Vorbemerkung: Soeben wollte ich meinen vorigen Beitrag noch um ein paar nützliche Kleinigkeiten ergänzen, aber nachdem ich die Ergänzungen vorgenommen hatte, ließ sich der bearbeitete Beitrag nicht mehr einstellen. In der Zwischenzeit war nämlich das Zeitlimit abgelaufen, innerhalb dessen die Bearbeitung möglich war (könnte man das Zeitlimit vielleicht um eine Stunde verlängern?). Deshalb habe ich keine andere Möglichkeit, als einfach den gesamten bearbeiteten Beitrag wie eine Antwort eigenständig anzufügen. Bitte haben Sie Verständnis für die zwangsläufig dadurch entstandenen Wiederholungen.
____________
Die einfachste Möglichkeit, kleine Details beidäugig (= binokular*) deutlicher zu sehen, ist eine normale Lesebrille mit Gläsern positiver Brechkraft, die bei hoher Dioptrienzahl allerdings so im Gestell eingesetzt sein müssen, daß ihre Zentren (opt. Achsen) auf den im Nahbereich stark konvergierenden „Sehstrahlen“ (Blickrichtungen) beider Augen liegen. Das heißt, daß die Zentren enger beieinander liegen als die Mitten der linken und rechten Augenpupille. Normale Lesebrillen haben aber nur geringe Brechkraft von ca. 1 dpt bis 2 dpt und helfen in Ihrer Anwendung zu wenig. Bei einer Brillenglasstärke von z.B. +8 dpt aber könnte man mit einer subjektiven Vergrößerungswirkung von mehr als 2fach rechnen, ein ziemlich großes Sehfeld überblicken, wäre in der Blickrichtung dank beliebig möglichen Kopfbewegungen frei und hätte kein Hindernis im Arbeitsbereich oder dessen Umgebung.
Aber der Arbeitsabstand ist problematisch:
Der freie Arbeitsabstand (Brille zu scharf gesehenem Gegenstand) liegt bei nur ca. 12 cm (= ca. 1 m geteilt durch Dioptrienzahl), in der Praxis je nach Sehschärfe und Akkommodation des Benutzers noch etwas weniger. Das scheint für Sie nicht in Frage zu kommen, da Sie einen Arbeitsabstand zwischen 30 cm und 40 cm fordern. Falls diese Lösung dennoch wenigstens für einen Teil Ihrer Arbeiten, vielleicht den schwierigsten, einsetzbar wäre, müßten Sie bei Wahl eines Billig-Brillengestells und sphärischer Billig-Brillengläser, die freilich ziemlich „stark“ (mindestens ca. +5 dpt) sein und im individuell für Sie oder den späteren Benutzer richtigen Abstand für die konvergierenden Blickrichtungen beider Augen im Gestell montiert werden müssen, mit Kosten in der von Ihnen angesetzten Größenordnung rechnen. Eine hochwertige Brille kann ein Vielfaches kosten, aber Sie brauchen für Ihre Zwecke weder ein Designergestell noch Gleitsichtgläser noch Astigmatismuskorrektur (letztere eventuell doch, falls Ihre Augen oder die anderer Benutzer stark astigmatisch wären).
Sobald Sie so etwas wie eine „Brille“ tragen und dennoch einen großen Arbeitsabstand haben wollen, geht es nicht mehr mit einer einfachen, wie eine Lupe wirkenden Sammellinse als Brillenglas, sondern Sie brauchen im Brillengestell ein richtiges Fernrohrsystem, das aus Gewichts-, Größen- und Kostengründen nur ein Galileisches Fernrohrsystem sein kann. Das besteht im einfachsten Falle aus einer Sammellinse als Objektiv und einer „stärkeren” (= kürzere Absolutbrennweite aufweisenden) Zerstreuungslinse, die voneinander aber einen gewissen Abstand haben müssen, der für den Nahbereich etwas größer als die Brennweitendifferenz ist. Sie haben dann zwangsläufig kein relativ flaches Brillenglas im Gestell, sondern einige Zentimeter lange Röhren, durch die Sie schauen müssen und die dann natürlich auch das Sehfeld deutlich einengen. Man nennt solche Instrumente „Fernrohrbrillen“, und die gibt es in Primitivausführung zu Preisen ab ca. 20 Euro als Plastikgestell mit Plastik„gläsern“ unter der Bezeichnung „Fernsehbrille“ mit Vergrößerungen um 1,2fach bis ca. 1,4fach. Die sind aber für Sie nutzlos, weil sie für übliche Betrachtungsentfernungen beim Fernsehen (ca. 2 m bis 4 m) abgestimmt sind. Dann ist sowohl die Scharfeinstellung, die bei so einem System im Gegensatz zur starken Lesebrille notwendig ist, gar nicht für den bei Ihnen erforderlichen Nahbereich einstellbar, als auch die für den extremen Nahbereich nötige Konvergenz der beiden Rohrachsen nicht vorhanden (die opt. Achsen sind bei diesen Fernsehbrillen nahezu parallel),
Es gibt jedoch hochwertige, für den Nahbereich konzipierte Brillen dieser Art für stark Sehbehinderte, die so schlecht sehen, daß eine starke Vergrößerung nötig ist, um z.B. einen Zeitungs- oder Buchtext in Normalgröße überhaupt lesen zu können. Die liegen im Preisbereich, den Herr Jülich schon nannte. Und das ist auch verständlich, denn das sind präzise Instrumente mit hochwertigen optischen Systemen und evtl. auch mit präziser Fokussiermöglichkeit. Ich sehe auch angesichts der sehr kleinen Stückzahlen keine Chance, so ein Instrument mit einer für Ihre Zwecke geeigneten Sehfeldgröße unter 1000 Euro zu bekommen. Aus Kostengründen gibt es solche Brillen auch mit nur einem Fernrohrsystem, so daß man mit dem einen Auge den großen Überblick und mit dem anderen alternativ (leider nicht simultan) die verbesserte Detailerkennbarkeit hat. Hier fehlt dann aber prinzipbedingt der räumliche Seheindruck, was für feine Arbeiten evtl. erschwerend sein könnte.
Ich bedaure, Ihnen keine Hoffnungen auf eine preisgünstige Lösung machen zu können, sondern im Gegenteil Ihre Illusion zu zerstören. Aber das hilft Ihnen vielleicht, die Zeit zu sparen, die Sie sonst dafür aufgebracht hätten, weiter nach einer Lösung unter 100 Euro zu suchen.
Walter E. Schön
*) „Binokular“ kommt von lateinisch „bini“ = „zwei auf einmal“ und „oculus“ = „Auge“. „Monokular“ kommt von griechisch „monos“ = „allein“ und lateinisch „oculus“ = „Auge“. Daher ist „zweiäugiges Binokular“ oder „einäugiges Monokular“ eine Tautologie (= doppelt gemoppelt) wie ein „weißer Schimmel” oder ein „runder Kreis“.