Auch ich stimme dem zu, und ich gehe sogar noch weiter: Der normale, also nicht akustisch präparierte bzw. gar optimierte Wohnraum erzeugt aufgrund stehender Wellen und ungünstigen Nachhallverhaltens fast immer weit größere Klangverfälschungen*, als die Unterschiede nicht nur bei guten Kabeln (Mindestqualität ist natürlich erforderlich), sondern auch bei Verstärkern, Tunern, CD-Spielern usw. über ca. 1000 Euro oft auch noch deutlch darunter ausmachen. Diese Ignoranz der Fachzeitschriften, der Elektronikhersteller und der allermeisten sog. HiFi-Freaks (vor allem der High-End-Freaks) war schon vor ca. 20 Jahren einer der Gründe, weshalb ich den HiFi-Bereich als Teil meiner beruflichen Tätigkeit neben der Fototechnik verlassen hatte. Ich war u.a. Chefredakteur von Stereoplay und habe das bis heute in Deutschland meistverkaufte HiFi-Buch geschrieben (115000 Exemplare, natürlich inzwischen veraltet, da die letzte Auflage von 1979 stammt). Ich kenne die Branche bestens. Der andere Grund war die zunehmende Einflußnahme der Anzeigenabteilung mit Unterstützung der Verlagsleitung auf die Redaktionen, letztlich mit der Folge auch zunehmender Korruption. Auch dazu könnte ich Beispiele nennen.
* Diese Tatsache hat mich vor ca. 4 Jahren veranlaßt, mit der Arbeit an einem Buch über Raumakustik für HiFi-Freunde zu beginnen. Ich habe dann aber dem etwas später gereiften Projekt Fernglasbuch den Vorrang eingeräumt und die Arbeit am Raumakustikbuch vorübergehend eingestellt. Aber wenn das Fernglasbuch mal fertig ist, werde ich mich wieder der Raumakustik zuwenden und hoffentlich auch dieses Projekt realisieren könne. Irgend jemand muß den HiFi-Zeitschriften-Redakteuren und ihren Lesern reinen Wein einschenken und endlich sagen, daß 1000 Euro in Raumakustik-Maßnahmen investiert eine 5000-Euro-Hifi-Anlage weit besser klingen lassen als eine 50000-Euro-Anlage mit 5000-Euro-Kabeln ohne Raumakustik-Verbesserung. Die Zeitschriften machen leider nur Anzeigenumsatz mit den Elektronikgeräte-Herstellern und nicht mit den Lieferanten von Gipskarton-Lochplatten, Steinwolle, Akustikschaum usw.
Nicht alle Fachjournalisten dieser Branche sind bestechlich oder auch nur nachgiebig, aber sehr viele. In der Fotozeitschriftenbranche ist es zwar besser, aber auch da geht die Tendenz in dieselbe Richtung. Die in Fotozeitschriften aber auch nicht seltenen Fehlurteile oder Auslassungen wichtiger Kriterien geht allerdings weniger auf Druck seitens der Industrie oder Anzeigenabteilung oder gar auf Bestechung zurück, sondern häufiger auf Inkompetenz. Ein gründlicher und umfassender Test, der alle für den Anwender wichtigen Kriterien berücksichtigt, kostet Know-how, viel Arbeit und auch Geld (wegen der Geräte und bei analoger Fotografie auch wegen des Materialverbrauchs). Die heute von Fotozeitschriften bezahlten Honorare können diesen notwendigen Aufwand nicht mehr decken, also braucht man sich nicht zu wundern, daß die Ergebnisse entsprechend mager bis schlecht sind.
In anderen Zeitschriften, die sich unseren Forums-Objekten, also den Ferngläsern widmen, ist diese Situation leider noch schlimmer. Wenn überhaupt irgendwo ein Fernglastest erscheint, so ist das (von der Stiftung Warentest mal abgesehen) eine Astro-, Jäger-, Ornithologen- oder Seglerzeitschrift. Die Kernkompetenz (so diese überhaupt einen solchen Namen verdient) der betreffenden Redakteure liegt nicht auf dem Gebiet der Optik und Feinmechanik, sondern entsprechend im astronomischen, jagdlichen, vogelkundlichen oder maritimen Bereich. Es gibt höchstens ab und zu mal unter diesen Leuten jemanden, der etwas tiefergehende Optikkenntnisse hat, leider viel zu selten. So ist es nicht verwunderlich, daß man dann in solchen Fernglastests z.B. lesen kann, daß Fernglas Leiss 8x50 eine größere Schärfentiefe habe als Ferngals Nikowski 8x50 oder daß manche Textpassagen zu technischen Details wie dielektrische Verspiegelung oder fluoridhaltiges Glas weitgehend wörtlich aus Prospekten und Internetseiten der Hersteller abgeschrieben sind.
Ich habe in fast 20 Jahren als freier Autor und als Chefradakteur von Fotozeischriften u.a. schätzungsweite ca. 50 SLR-Kameras und ca. 500 Objektive wirklich gründlich gestestet, aber mit einem Aufwand, wie ihn sich heute keiner mehr leisten kann und auch keine Zeitschrift mehr bezahlt. Ich war der erste Tester, der nicht nur geschrieben hat, dieses Produkt sei gut, jenes sehr gut und das eine sogar exzellent, sondern der auch klipp und klar gesagt hat, daß das eine oder andere Objektiv miserabel oder gar unbrauchbar ist. Zwei Firmen hatte das sogar die Existenz gekostet. Ich habe damals viele Schadenersatzdrohungen erhalten, auch von sehr namhaften Firmen, aber nachdem ich diesen Firmen meine Belege gezeigt und über die Details gesprochen habe, nicht einen einzigen Prozeß führen müssen. Ich wüßte nicht, welcher heutige Tester einer Foto- oder sonstigen testenden Fachzeitschrift ähnlich Klartext spricht. Stellt sich im Text heute ein Produkt als so schlecht heraus, daß man beim besten Willen keine Formulierung finden kann, es noch schönzureden, so nimmt man es einfach aus dem Testfeld heraus und vermeidet so die Konfrontation mit dem Hersteller und Anzeigenkunden. Das alles ist sehr traurig, aber wahr.
Es ist daher gut, daß es heute dank Internet solche Foren wie dieses gibt, in denen es keine Einflußnahme durch Anzeigenabteilungen oder gekränkte Hersteller gibt und ein intensiver Erfahrungsaustausch vieler Anwender möglich ist, von denen zwar jeder seine individuellen Ansichten und Präferenzen haben darf, aber in der Summe ein ausgewogenes und bei kitischem Filtern auch sehr zutreffendes Urteil zu vielen Produkten abzuleiten ist.
Walter E. Schön
