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Durchs Fernglas müssen Sie im Nahbereich mehr „schielen“

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31. Mai 2006 13:39
Ihr Problem besteht darin, daß Sie bei der beidäugigen Nahbeoachtung die Achsen beider Augen stark konvergent ausrichten müssen, was Ihnen offenbar schwerfällt oder als anstrengend empfunden wird. Ich vermute, daß Sie weitsichtig sind. Die Ursache Ihres Problems und warum ich bei Ihnen Weitsichtigkeit vermute, will ich gern erklären (bitte lesen Sie auch dann weiter, wenn Ihnen mal ein Satz oder eine Formel zu kompliziert sein sollte):

Ein Fernglas kann aufgrund seiner Vergrößerungswirkung SCHEINBAR einen fernen Gegenstand „heranholen“. Das heißt aber keineswegs (und darum hatte ich im ersten Satz „SCHEINBAR“ geschrieben), daß der Beobachter das virtuelle Bild in einer kürzeren als der tatsächlichen Entfernung sehen muß. Wo, d.h. in welcher physikalisch meßbaren Entfernung sich das virtuelle Bild tatsächlich befindet, hängt von der individuellen Fokussierung ab. Durch Drehen der Fokussierwalze kann jeder Beobachter passend zu seiner individuellen Sehschärfe das virtuelle Bild dahin verlagern, wo es ihm am angenehmsten ist. Ein nicht fehlsichtiger oder ein seine Fehlsichtigkeit mit Brille oder Kontaktlinsen korrigierender Beobachter könnte z.B. das virtuelle Bild nach unendlich verlagern (so wird es jedenfalls beim Zeichnen des Strahlengangs und bei Berechnungen optischer Fernrohrsysteme der Einfachheit angenommen). In praxi sieht es ein wenig anders aus: Er wird wahrscheinlich so fokussieren, daß das virtuelle Bild in einer Entfernung von ca. 2 m liegt, denn etwa auf diese Entfernung (oder gar ein bißchen näher) stellt sich das Auge im entspannten Zustand ein. Für den Laien stellt sich da natürlich sofort die Frage, warum man dann beim Blick durchs Fernglas in den Nehbereich so stark schielen muß, wo doch klar ist, daß ein deutliches Schielen erst dann notwendig wird, wenn man einen extrem nahen Gegenstand (z.B. seine Nasenspitze) zu betrachten versucht!

Der Grund dafür ist, daß es noch einen zweiten vom Fernglas verursachten Effekt gibt, der zwar mit der Entfernung des virtuellen Bildes nichts zu tun hat, aber die Winkelstellung der Augen (die sog. Vergenz) betrifft: Das linke Auge sieht ein scharfes Bild in z.B. 2 m Abstand und das rechte Augen ebenfalls. Aber beide Bilder sind nicht identisch. Da die optischen Achsen beider Rohre des Fernglases exakt parallel verlaufen müssen, damit man in großer Entfernung beide Bilder ohne Doppelkonturen zur Deckung bingen kann, sieht man im Mittelpunkt des kreisförmigen Bildes links einen anderen Gegenstand als rechts. Würde man aus beliebiger Entfernung eine Hauswand in einer Richtung rechtwinklig zur Fassade betrachten und hätte man in jedem Fernglasrohr ein exakt zentriertes Fadenkreuz, so könnte man mit dessen Hilfe auf der Hauswand fürs linke und fürs rechte Auge je einen Punkt (z.B. mit einem kleinen Bleistiftkreuz) markieren, den man genau in der Bildmitte sieht. Es leuchtet sicher auch mathematisch Unbedarften ein, daß bei Verwendung eines korrekt kollimierten (= auf exakt parallele optische Achsen justierten) Fernglases die so auf der Hauswand durch Kreuze markierten Punkten unabhängig von der tatsächlichen Entfernung des Betrachters von der Hauswand genau so weit nebeneinander liegen müssen wie die Mitten der Fernglasobjektive, bei einem Dachkantfernglas also im Abstand von z.B. ca. 7 bis 8 cm und bei einem Porrofernglas mit weiter auseinander liegenden Objektiven im Abstand von ca. 12 bis 14 cm.

Damit der Fernglasbetrachter die um eben diesen Abstand gegeneinander verschobenen Bilder im Gehirn zur Deckung bringen kann, darf er nicht mit dem linken Auge das linke Kreuz auf der Hauswand und mit dem rechten Auge das rechte Kreuz fixieren (dabei wären die Achsen beider Augen genauso wie die der beiden Fernglasrohre exakt parallel), sondern er muß beide Augen auf DENSELBEN Punkt fixieren, also z.B. auf einen Punkt genau in der Mitte zwischen diesen beiden Kreuzchen. Er muß also bei großer Entfernung das linke Auge um einen sehr kleinen Winkel nach rechts und das rechte Auge um einen ebenso kleinen Winkel nach links ausrichten, so daß nun die beiden Augenachsen zu diesem Mittelpunkt hin „konvergieren“.

Dasselbe macht der Betrachter natürlich auch ohne Fernglas. Wenn z.B. die Wand 10 m (= 10000 mm) weit weg und die Augenweite des Beobachters 66 mm wäre, muß das linke Auge an der Auswand von der parallelen Richtung um 33 mm nach rechts und das linke um ebensoviel nach links abweichen. Die in der Fachsprache der Augenärzte und Augenoptiker als „Fusionswinkel“ bezeichnete Winkelabweichung jedes Auges beträgt, wie man leicht berechnen kann:

Fusionswinkel (10 m, Auge) = arc tan (33 mm : 10000 mm) = arc tan 0,0033 = ca. 0,189°

Nun nehmen wir an, daß derselbe Betrachter mit einem Kompaktfernglas 10x25 vor derselben Hauswand steht (der Einfachheit wegen wähle ich ein Kompaktfernglas, weil bei diesem die Objektive genauso weit auseinander liegen wie die Augen des Beobachters, in unserem Falle also 66 mm; bei einem größeren Dachkant- oder erst recht bei einem Porroglas müßten wir jetzt mit einem deutlich größeren Abstand rechnen, was wir uns beim Kompaktfernglas ersparen). Er sieht also alles 10fach vergrößert. Das ist gut so. Aber nicht sehr gut, denn er sieht jetzt den Abstand zwischen den beiden äußeren Kreuzchen auf der Hauswand nicht mehr 66 mm groß, sondern scheinbar 660 mm groß. Da er aber auch durchs Fernglas bei exakt paralleler Augenachsenausrichtung mit dem linken Auge das linke Kreuzchen in der Bildmitte sieht und mit dem rechten Auge das rechte Kreuzchen, müssen jetzt beide Augen viel stärker konvergieren, um sich gemeinsam auf den Punkt in der Mitte zwischen beiden Kreuzchen auszurichten. Seine Augen haben also jetzt einen fast exakt 10mal so großen Fusionswinkel, nämlich

Fusionswinkel (10 m, Fernglas) = arc tan (330 mm : 10000 mm) = arc tan 0,033 = ca. 1,89°

Auch dieser Fusionswinkel ist noch kein Problem, denn es ist genau derselbe, den der Beobachter hätte, wenn er ohne Frenglas aus 1 m Entfernung auf die Mitte zwischen beiden Kreuzchen geschaut hätte. Wir sehen also, daß der Fusionswinkel mit Fernglas sich so vergrößert, als ob sich die Beobachtungsentfernung um den Kehrwert der Fernglasvergrößerung verkürzt hätte – z.B. bei einem 10fach vergrößernden Fernglas auf 1/10 der tatsächlichen Entfernung oder bei einem 8fach vergrößernden auf 1/8 der Entfernung.

Nun kommen wir zum Nahbereich. Wenn Sie mit einem 10fach vergrößernden Fernglas einen Gegenstand in 4 m Entfernung betrachten, sehen Sie zwar je nach Ihren individuellen Fokussierung das virtuelle Bild in nach wie vor größerer Entfernung (meistens irgendwo zwischen 2 m und unendlich), aber um die beiden gegeneinander verschobenen Bilder beider Augen zur Deckung bringen zu können, müssen beide Augen so weit einwärts gerichtet sein, als ob Sie diesen Gegenstand in nur 4 m : 10 = 0,4 m Entfernung betrachteten. Einen Gegenstand mit bloßen Augen, also ohne Fernglas in 40 cm Entfernung zu betrachten, macht noch niemandem Mühe. Aber wenn wir jetzt die Fernglas-Nahbeobachtung auf 2 m versuchen, so müssen unsere Augen jetzt so konvergieren, als betrachteten Sie ohne Fernglas einen Gegenstand in nur 20 cm Abstand. Das sollte eigentlich auch noch möglich sein (weshalb es viele Ferngläser mit Naheinstellung bis ca. 2 m gibt), aber bei manchen Menschen gibt es dann doch schon Probleme. Betroffen sind davon vor allem Weitsichtige! Der Grund ist, daß weitsichtige Menschen in sehr kurzer Entfernung nicht scharf sehen und daher bestrebt sind, möglichst immer eine größere Mindestdistanz (z.B. 0,5 m oder gar mehr) einzuhalten. Dann konvergieren die Augen aber auch weniger, und darum fehlt den Weitsichtigen die Übung, ihre Augen stärker konvergieren zu lassen, und es fehlt die Gewöhnung an diesen Zustand. Umgekehrt ist es bei Kurzsichtigen. Ich kann z.B. (mit ca. -5 dpt) dann, wenn ich etwas Kleines ganz genau betrachten möchte, z.B. ein Insekt, ein Uhrwerk oder den Druckraster eines Bildes, bei abgenommener Brille locker bis 15 cm an den Gegenstand herangehen und sehe ihn dann so perfekt wie ein nicht Fehlsichtiger ihn erst mit einer stärkeren Lupe sehen könnte. Bei dieser sehr kurzen Entfernung müssen meine Augen natürlich sehr stark konvergieren (schielen), aber da ich seit Jahrzehnten Übung in solcher Nahbeobachtung habe, bereitet mir (und anderen Kurzsichtigen) das keine Mühe.

Wenn Sie sagen, daß Sie schon unter 4 m Probleme haben, muß ich annehmen, daß Sie entweder stärker weitsichtig sind oder eine Augenfehlstellung haben (Auswärtsschielen), die so gering sein könnte, daß sie Ihnen noch gar nicht aufgefallen ist, aber bei der Fernglasbeobachtung störend wirksam wird.

Wie könnte man nun erreichen, daß man mit dem Fernglas auch auf sehr kurze Entfernungen ohne solche Konvergenzprobleme beobachten kann? Es gibt zwei Möglichkeiten:

1. Ferngläser nach dem umgekehrten (inversen) Porrosystem haben zwischen den Objektiven einen kleineren Abstand als zwischen den Okularen. Folglich tritt das Konvergenzproblem nur in etwa halber Stärke auf und man kann mit gleicher Konvergenz bis auf die Hälfte der sonst möglichen Entfernung an den Gegenstand heran. Aber auch das hat dann eine Grenze, die für Sie etwa bei 2 m liegen dürfte. Für den Fall, daß Ihr jetziges Fernglas ein Porroglas sein sollte, wäre der Umstieg auf ein Dachkantglas zu empfehlen.

2. Wenn man die beiden Fernrohre des Fernglases nicht parallel ausrichtet, sondern genau auf einen Schnittpunkt der opt. Achen in der Beobachtungsentfernung konvergieren läßt, entstehten überhaupt keine Konvergenzprobleme mehr. Aber dann müßte die Ausrichtung der beiden Rohre veränderlich sein und wechselnden Entfernungen immer angepaßt werden. Das erforderte einen riesigen mechanischen Aufwand (der dennoch realisierbar, aber sehr teuer wäre und das Fernglas größer und schwerer machte), zumal dabei zur Vermeidung von Doppelkonturen eine sehr hohe Justierstabilität nötig wäre. Das Prinzip eines solchen für beide Augen konvergenten Strahlengangs kennt man übrigens von Stereomikroskopen, wo die Betrachtungsentfernungen so winzig sind, daß man ohne einen solchen Trick die beiden Bilder des linken und rechten Auges nie zur Deckung bringen könnte.

Im Prinzip wäre es sogar möglich, durch zwei im Fernglas eingebaute oder beiden Objektiven vorgesetze, mit der Fokussierung synchronisierte Ablenkprismen (Abatscher Keil oder besser Drehkeilpaar, das sich sogar ohne chromatische Fehler aus je vier Prismenkeilen bauen ließe) für jede Beobachtungsentfernung das Konvergieren der Augen ganz überflüssig zu machen. Vielleicht liest hier ein Fernglashersteller mit, der diese Idee für ein sowohl für Fern- wie extreme Nahbeobachtung taugliches Fernglas mit achromatischen Drehkeilen zum Konvergenzausgleich aufnimmt und in die Tat umsetzt (ich möchte dann, bitteschön, als Dank für diese Idee ein solches Fernglas haben!). Es wäre ein ideales Beobachtungsgerät für alle Naturfreunde, die damit von unendlich bis in den Nahbereich noch unter 1 m völlig unangestrengt beobachten könnten.

Walter E. Schön

PS.: Ich hoffe, daß sich nicht wieder jemand beklagt, daß ich mit derart langen und ausführlichen Beiträgen viele Leser (oder deren Geduld) überfordere. Wem so ein Beitrag zu lang oder zu anstrengend ist, der braucht sich nicht zu beschweren, sondern sollte den Beitrag einfach ignorieren.
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Warum ist der Nahbereich mit 2 Augen so anstrengend?

Oliver Talheim 2125 31. Mai 2006 10:43

Re: Warum ist der Nahbereich mit 2 Augen so anstrengend?

Achim 1064 31. Mai 2006 12:21

Durchs Fernglas müssen Sie im Nahbereich mehr „schielen“

Walter E. Schön 3035 31. Mai 2006 13:39

Re: Durchs Fernglas müssen Sie im Nahbereich mehr „schielen“

Oliver Talheim 1202 31. Mai 2006 14:03

Sehr viele Menschen haben einen leichten Schielfehler

Walter E. Schön 1744 31. Mai 2006 15:48



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