Designer, die der Funktionalität zuwiderlaufende Formgestaltung betreiben, gibt es leider in vielen Bereichen – von der Haushaltsgeräte- bis zur Möbelbranche (meine aktuellste Erfahrung: eine kürzlich bei meinem Urlaub in Italien gekaufte, sehr gut aussehende, aber in der Praxis versagende Parmesanreibe, deren Fehlkonstruktion erst erkennbar wird, wenn man sie erstmals mit Parmesan benutzt: sobald das Parmesanstück nach Abreiben dünner als ca. 6 mm geworden ist, rutscht es um den Reibezylinder herum nach hinten in einen von außen kaum sichtbaren und fast unzugänglichen Winkel des Gehäuses, aus dem man den Käserrest entweder durch geduldiges Stochern mit einer Stricknadel oder einem dünnen Schraubendreher oder durch komplettes Zerlegen des Maschinchens herauspopeln muß). Es scheint, als würden die formschön gestalteten Produkte ohne praktische Tests an wenigstens einem einzigen konkreten Muster (nicht nur nach Betrachtung der animierten 3D-Konstruktion auf dem Computerbildschirm) sofort in Großserie gehen. Deshalb gibt es z.B. so viele toll aussehende Sofas, auf denen man nach 15 Minuten Sitzen Rückenschmerzen bekommt, oder wie fürs Guggenheim-Museum gestaltete Korkenzieher, die den Korken zerbrösen statt herausziehen usw., usw.
Ich hatte im letzten Jahr bei Leica (als ich wegen der neuen Ultravid-Modelle mit 32 bis 50 mm Objektivdurchmesser auch neue Ultravids als Kompaktferngläser 8x20 und 10x25 erwartete) einen entsprechenden Vorschlag gemacht, einerseits kleine ausziehbare Streulichtblenden (Teleskopblenden, wie sie auch einige Leica-Teleobjektive wie z.B. das 2,8/90 mm haben) und andererseits schnell aufklappbare, unverlierbare Objektiv- und Okularschutzdeckel vorzusehen. Der Leica-Sportoptik-Produktmanager brachte als Einwand dagegen die Weigerung des Designers - sozusagen in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem offensichtlich allmächtigen „Künstler”. Ich verstehe nicht, warum in solchen Dingen ein technisch offensichtlich mangelhaft bedarfte Designer die Entscheidung fällt und nicht der Experte im Hause des Auftraggebers. Schließlich wäre es doch gerade die Aufgabe des Designers, sich ästhetisch guten Lösungen für technisch vorteilhafte Ausstattungsmerkmale zu erarbeiten, auch wenn diese (oft nur auf den ersten Blick) das Erreichen der Zielsetzung erschweren. Und die Marketingleute sollten wissen, daß sich hinterher ein solcher Aufwand in Form eines überzeugenden Wettbewerbsvorteils durchaus mehr als auszahlen kann.
Walter E. Schön