Leider ist mir nicht bekannt, wie Zeiss die T*-Vergütung definiert; selbst auf der Zeiss-Website ist mit deren Suchfunktion nichts darüber zu finden. In einem kurzen historischen Überblick über „Pionierleistung“ konnte ich nur die Information finden, daß seit 1979 die T*-Vergütung (dort jedoch ohne den erforderlichen Bindestrich) für Zeiss-Ferngläser (auch hier fehlt der Bindestrich – man merkt, daß sich in der PR- und Werbeabteilung** von Zeiss Expertenwissen nicht auch auf die deutsche Sprache erstreckt) benutzt wird, um deren Transmission auf „über 90%“ (wirklich
aller Zeiss-Ferngläser?) erhöht.
Ich habe aber gute Gründe, um anzunehmen, daß es sich bei der T*-Vergütung nicht um eine nach Schichtaufbau (Materialien, Reihenfolge, Schichtdicken und Schichtenzahl) eindeutig definierte Mehrschichtvergütung handelt, denn das wäre gar nicht sinnvoll, um bestmögliche Reflexionsdämpfung zu erzielen. Vielmehr muß eine möglichst effektive MC-Vergütung in erster Linie zu möglichst hoher Transmission führen und zum Erreichen dieses Ziels auf die Brechzahl des Substrats, also der Glassorte, aus der die Linse, das Prisma oder das Schutzglas gefertigt ist, abgestimmt sein. So wird also mit Sicherheit eine T*-Vergütung einer Linse aus Glas der Brechzahl um 1,45 anders „komponiert“ sein als eine für Brechzahl um 1,6 oder gar 1,73. Da sicher nicht alle Zeiss-Ferngläser Frontlinsen aus derselben Glassorte haben, sind folglich auch unterschiedliche Reflexions-Farbtöne zu erwarten.
Ferner ist noch ein zweiter Aspekt zu berücksichtigen: Es ist zwar nicht Hauptaufgabe von Vergütungen, den Farbcharakter des Gesamtsystems zu neutralisieren oder für spezielle Einsatzzwecke zu optimieren, z.B. bei einem überwiegend als Nachglas gedachten Modell ein Transmissionsmaximum nahe bei 507 nm (Empfindlichkeitsmaximum beim nächtlichen Stäbchensehen) statt nahe bei 555 nm (Maximum beim farbigen Zapfensehen) zu erzielen, wie es bei hellem Tageslicht anzustreben wäre. Aber man kann bei der Lösung der Hauptaufgabe Transmissionsmaximierung bzw. Reflexionsminimierung durchaus in gewissen Grenzen um das Optimum herum variieren, ohne daß sich dieses nennenswert verschlechtert, um nebenher die Farbtendenz ein bißchen zu steuern. Wenn also z.B. aufgrund etwas zu großer Absorption einer Glassorte in irgendeinem Farbbereich das durchgelassene Licht komplementärfarbig getönt wird, ließe sich durch Verlegung des Reflexionsminimums der Vergütung zur Absorptionsfarbe der Farbstich kompensieren oder zumindest abschwächen.
Schließlich kann, zwar kaum bei Fernglas-, aber z.B. bei Fotoobjektiven mit sehr großen Bildwinkeln und/oder mit stark gewölbten Linsen (kleinen Krümmungsradien) bei der Abstimmung der Vergütung auch der Lichteinfallswinkel(bereich) eine Rolle spielen. Denn erstens wjrd bei größer werdendem Einfallswinkel (d.h. immer schräger statt senkrecht) bei gleicher Schichtdicke die Weglänge des Lichts durch die Schicht länger, so daß sich bei der Interferenz die Wellenlänge bester Reflexionsunterdrückung vergrößert, also in der Richtung von Bau nach Rot verschiebt. Das bedeutet, daß man bei sehr stark gekrümmten Linsen mit sehr großen Unterschieden im Einfallswinkel über die Linsenfläche nur einen geringeren Wirkungsgrad als bei flachen Linsen und kleinem Bildwinkel, also geringer Variation des Einfallswinkels erzielen kann und daß man für das Reflexionsminimum über die Gesamtfläche mit etwas anderen (geringeren) Schichtdicken abstimmen muß. Auch das kann zu etwas veränderten Reflexionsfarben führen.
Die T*-Vergütung sollte also, falls es eine verbindliche Definition dafür gibt, durch Vorgabe einer Mindest-Reflexionsunterdrückung definiert sein, wobei der Mindestwert evtl. von Parametern wie Brechzahl, Einfallswinkelbereich oder anderen einschränkenden Randbedingungen wie z.B. Gewährleistung einer Säurebeständigkeit, Abriebfestigkeit usw. abhängig sein muß, weil diese Parameter die zur Verfügung stehenden Verbeserungsmöglichkeiten reduzieren können.
Wenn die Frontlinse des Zeiss Victory 10x56 FL in einer anderen Farbe schimmert als die Frontlinse eines Zeiss Conquest 15x45 T*, so bedeutet das keineswegs zwangsläufig, daß die Vergütung des Conquest schlechter sein muß als die des Victory FL – sie ist nur (notwendigerweise!) anders.
Walter E. Schön
Themafremde Fußnote:
** Es ist nicht auszuschließen, daß die Verantwortlichen für das Fehlen der Bindestriche in der Geschäftsleitung sitzen und die PR- und Werbetexter unschuldig sind. Ich weiß, daß es viele Manager und Topmanager gibt, die kraft Ihrer Position in der Firma bestimmen, daß man ihren heiligen Firmennamen niemals per Bindestrich mit so profanen Wörtern wie Kamera, Objektiv oder Fernglas verheiraten dürfe. Ich kann mich noch erinnern, daß um 1980/81 herum Herr G. von Z. als Pressechef bei Leica (jetzt im Ruhestand und nebenbei in ähnlicher Funktion für die DGPh tätig) eine von der damaligen Geschäftsleitung veranlaßte Presseinformation an alle Fotozeitungs-Redaktionen verschickte, in der stand, daß der Markenname „Leica“ immer allein stehen müsse und nicht mittels Bindestrich mit anderen Wörtern (z.B. zu „Leica-Objektiv“) verbunden werden dürfe. Es war damals für mich Anlaß, zu diesem Thema eine kleine Glosse zu schreiben und öffentlich zu erklären, daß ich in der Rechtschreibung auch künftig den Regeln der deutschen Sprache und nicht denen der Firma Leica folgen werde. Ich fügte als Beispiel hinzu, daß es sich auch der große Herr von Goethe gefallen lassen muß (und sich gewiß gern gefallen ließe, wenn er heute noch lebte), daß nach ihm benannte Straßen „Johann-Wolfgang-von-Goethe-Straße” oder kürzer „Goethe-Straße” oder besser noch enger verknüpft „Goethestraße“ heißen müssen und nicht „Johann Wolfgang von Goethe Straße” bzw. „Goethe Straße“.