Das ist normal und kann gar nicht anders sein: Sie halten das Fernglas nicht so stabil auf ein Ziel ausgerichtet wie ein Stativ. Also verschiebt sich zwangsläufig die Blickrichtung und damit der Bildausschnitt ein wenig. Wenn Ihr Fernglas aber nun aufgrund Ihrer Handbewegung in eine andere Richtung zeigt, kann Ihnen das Fernglas nicht denselben Bildausschnitt darstellen, auf den es vorher gerichtet war. Im Extremfall könnten Sie z.B. das Fernglas ganz langsam um 180° schwenken, und daß Sie dann nicht mehr im Fernglas das sehen können, worauf das Fernglas zuvor ausgerichtet war (und was sich jetzt nach der Schwenkung hinter Ihrem Rücken abspielt), leuchtet doch ein. Das Fernglas muß also dem „Mittelwert Ihrer Zitterbewegung“ langsam folgen.
Der Korrekturbereich zur Elimination dere Zitterbewegung ist nur ein sehr kleiner Winkelbereich. Ich kenne ihn beim Zeiss 20x6o S nicht, aber er könnte irgendwo in der Größenordnung von 1° (oder ±0,5°) sein. Wenn Sie nun etwas mehr zittern, und das ist bei dem hohen Gewicht dieses Fernglas spätestens nach einer Minute der Fall, dann würde keine weitere Ausgleichsbewegung über diese Grenze hinaus möglich sein, erst recht, wenn Sie ganz bewußt das Fernglas langsam schwenken. Also muß die Konstruktion so ausgelegt sein, daß sie nach jeder Verschiebung des Bildausschnitts (also nach jeder Zitterbewegung) langsam – damit das Auge der Bewegung gut folgen kann und die gebotene Detailauflösung erhalten bleibt – das Korrektursystem in seine neutrale Mittellage (Ruhelage) zurückführt. Es handelt sich also strenggenommen nicht um eine Bildstabilisierung, sondern in der physikalischen Terminologie um eine „Bedämpfung“ der Zitterbewegung; man könnte auch von einem Tiefpaßfilter für die Zitterfrequenz sprechen, das die langsamen Bewegungen (= niedrige Frequenz) durchläßt und die schnellen (= hohe Frequenz) sperrt*). Dieses langsame Zurückführen, das notwenig ist, um weitere Zitterbewegung in allen Richtungen voll ausgleichen zu können, sehen Sie als ein „sanftes Schwanken“ des Bildes. Es geht nicht anders!
Voraussetzung für ein möglichst ruhiges Bild, bei dem dieses Schwanken auf einem nicht störenden niedrigen Niveau bleibt, ist eine bereits halbwegs ruhige Hand. Die Bildstabilisierung ist also keine Garantie für ein stabiles Bild auch bei heftigen Handbewegungen. Versuchen Sie, das Fernglas so zu halten und bei der Beobachtung so ruhig zu atmen, wie es Ihnen möglich ist. Probieren Sie verschiedene Handhaltungen aus. Ich beispielsweise halte größere Ferngläser am stabilsten so, daß ich sie mit der rechten Hand (ich bin Rechtshänder) nahe dem Okular so greife, daß ich die Fokussierwalze bequem bedienen kann, und mit der linken Hand so weit wie möglich vorn am Objektivtubus des linken Rohres umfasse. Dabei sind die beiden Haltestellen weit auseinander, was die Stabilität erhöht. Versuchen Sie es auch mal so.
Alternativ sollten Sie ein leichtes Einbeinstativ benutzen. Es hilft Ihnen erstens, das sehr schwere Fernglas auch lange Zeit ermüdungsfrei am Auge zu halten, weil das Gewicht vom Stativ getragen wird und Ihre Arme entlastet werden. Die verbleibenden Zitterbewegungen um die vertikale Achse (also das „Links-rechts-Zittern“) wird dann perfekt von der Bildstabilisierung des Fernglases unterdrückt.
Walter E. Schön
Nachtrag zum 2. Absatz:
*) Falls Sie zufällig im Bereich Elektrotechnik zu Hause sein sollten, kann der Vergleich mit einem Siebkondensator nach einem Gleichrichter zur Glättung der Spannungsschwankungen hilfreich sein: Der Siebkondensator „schluckt” die schnellen Spannungsschwankunen, baut aber gleichwohl eine langsam schwankende Ladung auf, die ein langsam schankendes Spannungspotential zur Folge hat. Die Analogie ist: Wechselspannung = Zittern, Gleichspannung = ruhige Haltung bzw. ruhiges Bild.