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Scheinbare Sehwinkel – Dichtung und Wahrheit

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31. Oktober 2007 15:29
Da meine Beitrag mit den Meßergebnissen der scheinbaren Sehwinkel einiger Weitwinkel-Ferngläser (oder solcher, die so beworben werden) innerhalb der Diskussion nach meiner Kritik am Miyauchi Binon 6x32 W etwas versteckt liegt und ich heute die scheinbaren Sehwinkel zweier weiterer Ferngläser nachgemessen habe, möchte ich das mit einem neuen Titel etwas mehr in den Vordergrund stellen und leichter auffindbar machen.

Ich habe von Dr. Holger Merlitz leihweise ein Leitz Amplivid und eine Miyauchi Binon 7x50 W erhalten, um auch deren scheinbare Sehwinkel nachmessen zu können.

Das Leitz Amplivid kam 1956 auf den Markt und wurde schon 1962 wieder vom Markt genommen, weil sich die Justierprobleme der dort verwendeten Prismen-Spiegel-Kombination als zu kostspielig erwiesen. Die Prismen-Spiegel-Kombination ist im Prinzip wie ein Abbe-König-Prisma aufgebaut, nur daß die erste und letzte Reflexion nicht durch Totalreflexion intern an Prismenflächen, sondern als normale Reflexion an Oberflächenspiegeln und nur die beiden Dachflächen-Reflexionen dazwischen an Prismenflächen erfolgen. So wird trotz stark vergrößerter Spiegelflächen für einen weit überdurchschnittlichen Sehwinkel enorm Gewicht gespart. Das sehr kompakte Amplivid 6x24 wiegt nur 356 g! Allerdings erzwingt die Konstruktion für den hier realisierten Sehwinkel etwas zu kurze Oberflächenspiegel (die nicht länger möglich sein, weil sie sonst an anderer Stelle in den Strahlengang ragen oder ans Objektiv anstoßen).

Leitz (die Firma hieß damals noch nicht Leica, sondern das war nur der Name ihrer Kameras) gab für das Amplivid ein Sehfeld von 212 m auf 1000 m an. Das entspricht einem realen Sehwinkel von 12,1° und ohne Berücksichtigung einer Verzeichnung einem scheinbaren Sehwinkel von 64,9°, was auf den ersten Blick nicht spektakulär aussieht, aber erstens aufgrund der von anderen Herstellern fast immer „großzigig aufgerundeten“ Sehwinkelangaben und zweitens angesichts der geringen, nämlich nur 6fachen Vergrößerung sehr wohl etwas Besonderes darstellt. Die von Max Ludewig erfundene und 1949 für Leitz patantierte Prismen-Spiegel-Kombination wurde zwar durch eine weitere Erfindung von Daniel Schade, die 1951 ebenfalls für Leitz patantiert wurde, mechanisch verbessert, aber die Justierung blieb problematisch, und wenn Leitz damit rechnen mußte, eine viele Arbeitsstunden dauernde, sehr komplizierte Neujustage im Laufe der Garantiezeit mehrfach bei einem großen Teil der produzierten Ferngläser kostenlos ausführen zu müssen, so ist verständlich, daß dieses Fernglas eingestellt werden mußte.

Das Amplivid hatte wegen der damaligen Spiegel, die mit Sicherheit nur aluminiumbedampft waren und daher keinen höheren Reflexionsgrad als ca. 90% pro Spiegelfläche haben konnten (im Neuzustand!), aber auch wegen dert damals noch viel weniger effektiven Vergütung eine sehr schlechte Transmission. Mein Transmissionstest (umgekehrt vor weißes Papier gehalten) ergibt einen olivbraunen Farbstich, der sehr kräfig ist und in dieser Stärke heutzutage nicht einmal bei 15-Euro-Aldi-Gläsern zu finden ist. Ich sah zudem beim Blick von vorn durchs Objektiv die Dachkante sehr deutlich, was auf eine weit unter dem heutigen Niveau liegende Fertigungsqualität der Dachkante schließen läßt und z.B. bei astronomischem Einsatz an hellen Sternen rechtwinklig zum Verlauf der Dachkante Beugungs-„Spikes“ erzeugt. Ferner fielen mir beiderseits parallel zur Dachkante verlaufende breite dunkle Streifen auf, im rechten Rohr ein bißchen weniger breit, aber mindestens doppelt so dunkel. Diese Streifen sehen wie Schleifspuren aus und scheinen sich beim Blick ins Fernglas durchs Objektiv hindurch etwa in derselben Entfernung wie die Dachkante zu befinden, sind also mit Sicherheit keine Verschmutzungen oder Alterungserscheinungen der Oberflächenspiegel. Sie könnten bei der Herstellung der Dachkantprismen oder evtl. durch Korrosion an der mechanischen Halterung der Prismen herrühren, die nun (Rost quillt auf) die Glasoberfläche berühren und dort die Totalreflexion zunichte machen könnte. Aber dies nur am Rande; ich wollte über die Sehwinkel reden.

Tatsächlich konnte ich am Amplivid sogar einen größeren scheinbaren Sehwinklel messen, als den, der sich aus der obigen Rechnung ergibt, nämlich 67,9° für das eine und 68,5° für das andere Rohr (wieder mit einer Meßtoleranz von ca. ±0,3°). Das kann an einer tatsächlich etwas stärkeren Vergrößerung als exakt 6fach oder auch an einer leichten kissenförmigen Verzeichnung liegen. Ich kann allerdings visuell keine kissenförmige Verzeichnung feststellen. Das Amplivid kommt mit nahezu verzeichnungsfrei und am äußersten Rand sogar ein wenig tonnenförmig verzeichnend vor. Aber das ist visuell nicht genau genug zu entscheiden, weil man beim Fernglas keine geradlinige Sehfeldbegrenzung (wie bei einem rechteckigen Foto) hat, sondern eine kreisförmige, und da treten optische Täuschungseffekte auf, die man auch beim Wissen um diese optische Täuschung nicht eliminieren kann. Eine exakte Prüfung oder Messung der Verzeichnung bei dieser sehr geringen Größe ist so aufwendig, daß ich es mir (zumindest vorläufig) erspare.

Ein weiteres wichtiges Handicap des Amplivids ist der sehr kurze AP-Längsabstand, der es für Brillenträger unbrauchbar macht. Ich kann als Kurzsichtiger mit Brille nur ca. 40° bis 45° überblicken, je nachdem, wie fest ich das Fernglas gegen die Brille presse. Ein weitsichtiger Brillenträger könnte noch weniger Überblicken. Und selbst ohne Brille ist das Auge so nahe an der letzten Okularlinse, daß man beim Lidschlag immer wieder mal mit den Wimpern das Glas berührt.

Dennoch meine ich, daß Leica prüfen sollte, ob man die Prismen-Spiegel-Kombination von Ludewig und Schade nicht nochmals aufgreifen sollte, um mit den heutigen Mitteln ein z.B. 7x32 mit besonders großem Sehwinkel und einem Gewicht unter 500 g zu ermöglichen. Immerhin hat man heute dielektrische Oberflächenspiegel mit Reflexionsgrad von über 99%, wovon Herr Ludewig nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Und man beherrscht heute die hermetische Abdichtung, die sicherstellt, daß es im Inneren zu keiner Korrosion kommen kann und die Spiegel nicht im Laufe der Jahre verstauben und „stumpf“ werden wie das mir leihweise überlassene Amplivid von Holger Merlitz. Unsichtbar feine Dachkanten beherrscht Leica heute auch, und der Phasenbelag, der dem Amplivid natürlich fehlte, weil er damals noch nicht erfunden war, ist heute bei Leica in allen Ferngläsern selbstverständlich. Gerade von Leica würde ich eine solche Lösung erwarten, nicht nur wegen der Urheberschaft der beiden Patente (die längst abgelaufen sind), sondern auch, weil Leica den Kriterien Kompaktheit und geringes Gewicht immer eine höhere Priorität eingeräumt hat als die Mitbewerber.

Das andere jetzt neu bezüglich des scheinbaren Sehwinkels überprüfte Fernglas ist das Miyauchi Binon 7x50 W, das von nicht wenigen Hobbyastronomen im Forum von Astronomie.de für ein ideales Astrofernglas gehalten, eifrig diskutiert und auf der Wunschliste geführt wird. Ich muß aber diese Erwartungen jetzt dämpfen. Der Hersteller übertreibt auch bei diesem Fernglas in seinen technischen Daten ziemlich hemmungslos. So kann man bei „bignonoculars.com“ lesen:

„The Miyauchi "Binon" Series are a unique line of ultra-wide-angle hand-holdable binoculars. Standing under a dark sky and sweeping the Milky Way is a blast with these binoculars- and nothing else on the market can give the same experience. For the 7x50w model, actual field of view is 9.5° and the apparent FOV is 68°, which gives a real "space-walk" feeling.“

„Unique“ (einzigartig) ist an diesem Fernglas nur die heutzutage unübliche Bauform mit Porro-II-Prismensystem und die Farbe (blankes Aluminium und bordeauxrotes Kunstleder). Der angebliche „blast“ (Windstoß, Lufthauch) ist lediglich der eines Autoreifens nach einer Messerattacke, wenn „die Luft rausgeht”, in diesem Fall aus dem aufgeblasenen Sehwinkel, der eben nicht 68° beträgt, wie großspurig angegeben wird (das Verb „angeben“ hat hier beide Bedeutungen!), sondern nur 63,2° im linken und 63,0° im rechten Rohr (wieder beide ±0,3°). Das ist immer noch ein beachtlicher Sehwinkel für ein 7x50-Fernglas, an den kein anderes mir bekanntes im derzeitigen Angebot herankommt, aber es ist eben nicht 68°. Warum muß man so übertreiben, wenn man mit dem wirklich erreichten Sehwinkel auch schon eine gute Figur machte?

Nicht weglassen darf ich den Hinweis darauf, daß das Miyauchi 7x50 W eine sehr starke Bildfeldwölbung aufweist, die insbesondere bei älteren Beobachtern mit verminderter Akkommodationsfähigkeit zu einer schon bei ca. 50% Abstand von der Bildmitte (Bildrand = 100%) beginnenden Unschärfe führt, die dann am Rand extrem stark wird (ich kenne kein anderes Fernglas mit so schlechter Randschärfe aufgrund von Bildfeldwölbung, habe mich aber nie intensiv mit Billiggläsern befaßt, so daß ich noch schlechtere Randschärfe nicht ausschließen kann).

Alles in allem ist das Miyauchi Binon 7x50 W zwar irgendwie ein Unikum, aber garantiert kein ideales Astrofernglas, es sei denn, man möchte im Zentrum Sterne und am Rand „galaktische Nebel“ der besonderen Art beobachten.

Zum Schluß nun die schon eingangs angekündigte Aufstellung der von mir nachgemessenen scheinbaren Sehwinkel, jetzt ergänzt um die beiden neu hinzugekommenen, in der Reihenfolge zunehmender Größe der gemessenen Winkel. Das Leica Utravid 8x32 BR ist nur zum Vergleich mit angegeben, da dieses Fernglas relativ bekannt ist und einen scheinbaren Sehwinkel auf heutigem Niveau der Spitzenferngläser bietet, ohne daß der Hersteller es als „Weitwinkelglas“ bewirbt.

Die Abkürzung SSW bedeutet scheinbarer Sehwinkel, die Abkürzung RSW bedeutet realer Sehwinkel.


Miyauchi Binon 6x32 W: SSW 54,5° (Herstellerangabe 66°, maßlos übertrieben)

Nur zum Vergleich Leica Ultravid 8x32 BR: SSW = 59,6° (keine Herstellerangabe für SSW, nur RSW = 7,7°)

Swarovski 8x32 EL: SSW = 61,6° (Herstellerangabe SSW = 62°, o.k.)

Canon 10x42 L IS WP: SSW = 61,9° (Herstellerangabe SSW = 65°, ziemlich deutlich übertrieben!)

Swarovski 8,5x42 EL: SSW = 62,5° (Herstellerangabe SSW = 62°, o.k.)

Miyauchi Binon 7x50 W: SSW = 63,1° (Herstellerangabe SSW = 68°, sehr weit übertrieben!)

Nikon 10x35 E II: SSW = 67,6° (Herstellerangabe SSW = 70°, deutlich übertrieben)

Leitz Aplivid 6x24 (1956): SSW = 68,2° (Mittelwert; Herstellerangabe Sehfeld 212 m auf 1000 m, größerer SSW, als aus Sehfeldabgabe zu berechnen, aber nur ohne Brille zu überblicken)

SARD 6x42 (amerik. Militärglas WK II): 69,0° (keine Herstellerangabe)

Das letztgenannte Fernglas ist ein sehr schweres (1733 g) amerikanisches Militärfernglas aus dem 2. Weltkrieg, das speziell auf weiten Sehwinkel getrimmt war und hier nur „außer Konkurrenz“ mit aufgeführt wird.

Walter E. Schön
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Scheinbare Sehwinkel – Dichtung und Wahrheit

Walter E. Schön 4342 31. Oktober 2007 15:29

Re: Scheinbare Sehwinkel – Dichtung und Wahrheit

Ruedi Gross 1293 01. November 2007 09:54

Messung des realen und scheinbaren Sehwinkels (sehr langer Text!)

Walter E. Schön 3479 01. November 2007 23:46

Re: Messung des realen und scheinbaren Sehwinkels (sehr langer Text!)

HWilkens 1365 02. November 2007 12:50

AP-Lage ist unkritisch

Walter E. Schön 1531 02. November 2007 13:36

Re: AP-Lage ist unkritisch

HWilkens 1433 02. November 2007 16:43

Re: Messung des realen und scheinbaren Sehwinkels (sehr langer Text!)

HWilkens 1377 03. November 2007 12:30

Messung mit Laser ist genauer (neue Meßwerte folgen bald)

Walter E. Schön 1100 03. November 2007 14:15

Gemessene scheinbare Sehwinkel von 30 Ferngläsern

Walter E. Schön 2613 03. November 2007 16:51

Ich habe noch zwei Wünsche oder Bitten

Volker Werres 1274 04. November 2007 09:57

Diese Wünsche werde ich erst später erfüllen können

Walter E. Schön 1484 04. November 2007 10:59

Besitzt jemand ein Zeiss Deltarem?

Holger Merlitz 1967 04. November 2007 10:29

Re: Besitzt jemand ein Zeiss Deltarem?

Janet Ginter 1384 26. November 2008 19:51

Re: ich besitz ein Deltarem 8x40

Janet Ginter 1599 26. November 2008 19:53

Re: ich besitz ein Deltarem 8x40

marc champollion 1401 26. November 2008 21:37



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