Mein voriger Beitrag zeigt nebenbei recht deutlich, daß man nicht einfach die „Fokussiergeschwindigkeit“ verschiedener Ferngläser danach beurteilen kann, um wie viele Umdrehungen bzw. besser um wieviel Grad von der Unendlicheinstellung bis zur Nahgrenze zu drehen ist, ohne dabei die eventuell unterschiedlichen Nahgrenzen zu berücksichtigen. Ich hatte deshalb schon vor zwei oder drei Jahren vorgeschlagen, zur Beurteilung den Drehwinkel für den Fokussierbereich von unendlich bis zu einer zu vereinbarenden festen Nahentfernung, z.B. bis 4 m oder bis 5 m, heranzuziehen. Im Interesse einer genaueren Messung und Angabe wäre eine möglichst kurze Nahentfernung nützlich (also besser noch z.B. 3 m), aber sie muß so groß sein, daß sie von allen zu vergleichenden Ferngläsern noch eingestellt werden kann. Will man nicht nur Dachkantgläser, sondern auch Porrogläser vergleichen, deren Nahgrenze meistens annähernd doppelt so weit wie bei modernen Dachkantgläsern ist, bietet sich als Nahentfernung 5 m an. Wenn man dennoch mal ein Fernglas diesbezüglich beurteilen will, das sich auch auf 5 m nicht scharfstellen läßt (z.B. die Canon-Ferngläser 10x30 IS oder 12x36 IS II), dann könnte man in solchen Fällen den Drehwinkel für den Bereich von unendlich bis 10 m messen und diesen Wert dann als fiktiven 5-m-Wert einfach verdoppeln (die Begründung steht in meinem vorherigen Beitrag). Natürlich könnte, wer mit Mathematik vertraut ist, auch bei der tatsächlich gebotenen Nahgrenze messen und dann korrekt auf den vereinbarten Wert umrechnen.
Nun kommt aber noch eine Sache ins Spiel, die ebenfalls zu berücksichtigen wäre: Entscheidend ist für den Beobachter doch nicht der Drehwinkel, sondern der Verschiebeweg, den sein fokussierender Finger dabei zurücklegt. Haben zwei Ferngläser denselben Drehwinkel von unendlich bis 5 m, aber das eine Fernglas eine Fokussierwalze mit doppelt so großem Durchmesser bzw. Radius wie die des anderen Fernglases, so verlangsamt das die Fokussierung genauso wie ein doppelt so großer Drehwinkel. Man müßte also als Bezugswert die Strecke in Millimeter angeben, um die die Fokussierwalze auf ihrem Umfang über den Drehwinkel hinweg abrollt. Das könnte man bei den meisten Ferngläsern relativ einfach messen, sofern die Fokussierwalze oben über die beiden Rohre hinausragt, indem man die zuvor für die Unendlicheinstellung und die vereinbarte Nahentfernung (z.B. 5 m) markierte Fokussierwalze auf einer Linealkante bei 0 beginnend abrollt, bis man von der Unendlich-Markierung bis zur 5-m-Markierung gelangt ist (Achtung, wenn dazu mehr als eine volle Umdrehung nötig ist!). Alternativ kann man den Drehwinkel in Grad messen und diese Zahl mit 0,00873 und mit dem Durchmesser der Fokussierwalze in Millimeter multiplizieren.
Dieser so erhaltene „Fokussierweg in Millimeter“, den der fokussierende Finger beim Wechsel von unendlich auf die 5-m-Naheinstellung zurücklegen muß, wäre ein zur Beurteilung der Fokussiergeschwindigkeit besser geeigneter Parameter - sofern die zu vergleichenden Ferngläser die gleiche oder annähernd die gleiche Vergrößerung haben.
Will man Ferngläser mit sehr verschiedener Vergrößerung vergleichen, z.B. ein 8fach- und ein 15fach-Fernglas, dann wird es noch etwas komplizierter. Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß man proportional zur Vergrößerung umrechnen müßte. Doch dabei würde man unberücksichtigt lassen, daß mit zunehmender Vergrößerung die Schärfentiefe viel schneller als umgekehrt proportional zur Vergrößerung abnimmt, nämlich umgekehrt proportional zum Quadrat der Vergrößerung! Wenn man als Kriterium für vergleichbare Fokussiergeschwindigkeit nimmt, daß sich bei gleichem „Fokussierweg in Millimeter“ (am Umfang der Fokussierwalze) und ausgehend von einem scharfen Bild die gleiche Unschärfe einstellt, dann müßte man demnach umgekehrt proportional zum Quadrat der Vergrößerung umrechnen. Ich bin mir allerdings ohne praktische Versuche nicht sicher, ob das praxisgerecht wäre. Es ergäben sich dann nämlich für hochvergrößernde Ferngläser ziemlich viele Umdrehungen, die man vielleicht als lästig empfindet. Möglicherweise lieferte eine Zwischenstufe zwischen linearer und quadratischer Berücksichtigung (mathematisch z.B. ein Exponent von 1,5) eine dem subjektiven Empfinden besser angepaßte Berechnung. Ich werde das mal testen, wenn ich mehr Zeit habe.
Somit liefert die folgende Formel die ideale Beurteilungsgröße S für die „Fokussiergeschwindigkeit“ (da der Buchstabe F als Abkürzung ungeeignet ist, weil damit schon der Brennpunkt bzw. mit f die Brennweite bezeichnet wird und Verwechslungen möglich wären, schlage ich S für einen solchen „Scharfstellgeschwingigkeits-Index“ vor):
S = Drehwinkel · Fokussierwalzendurchmesser · 0,00873 : (Vergrößerung hoch z)
Ob dabei z = 2 oder doch nur vielleicht 1,5 betragen sollte, werden erst praktische Vergleiche mit derartig berechneten theoretischen Werten ergeben. Darauf müssen Sie noch etwas warten. Sobald ich wieder etwas Luft habe, werde ich diesen Wert mit z = 2, z = 1,5 und z = 1 für eine Reihe bekannter Ferngläser ermitteln, mit den subjektiven Beurteilungen mehrerer Testpersonen vergleichen und die Ergebisse hier im Forum mitteilen. Wenn es auf diese Weise gelingt, eine praxisgerechte Größe S zur Beurteilung der Fokussiergeschwindigkeit zu definieren, wären wir wieder einen kleinen Schritt weiter.
Walter E. Schön