsvorschlag ein realisierbares und funktionierendes System, aber wiederum wesentlich teurer, größer und schwerer bei etwas verminderter Qualität. Auch das würde keim Mensch kaufen, wenn man für weniger Geld zu 2/3 des Gewichts und Volumens ein besseres Dachkantglas bekommen kann. Damit begraben wir unsere zweite Totgeburt.

Wie Sie sehen, bekommen manche Ideen bei längerem Nachdenken über die zum Funktionieren nötigen Maßnahmen und die daraus erwachsenden Konsequenzen einen völlig anderen Stellenwert – was anfangs wie ein großartiger Geistesblitz aussah, kann sich als Schnapsidee erweisen.

Walter E. Schön

PS.: Da ich wegen fast durchgearbeiteter letzer Nacht jetzt offensichtlich schon zu müde bin, um tippfehlerfrei zu schreiben (ich habe schon dreimal nachkorrigiert), höre ich jetzt mit weiteren Korrekturen auf und bitte, über eventuell verbliebene Fehler ausnahmsweise mal tolerant hinwegzusehen.
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Verbesserungsvorschlag ?

Arno Scheffer 1726 31. Juli 2005 20:31

Keine verrückte, aber wegen verschiedener Probleme eine „naive“ Idee

Walter E. Schön 1211 31. Juli 2005 22:58

Re: Keine verrückte, aber wegen verschiedener Probleme eine „naive“ Idee

Arno Scheffer 1022 01. August 2005 10:54



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