Die teils kontroversen Diskussionen zur Wiedereinführung des 50 Jahre alten Leitz Trinovid - nicht nur hier, sondern auch auf dem Birdforum - laden geradezu dazu ein, einmal darüber nachzudenken, was eigentlich ein 'modernes bzw. 'gutes' Fernglas ausmacht.
Der Ausgangspunkt: Dies ist, so weit ich mich erinnere, ein bisher einmaliges Ereignis in der Fernglasgeschichte: Eine Modellreihe, die, was die Anzahl an Innovationen betrifft, vor einem halben Jahrhundert das Maß aller Dinge war, unternimmt eine Zeitreise und landet im 21. Jahrhundert, wo sie mit Hilfe der neuesten Vergütungstechnologie einer Art Verjüngungskur ausgesetzt wird. Somit haben wir erstmals die Gelegenheit, die Designphilosophien unterschiedlicher Zeitalter miteinander zu vergleichen, ohne dass dabei eine unüberwindbare technologische Lücke übersprungen werden muss. Zwar konnten wir auch vorher schon ein antikes Leitz Trinovid mit einem modernen Swaro SV oder Zeiss SF vergleichen, aber die enormen Kontrastunterschiede, die mit den Fortschritten in der Beschichtungstechnologie einher gingen, ließen solche Vergleiche bisher als belanglose Spielereien erscheinen. Das hat sich jetzt geändert.
Waren die Leitz Trinovid der 1960er Jahre die absolut besten Ferngläser ihrer Zeit? Von der optischen Leistung eher nicht: Den P-Belag gab es noch nicht, die Metallverspiegelung an den Uppendahl Prismen führte zu Lichtverlusten. Ich habe keine Zahlen, aber die Transmission dieser Trinovid Gläser war sicher unterhalb von 70%. Was Helligkeit und Kontrast, letztlich Auflösungsvermögen anbetrifft, waren die Zeiss Porros dieser Epoche den Trinoviden sichtbar überlegen. Dennoch wurden die Leitz Gläser schnell zu Rennern, weil sie gut aussahen, leicht und kompakt waren, zunehmend brillenfreundlich wurden (die Zeiss Porros hatten AP-Längsabstände von 9mm, die Trinovide immerhin bald 15mm), und mit der echten Innenfokussierung auch technisch raffinierter waren. Wasserdicht waren sie trotzdem nicht: So wie auch die Porros aus Oberkochen waren die Trinovide spritzwasserfest, wobei die Dialyte von Hensoldt (die dann kurz darauf von Zeiss vermarktet wurden) nicht einmal das waren.
Ausgestattet mit P-Belag, dielektrischem Spiegel und neuer Vergütung, sind die bedeutendsten Schwächen der alten Trinovide eliminiert. Was sonst hat sich in den folgenden 50 Jahren getan? Leitz/Leica kam Anfang der 90er Jahre mit den BA Modellen, die vor allem mechanisch robuster waren (daher auch schwerer), vom optischen Design her jedoch unwesentlich verbessert waren. Diese Tatsache ist leicht zu übersehen, da mir den BA der P-Belag und natürlich auch effektivere Mehrfachvergütungen eingeführt wurden. Allerdings hatten die Trinovid BA bereits eine Innenfokussierung über eine Fokussierlinse zwischen Objektiv und Prisma - eine Technik, die bald zum Standard werden würde. Bis in die 1990er Jahre blieben Verbesserungen im optischen Design der Okulare weitgehend auf das schrittweise Verlängern der AP-Längsabstände beschränkt. Allmählich sickerten jedoch auch Innovationen in der Glasherstellung (ED Gläser) in die Fernglastechnik ein, um die Farbsäume zu bekämpfen (die, wie böse Zungen behaupten, u.a. erst mit dem Aufkommen der Fokussierlinse wirklich problematisch wurden). Erst Swarovski begann dann damit, substantielle Änderungen im optischen Aufbau der Okulare vorzunehmen, die deutlich komplexer wurden und mit Bildfeldebnungslinsen ausgestattet waren. Die neuesten Modelle, Swaro SV, Zeiss SF, auch das Leica Noctivid, sind durchweg mit solchen komplexen Okularen ausgestattet, die eine mehr oder weniger perfekte Randschärfe erlauben und auch die laterale chromatische Aberration (Farbsäume) gut im Griff haben. Nebenbei sind sie allesamt voll brillentauglich und natürlich druckwasserdicht.
Die Frage stellt sich also: Wie kann ein Trinovid mit dem klassischen optischen Aufbau der 1960er Jahre gegen die Technologiemonster unserer Zeit bestehen? Es ist letztlich die Frage, wie wichtig uns die Innovationen insbesondere der letzten 20 Jahre sind. Ist eine hohe Randschärfe für den Alltagsgebrauch wichtig? Man beachte, dass die Bildfeldebnung nicht ganz ohne Nebenwirkungen blieb: Oft kam es zu Modifikationen der Verzeichnungskurve, die negative Auswirkungen auf das Schwenkverhalten des Fernglases hatten. Manchen Anwendern kommt die alte Auslegung der Okulare mit Bildfeldkrümmung auch irgendwie natürlicher vor (was mit individuellen Sehgewohnheiten zu tun haben kann). Die vergrößerten Austrittspupillen-Längsabstände sorgten für größere und schwerere Okulare, die im Einblickverhalten auch nicht immer ganz unproblematisch waren. Zumindest ohne Brille lieferten die alten Trinovide dagegen einen einwandfrei entspannten Einblick. Eine druckwasserdichte Ausführung ist zweifellos von Vorteil, und moderne ED Gläser hatten ebenfalls einen positiven Effekt auf die Bildgüte. Diese Innovationen, sowie der kurze Nahpunkt für die Insektenbeobachtung, fehlen beim modernisierten Leica Trinovid.
Ich vermute dennoch, dass mit diesen Trinoviden eine Fernglasreihe erscheint, die trotz ihrer Schwächen viel Spaß machen kann. Im zentralen Teil des Bildfeldes wird es, was das Auflösungsvermögen angeht, keine Unterschiede zu den modernen Optiken geben. Vielleicht gibt es sogar einen kleinen Vorteil: Der optische Aufbau ist einfach gehalten: anders als heute, wo man versucht, eine möglichst hohe optische Leistung über das gesamte Bild zu erzielen, hat man damals hauptsächlich die Mitte optimiert und den Rand dann zunehmend weich werden lassen. Das Schwenkverhalten des alten Trinovid war unproblematisch, weil es eine klassisch hohe kissenförmige Verzeichnung hatte. Das Sehfeld ist zumindest beim 7x35 wirklich kompetitiv. Sehr leicht und kompakt sind sie alle, und mechanisch hoffentlich genauso gut wir vor 50 Jahren, als die Fokussierung noch rund und ohne Macken lief. Nicht zuletzt kosten sie auch nur etwas mehr als die Hälfte der modernen Boliden.
Ich meine, die Trinovide haben das Potential, viel Spaß zu bieten, vor allem für denjenigen, der auf Spaziergängen oder auf Reisen ein schönes Fernglas dabei haben und dieses in erster Linie zum Vergnügen einsetzen will. Der professionelle Ornithologe wird solch ein Gerät sicher links liegen lassen, oder eben als Zweitglas im Koffer dabei haben - schwer ist es ja nicht.
Viele Grüße,
Holger