Astigmatismus ist ein von Kurz- oder Weitsichtigkeit völlig unabhängiger Fehler. Jemand ohne oder mit nur sehr geringer Kurz- oder Weitsichtigkeit kann durchaus auch stärkeren Astigmatismus haben, und jemand mit starker Kurz- oder Weitsichtigkeit kann auch frei von Astigmatismus sein. Denn Kurz- und Weitsichtigkeit hängen davon ab, wie lang das Auge (relativ zur Brennweite) ist, der Astigmatismus hingegen hängt davon ab, wie stark die annähernd sphärische Krümmung (vor allem der Hornhaut, weniger der Linse) von der idealen Rotationssymmetrie zur opt. Achse abweicht.
Wenn jemand zusätzlich zur Kurzsichtigkeit nur etwa 0,25 dpt bis 0,75 dpt Astigmatismus hat, kann es trotzdem besser sein, ohne Brille zu beobachten und die Kurzsichtigkeit über die Fernglasfokussierung (bei sehr weiten Entfernungen unter Ausnutzung des Überhubs) auszugleichen. Das wäre z.B. bei starkem Seitenlicht der Fall, weil die von dem zwischen Brille und Auge eintretenden Störlicht verursachten Reflexe und die vom Streulicht verursachte Kontrastminderung als stärkere Beeinträchtigung wahrgenommen werden als die Reduzierung der Schärfe durch den unkorrigierten Astigmatismus. Das wird insbesondere bei Tageshelligkeit der Fall sein, weil dann die Abblendung durch die Iris die Auswirkung des Astigmatismus stark reduziert.
Walter E. Schön