Hallo zusammen,
nachdem ich von der Zeiss-Preispolitik schwer entäuscht worden bin und auf der Arbeit eh schon Zeiss benutze, habe ich heute mal Leica eine Chance gegeben. Wollte immer mal mit Leica knipsen, aber dafür wird mir auch auf absehbare Zeit die Kohle fehlen. Ein Fernglas hingegen ist einigermaßen erschwinglich.
Von Leica gibt es diese Testaktion, wo man für eine Woche ein Fernglas geliehen haben kann, heut war für mich Tag eins mit dem 10x50 BR, also dem Vorgänger des aktuellen Topmodells. Das Glas kann derzeit für 1500€ erworben werden, liegt also 200€ unter seinem damaligen Ladenpreis und 500€ unter dem Preis des 10x50 HD.
500€ Preisunterschied?? Da muss das HD aber schon ein Kunststück vorführen können, um das Vorgängermodell alt aussehen zu lassen, oder? Sehen findet ja schließlich nicht nur im Auge, sondern auch im Gehirn statt. Ob dem kognitiven Anteil der Reizverarbeitung 3% mehr Transmission wichtig sind, weiß ich nicht genau.
Das Teil wiegt rund 1000 Gramm. Hab's den ganzen Tag mitgeschleppt. Jetzt weiß ich für mich, dass ein Fernglas zum rumtragen auf keinen Fall mehr wiegen darf. Für mich ist diese Diskussion bei diesem Punkt beendet. 1KG ist das absolute Ausschlußkriterium, Tranmission und Austrittpupille hin oder her 1000Gramm ist Grenze.
Ruhig halten ist bei diesem Gewicht und der Vergrößerung absolut grenzwertig und gegen Ende des Tages nicht mehr möglich (mit frischen Kräften ging's noch so einigermaßen für kurze Zeit (wenige Minuten).
Kontrast:
Habe mich zum ersten Mal im Leben für Blumen interessiert. Am Ende des Sommers wirkte das erste sichtbare Beet ca. 20m entfernt verwelkt und unattraktiv. Ein Blick durch das Fernglas betätigt, dass viele Blumen verblüht sind, aber die bunten Farben der verbliebenen Blüten sind plötzlich viel knackiger und intensiver, als wäre ein Farbverstärker in das Glas eingebaut. Unglaublich! Das doofe Blumenbeet konnte mich plötzlich begeistern, hätt ich nie gedacht ;-)
Auflösung:
Wußte gar nicht wie viel Mühe sich die Menschen früher mit dem Stuck an Altbauten gegeben haben. Habe mich mit dem Glas in ein Cafe gesetzt und Häuserfassaden angeschaut. Da kommen plötzlich unglaublich viele Details zum Vorschein. Das Bild wirkt sehr plastisch. Sonst kenne ich solche Details nur von Fotos in 2D. Das Glas erlaubt den Einstig in die 3. Dimension. Toll! Sogar das Profil der Autoreifen auf der 20m entfernten Kreuzung kann ich erkennen (weiß noch nicht wofür das gut sein kann, aber gut zu wissen das es möglich ist;-)
Habe eben mal in das Sternbild vom großen Wagen geschaut (mitten aus der Innenstadt heraus). Da wo mit dem Augen die typischen 7 Sterne zu sehen waren sind plötzlich dutzende!! Wo kommen die denn plötzlich alle her? Bin mal gespannt wie das außerhalb der Stadt ist, wenn's nicht der "graue" Nachthimmel ist, sondern der "schwarze" :-)
Allerdings sehe ich keine Sterne sondern eher Glühwürmchen - ohne Stativ habe ich da leider keine Chance. Selbst am Balkongitter abstützen reicht "verwackelungstechnisch" nicht aus :-(
Wehrmutstropfen:
bei Häuserfassaden mit ausgedehnten horizontalen und vertikalen Strukturen ist das Bild massiv kissenförmig verzeichnet. Bei Naturbeobachtungen fällt mir das nicht so auf, aber z.B. bei Hochhäusern ganz extrem! Jetzt, wo ich das hier schreibe und auf meinen 20" 16:10 Monitor schaue, hat der irgendwie auch 'ne Delle oben im Rand :-( Sollte wohl besser nicht den ganzen Tag durch das Glas schauen.
Farbfehler:
ganz ohne Problem kann man bei Motiven mit hohem Kontrast (z.B. schwarze Zahlen auf weißem Nummernschild, weißer Fensterrahmen in dunkler Fassade oder zwischen Uferböschung und spiegelnder Wasserfläche) einen, besser zwei Farbsäume sehen. Der eine Farbsaum ist "neonlila", der andere "neongrün". Die Farbsäume liegen sich quasi gegenüber. Schwer zu beschreiben, sieht man aber direkt. In der Natur (Bäume, Blumen, Wiesen Vögel) fällt's aber nicht auf (vielleicht bei einem schneeweißen Schwan in gleißendem Sonnenlicht).
Gegenlicht:
bei Gegenlicht (also in Richtung Sonne gucken) sieht man deutlich milchig weiße Areale am Bildrand. In der Bildmitte, da wo ich mir eh die entscheidende Bildinformation herhole ist aber alles in tollen Farben zu erkennen!
Bildschwenk:
Die Hölle! Wenn ich einen Vogel beim Abflug nachverfolgen möchte wird's schwer, weil der ruckzuck aus dem Bild ist. Gelingt es mir doch, bereue ich es fast wieder, weil mir fast übel wird. Völlig neues Gefühl für mich. Zugfahren gegen die Fahrtrichtung ist für mich nie ein Problem gewesen. Aber schnelle Schwenks mit dem 10x50 gehen gar nicht. So stelle ich mir das vor wie das bei Leuten ist, die nicht rückwärts im Zug sitzen können, oder Seekrankheit. Vielleicht muss ich das erst trainieren.
Naheinstellgrenze:
Habe mich immer gewundert, warum das bei einem "Fern"-Glas ein Thema ist. Habe diesem Punkt nie Bedeutung beigemessen, weil ich ja in die Ferne gucken wollte und weit entferntes nah heranholen wollte. Aber wem sage ich das, weit gefehlt. Die Biene im Beet bei der Arbeit vor meinen Füßen, die bunt schillernde Fliege am Nachbartisch - da tun sich ja plötzlich ganz neue Welten auf!!
Wußte gar nicht das alle Spatzen total unterschiedlich aussehen. Das Gefieder ist ja bei jedem individuell total verschieden.
Mal gucken, ob ich das HD Glas überhaupt noch testen werde...
Viele Grüße
Scooter
p.s.: kennt jemand Redmond O´Hanlon?
