Der Gelbstich entsteht, weil im Fernglas durch Reflexion an den Glas-Luft-Flächen der Linsen und Prismen sowie durch Absorption in den Gläsern mehr blaues als andersfarbiges Licht verloren geht. Es könnte beispielsweise sein, daß die Gesamttransmission in der Größenordnung von 75% liegt, vielleicht ab 500 nm (Licht dieser Wellenlänge ist blaugrün) sogar Werte um und über 78% erzielt werden, darunter aber die Transmission auf 70% und weniger, bei 400 nm vielleicht auf nur noch 50% abfällt.
Wollte man den Farbstich „neutralisieren“, dann müßte man strenggenommen (Blau-)-Filter vorsetzen, die oberhalb 500 nm soviel abschneiden, daß die Transmissionskurve wieder annähernd geradlinig verläuft, also müßte die Transmission dort auf etwa 68% oder noch deutlich darunter gestutzt werden. Das wäre aber ein erheblicher Lichtverlust, das Bild würde deutlich dunkler. Man könnte natürlich auch ein Filter nehmen, das nur im scheinbar (nicht wirklich, sondern nur wegen des Komplementäreffekts) dominierenden Gelb soviel wegnimmt, daß ein neutralgraues Motiv, z.B. eine Betonwand wieder halbwegs neutralgrau erscheint. Die Gelbtransmission müßte dann vielleicht auf unter 60% oder gar unter 50% zurückgehen, je nachdem, wie breit- oder schmalbandig das (Blau-)Filter ist. Die Schwächung nur von Gelb ist aber die schlechtere Alternative, da sie zu starken Farbverfälschungen bei Mischfarben führt, die einen hohen Gelbanteil haben. Außerdem sind solche Filter nur als teure Industriefilter und nicht als preiswerte Fotofilter zu bekommen.
Im Fotohandel gibt es nur solche Gelb absorbierende Blaufilter, die auch noch Orange und Rot, und diese sogar noch merklich stärker als Gelb absorbieren. Bei diesen würde die Transmission dann am langwelligen Ende des sichtbaren Spektrums besonders stark abfallen. Für das B+W-Hellblaufilter 080 mit Schottglas BG 26, das mir für diesen Zweck geeignet erscheint, kenne ich die Transmissionskurve genau, da ich sie für das von mir verfaßte B+W-Filterhandbuch* anhand von Meßwerten selbst gezeichnet habe (siehe dort auf Seite 61 rechts unten): Die im Blaubereich nahe 100% liegende Reintransmission beginnt bei 500 nm, zunächst leicht und dann nahezu geradlinig bis ca. 700 nm auf 63% abzufallen, um dann wieder abzuflachen bis auf 60%. Falls Sie diese B+W-Filter verwenden möchten, sollten Sie die etwas teureren MRC-vergüteten nehmen, die erstens wegen der Mehrschichtvergütung deutlich geringere Reflexionsverluste haben und zweitens wegen der wasser- und schmutzabweisenden Oberfläche auch einen sehr guten mechanischen Schutz bieten (Wassertropfen perlen besser ab, Fingerabdrücke sind leicht zu entfernen, die Oberfläche ist härter als die von Glas und daher beim Reinigen besser gegen Kratzer geschützt).
Unterm Strich halte ich den Gelbstich aber für das wahrscheinlich kleinere Übel gegenüber dem Helligkeitsverlust bei zusätzlicher Filterung. Der optiale Weg ist, die Gläser und vor allem die Vergütung des Fernglases so zu wählen, daß die hohe Blauabsorption erst gar nicht zustandekommt. Jede nachträgliche Maßnahme kann sich einer neutralen Farbwiedergabe nur durch noch mehr Lichtverlust annähern.
Auch ich vermute, daß es sich um ein Fernglas russischer Fertigung handelt, denn speziell bei diesen ist mir schon oft ein starker Gelb- bis Gelbgrün-Farbstich aufgefallen. Das gilt auch für neuste Produktion, wie ich bei zahlreichen Prüfungen russischer Ferngläser auf der letzten Photokina in Köln (Sept. 2004) feststellte.
Walter E. Schön
* Das B+W-Filterhandbuch können Sie bei vielen Fotohändlern einsehen oder zu einer Schutzgebühr von 10 Euro kaufen.
