Wasserdichte Fernglaeser werden mit einem Schutzgas gefuellt - traditionell mit trockenem Stickstoff. Seit einigen Jahren sind manche Hersteller zu dem Edelgas Argon uebergegangen. Das Argument ist: Argon hat eine Atommasse von 40g/Mol, molekularer Stickstoff hat 28g/Mol, und das schwerere Argon diffundiert daher langsamer aus dem Fernglasgehaeuse, die Fuellung bleibt ueber eine laengere Zeit brauchbar. So weit, so gut.
Wenn man sich die Diffusionsrate etwas genauer anschaut, dann kommt man aus fundamentalen physikalischen Gesetzen schnell zu der Formel
R = (P * A * [p1 - p2])/d
Hier bedeuten:
R = Diffusionsrate, sagt an, wie schnell etwas durch eine Wand diffundiert
P = Permeationskoeffizient, ist materialabhaengig und abhaengig vom Fuellgas
A = Flaeche der Wand
d = Wandstaerke
p1 - p2 = Differenz der Partialdruecke des Fuellgases
OK, die Konstante P enthaelt die Molekularmasse, und somit ist P kleiner fuer Argon als fuer Stickstoff. Jetzt geht es aber weiter: Stickstoff ist zu 78% in der Aussenluft enthalten, Argon zu weniger als 1%. Das ist von Relevanz fuer die Partialdruecke (der Partialdruck ist der Druckanteil, der nur von dieser speziellen Molekuelsorte stammt, also gewissermassen die Konzentration dieses Gases).
Wenn also das Fernglas, wie behauptet, durchlaessiger fuer Stickstoff ist als fuer Argon, dann kann der Stickstoff also in das Fernglas hineindiffundieren, und das tut er rapide: Im Innern ist ja nur Argon, aussen herrscht ein Stickstoff-Partialdruck von 0.78 Atmosphaeren, der Stickstoff will also rein!
Umgekehrt, bei einem Stickstoff gefuellten Fernglas, hat man innen 1 Atmosphaere Stickstoff, aussen 0.78, die Differenz ist nur 0.22 Atmosphaeren. Mit anderen Worten: In einem mit Argon gefuellten Fernglas ist der Stickstoff mehr als 3 Mal so schnell drin, wie er in einem Stickstoff gefuellten Fernglas raus waere. In einem Argon-Fernglas entsteht dann ein (osmotischer) Ueberdruck, der auf Dauer die Dichtungen belasten duerfte.
Wenn es denn so weit kommt: Der Argon Partialdruck ist aussen ja sehr gering, d.h. der Partialdruckunterschied innen/aussen betraegt bei einer Argonfuellung praktisch eine Atmosphaere (verglichen mit 0.22 Atmosphaeren Differenz der Stickstoff-Partialdruecke bei einem mit Stickstoff gefuellten Fernglas). Dieser grosse Unterschied in den Partialdruckdifferenzen duerfte die Unterschiede in den Permeabilitaetskoeffizienten mehr als kompensieren (ich sage: "duerfte", weil ich leider keine genauen Zahlen habe, aber annehme, dass P umgekehrt proportional zur Wurzel der Molekularmasse ist, das ist das sog. Grahamsche Gesetz).
Zusammenfassung: Argon diffundiert im Prinzip zwar langsamer als Stickstoff, aber die Partialdruckdifferenzen sind derart, dass Stickstoff weit besser als Fuellung geeignet sein duerfte als Argon. Es handelt sich bei der Argon-Fuellung mal wieder um einen Marketing-Gag, Argon klingt halt edler als Stickstoff.
Viele Gruesse,
Holger Merlitz
P.S.: Permeationskoeffizienten sind fuer Metallwaende sehr klein (abgesehen von Wasserstoff oder Helium, die leicht durch Metalle diffundieren koennen). Ein Verlust des Fuellgases duerfte daher nur ueber die Dichtungen stattfinden. Bei Gehaeusen aus Verbundstoffen ist die Lage allerdings anders: Polycarbonat ist weit durchlaessiger fuer Gase (Konfokal - ein Argument fuer Dich ;-)