Wenn ein Reh 50% der Fläche des Sehfeldes einnehmen sollte, müßte es in der Höhe und Breite das Sehfeld mehr als ganz ausfüllen (denn ein Reh ist ja nicht einmal annähernd kreisförmig!). Das dürften Sie wahrscheinlich nicht gemeint haben, sondern eher, daß ein Reh in der Höhe oder Breite das Sehfeld halb ausfüllen sollte. Dann wäre seine Fläche wohl etwa 1/8 bis 1/10 der Sehfeldfläche. Dafür könnten Sie folgende einfache Überlegung anstellen:
Nehmen wir an, ein Reh sei etwa 1,3 m lang und stehe quer zu Ihrer Blickrichtung. Damit es in dieser Position mit seiner Körperlänge den halben Sehfelddurchmesser erreicht, müßte der Sehfelddurchmesser 2,6 m betragen.
Wenn wir als Mittelwert Ihres angegebenen Entfernungsbereichs von 200 m bis 300 m eine Entfernung von 250 m annehmen, so müßte Ihr Wunschgerät ein Sehfeld von 2,6 m auf 250 m haben, was 10,4 m auf 1000 m entspricht (auf die vierfache Entfernung vergrößert sich auch der Sehfelddurchmesser auf das Vierfache).
Gute 10fach vergrößernde Ferngläser haben, wie Sie deren technischen Daten entnehmen können, ein Sehfeld von etwa 100 m bis 110 m, einige wenige sogar 120 m auf 1000 m. Gehen wir von den „normalen" Modellen mit 100 m bis 110 m Sehfeld, also einem Mittelwert von 105 m Sehfeld auf 1000 m aus. Das ist ziemlich genau das Zehnfache dessen, was Sie benötigen (nämlich 10,4 m auf 1000 m). Sie benötigen also ein Instrument, daß dann auch ungefähr die zehnfache Vergrößerung von 10fach bietet, also 100fach.
Sie hätten, wenn Sie mit Winkelfunktionen rechnen können, auch aus dem Sehfeld von 2,6 m auf 250 m den halben Sehwinkel „alpha“ berechnen können als
alpha = arc tan (2,6/2 : 250) = arc tan 0,0052 = 0,29794°
Also beträgt der erforderliche ganze Sehwinkel
2 alpha = 2 · 0,2979° = 0,5959° = ca. 0,6°
Der Sehwinkel eines guten 10fach-Fernglases liegt bei etwa 6° bis 6,7° (siehe technische Daten). Also kommen Sie auch so zu einer ca. 100fachen Vergrößerung.
Wären wir von Ihrer ursprünglichen Forderung (Reh füllt in der Fläche 50% des Sehfeldes aus), dann müßte die Vergrößerung nochmals doppelt so hoch, also ca. 200fach sein.
Die zur Tierbeobachtung auf große Distanz üblichen optischen Geräte sind Spektive. Die meisten erreichen mit den serienmäßigen Okularen aber nur ca. 60fache Vergrößerung.
Sie müßten also entweder ein (astronomisches) Okular mit noch kürzerer Brennweite als die des serienmäßigen Okulars für 60fach Vergrößerung adaptieren, was nicht bei allen Spektiven so einfach geht, oder gleich ein astronomisches Fernrohr benutzen. Das zeigt dann aber ein um 180° gedrehtes (d.h. kopfstehendes und seitenvertauschtes) Bild. Mit einem Zenitspiegel ließe sich das Bild aufrichten, aber es bleibt seitenverkehrt. Mit einem Amiciprisma ließe sich das Bild aufrecht und seitenrichtig darstellen, aber damit verlieren Sie Schärfe, weil es zu bezahlbaren Preisen keine ausreichend hochwertigen Amiciprismen mit Phasenbelag gibt.
Es dürfte Ihnen somit nichts anderes übrig bleiben, als sich mit 60facher (evtl. 75facher) Vergrößerung gängiger Spektive zu begnügen. Sie sehen dann ein 1,3 m langes, quer zur Blickrichtung stehendes Reh aus 250 m Entfernung so groß, daß es etwas weniger als ein Drittel des Sehfelddurchmessers ausfüllt. In der Kopfhöhe würde es etwa ein Viertel des Sehfelddurchmessers ausfüllen.
Zum Trost: auch dann können Sie das Reh schon sehr gut sehen (in der Breite unter einem Winkel von ca. 17°) und kleinste Details bis fast Stecknadelkopfgröße wahrnehmen. Das lohnt sich schon!
Walter E. Schön