Da Sie es mir nahelegten, zu dieser Frage etwas zu sagen, will ich mal kurz meine (leider zur Zeit dringende und umfangreiche) Arbeit unterbrechen und mich zur Antwort etwas kürzer fassen als üblich:
1. Nicht-Brillenträger
1.1 Es gibt Menschen mit tiefliegenden Augen bzw. weiter vorspringendem Schädelknochen an den Augenbrauen oder mit breiterem Nasenbein, weshalb bei großem Außendurchmesser des Okulartubus (Augenmuschel) das Fernglas nicht so nahe an die Augenpupille gehalten werden als wie bei anderen Menschen; folglich brauchen diese (Erstgenannten) Ferngläser mit einem weiteren Austrittspupillen-Längsabstand.
Umgekehrt gibt es Menschen mit „flacherer“ Gesichtstopografie (z.B. viele Asiaten), die mit kürzerem als durchschnittlichem AP-Längsabstand auskommen.
1.2 Dann gibt es unabhängig von diesen rein körperlichen Merkmalen noch den Unterschied, daß mancher Beobachter das Fernglas gern (z.B. zur besseren Stabilisierung) fest ans Gesicht andrückt und manchem aber ein lockerer Kontakt lieber ist. Das kann weitere 1 mm bis 2 mm Unterschied ausmachen.
2. Brillenträger
Hier sind die Unterschiede noch sehr viel größer, und deshalb kommt es vor allem unter Brillenträgern zu sehr unterschiedlichen Aussagen über das Einblickverhalten ein und desselben Fernglases.
2.1 Wer eine große Brille trägt oder/und ...
2.2 wer wegen eines hohen Nasenrückens die Brille weit vor den Augen trägt, ...
benötigt einen größeren AP-Längsabstand. Umgekehrt benötigt jemand mit kleiner Brille und/oder niedrigem Nasenrücken wegen der dann näher an den Augen befindlichen Brillengläser einen kleineren AP-Längsabstand. Maßgeblich ist diesbezüglich der sog. „HSA“ (Hornhautscheitelabstand = freier Luftabstand zwischen Brillenglas und Auge oder exakter vom Durchstoßpunkt der optischen Achse durch die augenseitige Grenzfläche des Brillenglases bis zum Durchstoßpunkt durch die Vorderfläche der Hornhaut), der evtl. im Brillenrezept des Augenarztes für den Optiker angegeben ist, weil evtl. bei abweichendem HSA der gewählten Brille auch die Dioptrenzahl ein wenig „nachkorrigiert“ werden muß. Bei den üblichen Brillen und Gesichtsanatomien von Mitteleuropäern beträgt des HSA etwa zwischen 10 mm (schlanke „Schubert“-Brille, wie Sie unser derzeitiger Außenminister bis vor ca. einem Jahr getragen hat) und 16 mm (große „Pilotenbrille“, wie sie in den 70er-Jahren modern war).
2.3 Wer kurzsichtig ist, dessen Brillenglas verlagert aufgrund ihrer negativen Brechkraft die Austrittspupille des Fernglases ein wenig nach hinten, und zwar um so mehr, je stärker die Kurzsichtigkeit ist. Ich habe das mal für mein Fernglasbuch für Dioptrienzahlen bis -8 dpt ausgerechnet und in einem aus den Ergebnissen abgeleiteten Diagramm gezeigt, daß dies bei Kurzsichtigen Unterschiede bis zu ca. 2 mm ergibt.
2.4 Wer weitsichtig ist, dessen Brillenglas verlagert aufgrund ihrer positiven Brechkraft die Austrittspupille des Fernglases ein wenig (bei kleiner Dioptrenzahl) bis sehr weit (bei großer Dioptrienzahl) nach vorn, verkürzt den AP-Längsabstand des Fernglases also um so mehr, je stärker die Weitsichtigkeit ist. Ich habe für Dioptrienzahlen bis +8 dpt ausgerechnet, daß dies bei Weitsichtigen Unterschiede bis zu fast 6 mm ergibt.
Man kann also nicht, wie es bislang üblich ist, ganz allgemein von „Brillenträgern“ sprechen, wenn es um den benötigten AP-Längsabstand bzw. die Beurteilung des Einblickverhaltens geht, sondern man muß unbedingt zwischen Kurz- und Weitsichtigen unterscheiden und speziell bei den Weitsichtigen (wo noch das Problem der großen Mittendicke des Brillenglases eine Rolle spielt und zu dem großen Wert von bis zu 6 mm beiträgt, den ich unter Punkt 2.4 genannt hatte) auch noch die Dioptrienzahl berücksichtigen. Extremfall: Ein Weitsichtiger mit -8 dpt braucht ca. 8 mm mehr AP-Längsabstand als ein Kurzsichtiger mit -8 dpt, wenn bei beiden Brillengröße und Nasenrückenhöhe gleich sind und zum gleichen HSA führen.
Wenn man die Variatrionsbreiten von Punkt 2.1 und 2.2 und 2.3/2.4 zusammenzählt, können sich Unterschiede im idealerweise benötigten AP-Längsabstand von bis zu ca. 15 mm ergeben.
Deshalb ist es so wichtig, zur Beurteilung des Einblickverhaltens die in die engere Wahl genommenen Ferngläser SELBST auszuprobieren!
Walter E. Schön