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Verzeichnungsfreie Ferngläser für die Architektur?

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24. März 2022 11:03
In einer kürzlich stattgefundenen Diskussion (die inzwischen leider gelöscht worden ist) wurde von einem Forenten die These vorgebracht, dass Ferngläser moderner Ausführung noch immer zu viel kissenförmige Verzeichnung aufweisen und daher für Architekturfreunde nur bedingt brauchbar seien. Er stellte ferner die These auf, dass ein unnötiger Hype um den Globuseffekt für diesen Trend verantwortlich sei. Ich würde gern diese Idee aufgreifen und versuchen, die Fakten zusammenzufassen.

In der angehängten Übersicht findet man Verzeichnungswerte verschiedener moderner Ferngläser, sofern diese bekannt sind. Voraussetzung für die Berechnung der Verzeichnung ist ein präziser Wert des subjektiven Sehwinkels, den viele Hersteller leider noch nicht spezifizieren. Diese Übersicht ist daher unvollständig, zeigt allerdings wichtige Trends. Aufgetragen ist die relative Verzeichnung über den (halben) subjektiven Sehwinkel. Zu sehen sind auch Kurven verschiedener Farben, die den Grad der Verzeichnung nach einer Systematik angeben, auf die ich hier nicht im Detail eingehen kann. Entscheidend ist: Datenpunkte im unteren Bereich gehören zu Ferngläsern mit geringer (kissenförmiger) Verzeichnung, im oberen Bereich liegen diejenigen mit hoher Verzeichnung.

Zur Geschichte: Wie u.a. bei Albrecht Köhler ausführt, wurden Ferngläser vor 1950 oft derart konstruiert, dass sie so weit wie möglich frei von Verzeichnung waren. Beschwerden über den Globuseffekt solcher Optiken während des Schwenkens veranlassten Zeiss dazu, eine kissenförmige Sollverzeichnung einzuführen. Die klassischen Zeiss Jena (Deltrintem, Binoptem, Dekarem etc.) erhielten Verzeichnungswerte, die der sog. Winkelbedingung genügten und der roten Kurve ganz oben im Diagramm entsprechen. Zeiss Oberkochen, Leica und die meisten Hersteller weltweit folgten dieser Vorgabe, so dass die meisten Ferngläser zwischen 1950 und 2000 eine starke kissenförmige Verzeichnung aufwiesen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts nahmen einzelne Hersteller - darunter Nikon - Abstand von diesem Paradigma und brachten wieder Ferngläser mit geringer Verzeichnung heraus. Auch Swarovski stieß 2009 mit dem neuen 8.5x42 und dem 10x42 SV in diese Richtung. In den Internetforen dieser Zeit lässt sich gut nachvollziehen, wie mit diesen Instrumenten auch die Beschwerden über den Globuseffekt aufkamen.

Im Diagramm erkennt man, dass diese frühen SV Modelle nahe der orangenen Kurve liegen, die den unteren Bereich des Verzeichnungssektors markiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich in verschiedenen Studien die These aufgestellt, dass Ferngläser vorzugsweise einen mittleren Verzeichnungswert zwischen der blauen und der orangenen Kurve haben sollten, mit der grünen Kurve als 'Ideallinie', auf der die überwiegende Mehrzahl der Beobachter keinen Globuseffekt sehen dürfte, wobei gleichzeitig die kissenförmige Verzeichnung so gering wie möglich gehalten wäre. Die grüne Kurve entspricht einer Verzeichnung, die etwa halb so stark ausfällt, wie die von Zeiss einst bevorzugte Winkelbedingung (rote Kurve). Das Diagramm zeigt, dass keines der modernen Ferngläser mehr auf der roten Kurve liegt, die Mehrzahl etwas unterhalb der grünen Ideallinie, also eher noch geringere Verzeichnungswerte als diese vorweist.

Ferngläser in diesem Bereich zwischen der grünen und orangenen Kurve zeigen in der Praxis eine nur noch geringe kissenförmige Verzeichnung und an Architektur nur leichte Krümmungen gerader Linien, sichtbar vornehmlich in den äußeren Bereichen des Sehfeldes. Natürlich würde man hier auch absolut verzeichnungsfreie Optiken bevorzugen, wobei jedoch Werte unterhalb der orangenen Kurve bei vielen Beobachtern zu einem deutlichen Globuseffekt führen würden. Anhand vorhandener statistischer Daten zur optischen Wahrnehmung habe ich geschätzt, dass etwa 50% der Beobachter mit solch einer Optik einen Globuseffekt erkennen würde, und 10-20% darüber hinausgehende Eindrücke wie Schwindel erleben dürften, sobald sie solch ein Fernglas über eine Landschaft schwenken.

Ein Hersteller muss also folgende Überlegung aufstellen: Gibt es eine hinreichend große Zahl an Architekturliebhabern, die von einer Beseitigung der geringen noch vorhandenen Verzeichnung derartig profitieren, dass man für dieses Modell einen Verlust von etwa 20% der Kundschaft infolge eines störenden Globuseffekts in Kauf nehmen würde? Ich kann diese Frage nicht beantworten, allerdings könnten durchaus Kompromisse denkbar sein: Architektur wird man i.a. nicht mit einem großen und klobigen Fernglas betrachten. Kleine Taschenferngläser haben meist kleine bis moderate Sehwinkel, bei denen sich ein möglicher Globuseffekt weniger störend bemerkbar macht. Hersteller könnten also durchaus in Erwägung ziehen, kleine Ferngläser im Bereich 6x20 bis 8x25 mit kleineren bis mittleren subjektiven Sehwinkeln auch völlig verzeichnungsfrei auszulegen, damit diese auch Architektur ohne sichtbare Verzerrungen abbilden können.

Fazit: Es ist keinesfalls so, dass ein Hype um den Globuseffekt die Hersteller dazu veranlasst hat, starke kissenförmige Verzeichnungen in ihre Ferngläser aufzunehmen. In 2020 zeigen Ferngläser i.a. viel geringere Verzeichnungen als in den 50 Jahren davor. Die noch vorhandene Restverzeichnung hilft denjenigen, die andernfalls unter einem Globuseffekt leiden würden und verursacht dabei nur noch sehr leichte Verzerrungen an geraden Kanten. Verzeichnungsfreie Gläser wären jedoch denkbar, insbesondere solche im Taschenformat mit kleineren subjektiven Sehwinkeln.

Viele Grüße,
Holger
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Verzeichnungsfreie Ferngläser für die Architektur? Anhänge

Holger Merlitz 1508 24. März 2022 11:03

Re: Verzeichnungsfreie Ferngläser für die Architektur?

OhWeh 621 25. März 2022 16:54

Re: Verzeichnungsfreie Ferngläser für die Architektur?

Holger Merlitz 534 26. März 2022 09:03

Re: Verzeichnungsfreie Ferngläser für die Architektur?

AndreasVSA 460 27. März 2022 18:01

Re: Verzeichnungsfreie Ferngläser für die Architektur?

Holger Merlitz 458 28. März 2022 08:05

Re: Verzeichnungsfreie Ferngläser für die Architektur?

AndreasVSA 420 28. März 2022 10:55

Unterschied Kamera/Auge

Holger Merlitz 519 28. März 2022 11:10

Re: Unterschied Kamera/Auge

AndreasVSA 517 28. März 2022 19:32



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