Ja, diese Unterschiede (und bei manchen Modellen noch größere) sind realistisch. Sie gehen von zu günstigen Werten aus. Realistische Werte sind wie folgt:
1. Unvergütete Glasoberfläche —> Verlust mindestens ca. 4% bis über 6%
2. Einfachvergütung mit MgF2 —> Verlust am Minimum ca. 1% bis über 2%, übers gesamte Lichtspektrum ca. 1,5% bis über 2%
3. Mehrschichtvergütung je nach Aufbau —> Verlust am Minimum ca. 0,1% bis 0,2%, insges. ca. 0,2% bis 0,5%
Zu 1. Der Reflexionsgrad steigt mit dem Brechungsindex des Glases. Die Glassorte BK 7 mit der Brechzahl 1,519 reflektiert ca 4,25%. Ein guter Mittelwert für die gängigsten optischen Gläser ist ca. 4,5%.
Zu 2. Eine Einfachvergütung setzt die Reflexion nur für einen engen Wellenlängenbereich stark (auf ca. 1% bis über 2%) herab. Für kürzere und längere Wellenlängen steigt die Reflexion merklich an (auf ca. 1,5% bis 3%). Wenn man mit V-Lambda- oder V'-Lambda-Gewichtung mißt (entspricht Tagessehen bzw. Nachtsehen) kommt man dann insgesamt auf ca. 1,5% bis deutlich über 2%. Der jeweils angegebene Bereich statt eines festen Wertes resultiert daraus, daß die Reflexionsunterdrückung stark vom Brechungsindex des Glases abhängt. MgF2 (Brechzahl 1,38) lieferte die bestmögliche Reflexunterdrückung, wenn das Glas die Brechzahl 1,91 hätte. Aber die üblicherweise verwendeten Gläser liegen überwiegend im Bereich 1,45 bis 1,6, wo der Wirkungsgrad geringer ist. Und da die Linsen und Prismen nicht alle aus demselben Glas gefertigt werden, sondern zur chromatischen Korrektion aus verschiedenen Glassorten mit unterschiedlichen Brechzahlen, ist die Reflexunterdrückung auf den einzelnen Linsenflächen unterschiedlich. Gehen Sie also bei Ferngläsern mit Einschichtvergütung (Bezeichnung vieler Firmen dann etwas beschönigend „vollvergütet”) von durchschnittlich bestenfalls ca. 1,5% Reflexionsgrad pro Fläche aus.
Wenn der Hersteller nur „vergütet” statt „vollvergütet” angibt, dann sind in der Regel nicht alle Glas-Luft-Flächen vergütet, also gibt es Flächen, die um 4,5% oder (bei höherem Brechungsindex) mehr reflektieren.
Zu 3. Bei Mehrschichtvergütung läßt sich der Reflexionsgrad für einzelne Wellenlängen nahe null reduzieren und in einem breiten Bereich, z.B. zwischen 450 nm und 620 nm unter ca. 0,2% halten. Nur bei kurzwelligem Blau und langwelligem Rot geht's dann wieder bis auf ca. 2% hoch. Welche Werte sich im einzelnen ergeben und wie breit der sehr niedrige Bereich ist, hängt von der Anzahl und Art der Schichten und auch wieder etwas von der Brechzahl des Glases ab. Es gibt Mehrfachschichten (MC = Multi Coating) aus nur zwei oder drei Schichten, die zwar schon deutlich besser als Einfachschichten sind (breiterer Wirkungsbereich), aber bei weitem nicht so gut wie Mehrfachschichten aus z.B. 12 bis 15 Schichten. Daher muß auch für MC-Vergütung eine gewisse Schwankungsbreite von z.B. insgesamt 0,2% bis 0,5% angenommen werden.
Zusammenhang von Transmission und Reflexion:
Die Transmission kann unter Vernachlässigung der Absorption (die nur bei extrem dicken Linsen und den dicken Prismen nennenswert ist) als 100% minus Reflexion angenommen werden. Wenn man die Transmission eines optischen Systems aus mehreren Linsen, Prismen usw. ermittelt, darf man nicht die Reflexionsgrade addieren, sondern muß die Transmissionswerte multiplizieren. Wenn 5 einzelstehende einfachvergütete Linsen mit jeweils 1,5% Reflexion pro Fläche vorliegen, rechnet man also so: Die Transmission pro Fläche ist 98,5% = 0,985. Bei 10 hintereinander angeordneten Glas-Luft-Flächen ist die Transmission dann 0,985ˆ10 = 0,86 oder 86%.
FAZIT: Wenn ein einfaches Fernglas z.B. zwei nicht verkittete Objektivlinsen, zwei Halbwürfelprismen (= Porrosystem) und drei Okularlinsen hätte, von denen zwei verkittet sind, haben wir 12 Glas-Luft-Flächen pro Rohr. Nehmen wir an, der Hersteller vergütet die Objektivlinsen, damit sie schön farbig schimmern, vergütet die Prismen nicht (weil's der Laie nicht merkt) und vergütet dann noch die letzte Okularlinse, damit auch die bunte Reflexe zeigt. Dann haben wir 6 vergütete Flächen, deren Reflexion wir mit wohlwollend mit jeweils 1,5% annehmen, und 6 nicht vergütete, bei denen wir von jeweils 4,5% ausgehen müssen. Mithin ist die Transmission der vergüteten 6 Flächen 0,985 und die der unvergüteten 6 Flächen 0,955. Dann haben wir insgesamt eine Transmission von 0,985ˆ6 · 0,955ˆ6 = 0,9133 · 0,7586 = 0,6928 oder ca. 69,3%. Nun haben aber auch einfache Ferngläser manchmal auch zwei oder drei Linsen mehr, z.B. bei Innenfokussierung und weiterem Sehwinkel. Dann nimmt die Transmission noch stärker ab. Nach der üblichen Chinesen-Fernglas-Terminologie dürfte sogar ein Fernglas, das nur eine einzige vergütete und sonst unvergütete Linsen enthält, als „vergütet” bezeichnet werden (daß das Volksverdummung ist, ist wohl klar), und dann wäre das Transmissionsergebnis noch viel, viel schlechter.
Bei mittelprächtigen „vollvergüteten” Ferngläsern mit z.B. 7 Linsen und zwei Prismen pro Rohr, bei denen vielleicht zweimal zwei Linsen verkittet sind, haben wir 9 Elemente mal je 2 Flächen = 18 Flächen, von denen wir 4 verkittete Flächen abziehen müssen, so daß an 14 Flächen Reflexion in der Größenordnung von mindestens 1,5% auftritt. Die Transmission des ganzen Systems ist dann 0,985ˆ14 = 0,8093 oder ca. 80,9%. Dieser Wert gilt aber nur bei Porroprismen, denn bei einem Dachkantprismenglas kommt noch der Verlust an der verspiegelten Fläche hinzu. Die übliche Aluminiumverspiegelung reflektiert ca. 90%, und schon reduziert sich die Gesamttransmission auf 0,8093 · 0,9 = 0,7284 oder ca. 72,8%.
Man sieht daran, welche große Leistung Transmissionswerte über 85% bei Dachkantgläsern darstellen, und da die in dieser Disziplin besten von ihnen, nämlich Zeiss FL, Ultravid, Swarovski EL, mit sehr kleinem Abstand dahinter Nikon HG mit Silberverspieglung (ca. 98%), Transmissionswerte über alles in der Größenordnung von knapp unter oder gar knapp über 90% erreichen und mit den besten Porroprismengläsern gleichziehen oder sie gar übertreffen, ist das eine phantastische Leistung (zumal die Spitzengläser noch einige Linsen mehr enthalten, als in den obigen Beispielen angenommen)! Das sollte doch auch mal dankend anerkannt werden, statt sich darum zu streiten, ob Modell A nun 1% besser oder schlechter als Modell B ist.
Sie sehen also, die Spanne ist weit größer, als Sie bisher dachten!
Walter E. Schön