Es freut mich sehr, daß endlich einmal ein Jugendlicher aktiv wird und dann auch noch einen offensichtlich recht sorgfältigen Test durchführt und (insbesondere für einen, der noch nicht über langjährige Erfahrung mit verschiedenen Ferngläsern verfügt) bemerkenswert neutral urteilt, also nicht das eigene Fernglas ausschließlich positiv darstellt, sondern auch kritisch seine Schwächen erkennt und nennt. Es sind – bis auf die nicht erwähnte Streulichtempfindlichkeit bei Gegenlicht – alle wichtigen Aspekte geprüft und beschrieben worden. Dafür großes Lob!
Da ich noch immer wenig Zeit habe, muß ich mich bei den erbetenen Antworten recht kurz fassen:
1. Einfluß des Auges beim Schärfetest.
Sofern die Sehschärfe des Auges gut ist (Visus 1 oder höher, keine Linsentrübung, keine Farbsehschwäche), werden sich beim Schärfetest mit den meisten Ferngläsern kaum Unterschiede in der Beurteilung durch verschiedene Augen ergeben. Nur bei den allerbesten Ferngläsern können „schärfere Augen“ eventuell noch Schärfeunterschiede wahrnehmen, die „weniger scharfe Augen“ nicht bemerken. Die Erfahrung und das Wissen, wie (an welchen Objekten, unter welchen Beleuchtungsverhältnissen, nach sorgfältiger Einstellung auf die eigene Augenweite usw.) man die Schärfe prüfen muß, spielt dann oft eine viel größere Rolle als die Sehschärfe.
Bei stärkerem Astigmatismus, der bei Tageslichthelligkeit oft gar nicht bemerkt wird, kann jedoch dann die Beuteilung deutlich erschwert werden, wenn man bei geringer Helligkeit, also mit weit offener Pupille testet.
In einem Punkt sind die Eigenschaften des Auges allerdings sehr wichtig: Wenn man die Randschärfe prüft, die bei den meisten Ferngläsern zu einem erheblichen Teil durch Bildfeldwölbung verursacht wird, hängt das Ergebnis sehr stark davon ab, wie gut die Akkommodationsfähigkeit des Auges ist (= Fähigkeit, sich auf sehr unterschiedliche Entfernungen scharfzustellen), die wiederum vor allem vom Alter der Testperson abhängt. Junge Menschen um 20 Jahre können um ca. 12 dpt (Dioptrien) akkommodieren, Menschen um 45 Jahre, wenn meistens erstmals eine Lesebrille nötig wird, nur noch um ca. 5 bis 6 dpt und Menschen über 60 Jahre meistens nur noch um ca. 2 dpt oder gar nur 1 dpt. Also nehmen ältere Menschen eine stärkere Bildfeldwölbung deutlich als Randunschärfe wahr, während jüngere aufgrund ihrer Fähigkeit, beim Blick zum Bildrand ihr Auge auf eine andere Distanz zu fokussieren, die Bildstrukturen am Rand immer noch (relativ) scharf sehen, sofern nicht echte Unschärfe (z.B. aufgrund von sphärischer Aberration, Astigmatismus oder Koma) vorliegt. Daher hat die eigentlich positive Eigenschaft junger Menschen, eine große Akkommodationsbreite zu haben, den Nachteil, daß junge Menschen nicht viel über die Bildfeldwölbung eines Fernglases aussagen können. Ein gutes Akkommodationsvermögen führt auch zu einer als viel größer wahrgenommenen Schärfentiefe, weil das Auge bei Entfernungen, auf die das Fernglas nicht scharfgestellt ist, die Abweichung ganz oder teilweise durch Akkommodation ausgleichen kann.
2. Vergrößerungszunahme von innen nach außen.
Ja, wenn das Fernglas kissenförmig verzeichnet, also gerade Linien im Randbereich so durchgebogen erscheinen, daß der „Bauch“ zur Bildmitte zeigt, dann ist die Ursache eine zum Rand hin stärker werdende Vergrößerung. Fast alle Ferngläser weisen eine kissenförmige Verzeichnung auf. Viele japanische Hersteller halten sie durch Korrekturmaßnahmen gering (in der Größenordnung von 1% bis 4%), um gerade Linien möglichst gerade darzustellen, während viele europäische Hersteller ganz bewußt eine stärkere kissenförmige Verzeichnung (um etwa 8% bis 12%) anstreben, weil sich damit der „Globuseffekt“ bei Schwenken des Fernglases während des Beobachtens abschwächen bzw. verhindern läßt. Weil die kissenförmige Verzeichnung nach außen hin progressiv zunimmt, fällt sie bei Ferngläsern mit großem scheinbaren Sehwinkel (z.B. um 60°) viel mehr auf als bei Ferngläsern mit engem Sehwinkel (z.B. „Tunnelblick“ mit nur 45°).
3. Papiertest mit nur einem Fernglas.
Der Papiertest läßt erkennen, ob die Transmission (= Lichtdurchlässigkeit, Bildhelligkeit) und die Farbneutralität gut sind. Erscheint die beim Blick von vorn ins Objektiv gegen ein weißes Papier sichtbare helle Kreisscheibe annähernd ebenso hell und ebenso neutralweiß wie das Papier neben dem Fernglas, dann sind Transmission und Farbneutralität gut. Man kann das auf diese Weise sehr viel präziser beurteilen als beim normalen Durchschauen (Blick ins Okular und gegen einen mehr oder weniger bunten Gegenstand). Insbesondere der direkte Vergleich der Helligkeit und Farbe der Kreisscheibe mit der des Papiers direkt daneben hilft, auch sehr kleine Unterschiede zu erkennen.
Natürlich wird eine objektive Beurteilung erst dann möglich, wenn man diesen Papiertest mit mehreren Ferngläsern, am besten zur gleichen Zeit am gleichen Ort unter identischen Lichtverhältnissen, durchgeführt hat. Nur so bekommt man ein Gefühl dafür, welche Abweichungen möglich sind und wie kleine Unterschiede qualitativ einzustufen sind. Dazu empfiehlt es sich, auch mal ältere und minderwertige Ferngläser (ohne oder mit schlechter Vergütung, bei Dachkantferngläsern auch solche mit Alu-, Silber- und dielektrischer Prismenverspiegelung) zu vergleichen.
4. Reflexion an den Objektiven.
In einem Fernglas gibt es eine Vielzahl von Glas-Luft-Grenzflächen, an denen Reflexionen auftreten, und alle diese Flächen wirken sich auf die Transmission, die Farbneutralität und auf das Falschlichtverhalten aus. Wer nur auf die Spiegelungen an der Frontfläche der Obejktive achtet, die natürlich an besten zu sehen und zu beurteilen sind, läuft Gefahr, zu einem Fehlurteil zu kommen. Denn insbesondere bei Billigferngläsern wird oft gerade diese so gut sichtbare Frontfläche mit gewisser Sorgfalt ein- oder gar mehrschichtig vergütet, dann aber an den vielen anderen Glas-Luft-Flächen (weiter innen liegender Linsen und der Prismen) an Vergütung gespart, weil man dort die Spiegelungen viel weniger gut erkennen kann. Dabei wäre eine hochwertige Vergütung an den innenliegenden Linsen viel wichtiger als an der Frontfläche: Denn die von der Frontfläche erzeugte Reflexion mindert nur die Transmission, ohne daß dieses Licht (weil es gar nicht ins Fernglas gelangt) zu kontrastminderndem Falschlicht (Streulicht) beiträgt. Reflexion an inneliegenden Glas-Luft-Flächen oder ebenso Luft-Glas-Flächen dagegen können nach erneuter Reflexion an weiter vorn liegenden anderen Glas-Luft- oder Luft-Glas-Flächen wieder zurück in den bildwirksamen Strahlengang gelangen und das Bild im wahrsten Sinne des Wortes „trüben“.
Ob die Frontlinse bläulich, violett, purpurn oder grünlich spiegelt, sagt wenig aus. Denn einerseits können an den vielen (bis zu ca. 15) weiteren Glas-Luft-Flächen ganz andere Farben auftreten, die insgesamt wieder farblich neutral werden. Und andererseits ist der komplementäre Farbton des an der Grenzfläche durchgelassenen Lichts meistens um einen Faktor weit über 100 schwächer als der des reflektierten Lichts. Nur der folgende Hinweis ist aus der Farbe der Spiegelung abzuleiten: eine blauviolette Spiegelung ist fast immer ein Zeichen für eine Einschichtvergütung, während eine purpurne oder grünliche Spiegelung für eine (viel effizientere) Mehrschichtvergütung spricht. Diese Zuordnung ist jedoch nicht 100%ig sicher, vor allem, wenn man nicht über fachliche Erfahrung verfügt. Noch eine weitere Schlußfolgerung ist möglich: Ein schwacher Reflex ist besser als ein starker. Doch auch da kann man sich täuschen, weil erstens auch die Wölbung der Linse Einfluß auf die Helligkeits des Reflexes hat (nämlich weil kleinflächige Reflexe heller sind als großflächige) und weil dem menschlichen Auge nicht alle Farben gleich hell erscheinen. Man sollte also die Helligkeit und Farbe der Reflexe auf der Objektiv-Frontlinse nicht zu ernst nehmen, sondern sich auf den sehr viel aussagekräftigeren Papiertest stützen.
Walter E. Schön