TEIL 1
Swarovski digitalGuide – erste Eindrücke
Swarovski’s neuer «dG» ist jetzt verfügbar, und ich hatte ein paar Tage Gelegenheit, den «digitalen Guide» auszuprobieren.
Ich würde ihn kurz beschreiben als : “Mini spotting scope mit integrierter Kamera und WLAN Konnektivität zu externen Geräten zwecks Dokumentation und Identifikation von Vögeln (und gegebenenfalls Säugetieren)».
Wie soll der dG laut Swarovski verwendet werden?
Mit der Optik einen Vogel aufspüren, mit der eingebauten Kamera ein Foto machen, das Bild bei Bedarf verzugslos mit einer Gruppe von bis zu 5 Personen via deren Smartphones teilen, allenfalls auf dem Smartphone eine Identifikations-App laufen lassen, um den Vogel auf dem Bild zu bestimmen.
Das würde bedeuten, dass der dG alle üblichen Schritte des Birdings im Feld – Lokalisierung eines Vogels, Dokumentation der Beobachtung, Bestimmung der Vogelart – in einen Arbeitsgang integrieren könnte. Bis jetzt würde ich das Gelände mit Feldstecher oder Spotting Scope beobachten, einen Vogel ausfindig machen, z.B. einen über mir kreisenden Greifvogel, ein Foto schiessen, um die Beobachtung zu dokumentieren, und den Vogel (falls nicht bekannt) mittels Field Guide in Buchform oder sonstigen Hilfsmitteln bestimmen.
Swarovskis dG soll nun all diese Schritte – plus zusätzlich die elektronische Verteilung des geschossenen Fotos – in einem einzigen Gerät ermöglichen, das mit einem Smartphone verbunden ist. Zu gut, um wahr zu sein? Ich war jedenfalls skeptisch.
Ist der dG ein brauchbares Birding Hilfsmittel oder ein Spielzeug für Digital-Süchtige?
Ich gehe davon aus, dass erfahrene Birder für sich selbst wenig Nutzen aus einem Gerät wie dem dG ziehen werden (mea culpa, falls ich das falsch sehe).
Anders könnte es vielleicht nur sein, wenn das Gerät für Unterrichtszwecke gebraucht wird, um im Gruppenunterricht Anfängern das Birding beizubringen. Mit der Möglichkeit, ein Vogel-Foto unmittelbar auf mehreren Smartphones abzubilden und dann in der Gruppe die Artenbestimmung in der Diskussion durchzuführen, könnten sich Anwendungsmöglichkeiten für erfahrene Birder auftun, welche Schulungen durchführen.
Stellt sich sodann die Frage, ob der dG für weniger erfahrene Birder bzw. Anfänger Vorteile bringt. Das wäre sicher dann der Fall, wenn Fernglas, Kamera und Naturführer daheimbleiben und die Ausrüstung allein aus dem dG mit Smartphone bestehen könnte. Das würde aber bedingen, dass das im dG eingebaute 8x25 Scope leistungsfähig genug, die Handhabung der dG-Kamera einfach und präzis und die Identifikations-App auf dem Smartphone zuverlässig genug ist. Genau das wollte ich herausfinden.
Zunächst ein paar technische Daten:
Vergrösserung: 8x
Objektivdurchmesser: 25mm
Augenlängsabstand: 17mm
Reales Sehfeld: 6.8 degrees = 119m/1000m
Scheinbares Sehfeld: 52 degrees
Diopter Bereich: + / - 4 dpt
Nahfokus: 2.5m
Transmission: 89%
Gewicht: 550g
Auflösung der Kamera: 13MP
Auf den ersten Blick sind das nicht übermässig eindrückliche Spezifikationen. 8x25 für Birding? Ich ziehe 8x32 oder 8x42 immer vor. Das Sehfeld von 119m ist auch nicht berauschend, verglichen mit den üblichen Birding-Ferngläsern, das entspricht dem CL Pocket 8x25, beim dG aber nur einäugig. Die 13MP Auflösung der Kamera scheinen auf dem Papier ok, das muss sich aber in der Praxis bestätigen.
Zum Thema “digital”:
Um den dG mit einem oder mehreren Smartphones zu verbinden, muss eine App namens «dG» vom AppStore oder Google Play heruntergeladen werden. Zum Verbinden mit dem dG ist die Seriennummer einzugeben bzw. der Code auf der Verpackung einzuscannen.
In meinem Fall funktionierte das Herunterladen, Einscannen und anschliessende Verbinden mit dem dG beim ersten Versuch einwandfrei und ohne jedes Problem.
Nach dem Verbinden zeigt das Smartphone einen «live stream» der dG-Kamera; drückt man den Kamera-Auslöser am dG, quittiert das Smartphone jede Aufnahme mit einem Ton und zeigt sodann bis zu 10 Fotos direkt auf dem Bildschirm, und die Bilder sind dann in der dG App wie auch im Foto-Ordner des Smartphones direkt zugänglich.
Zur Identifikation von beobachteten bzw. fotografierten Säugetieren dient eine weitere App namens «dG Mammals», welche die 100 häufigsten europäischen Säugetiere bestimmen kann. Das war für mich weniger interessant, und ich habe diese App nicht ausprobiert.
Zur Vogelbestimmung gibt es in den AppStores die App «Merlin» von Cornell Labs. Sie ist schon eine Weile verfügbar, lässt sich bestens auch ohne dG einfach mit dem Smartphone nutzen und lässt einen entweder nur einzelne geografische Regionen (braucht weniger Platz auf dem Smartphone) oder aber die gesamte Datenbasis herunterladen. Ich benutze die Merlin App schon eine Weile und finde sie erstaunlich gut; sofern man die Anwendung zur Foto-Identifikation (Identifikation ist auch mit einem Fragenkatalog möglich) von Vögeln verwendet, reichen selbst relativ unscharfe oder verwackelte Aufnahmen meist aus für eine Bestimmung. Bedingung ist lediglich, dass man der Merlin App die Informationen gibt, die sie abfragt (geografischer Ort der Vogelsichtung bzw. Aufnahme, usw. Wenn ich im Berner Oberland einen Steinadler aufnehme und als Sichtungsort eine Postleitzahl aus der Nordschweiz eingebe, findet Merlin den Greifvogel nicht, weil es da keine solchen Adler gibt).
Einzelfragen:
Wie gut ist die visuelle Optik des dG?
Verglichen mit dem Swaro CL Pocket 8x25, sehr vergleichbar: Gleiches Sehfeld, ähnliche Bildcharakteristik (Bilder «CL» und «dG»). Halt nur einäugig, was ich suboptimal finde. Zweiäugig gibt aus meiner Sicht deutlich mehr her. Der Fokus ist für meinen Geschmack etwas zu langsam untersetzt, gerade im Feld bei der Vogelbeobachtung ziehe ich schnellere Fokussierung vor.
Fazit: mit dem dG ist man optisch etwa so unterwegs wie mit einem halben CL Pocket. Auf den ersten Blick keine «Traumausrüstung» für den Birder.
Wie gut ist die Kamera des dG?
Meine nüchterne Einschätzung: nur gerade als Kamera betrachtet, mittelprächtig. Schärfe, Kontrast, Farbtreue, Helligkeit scheinen einigermassen okay, aber für Landschaftsaufnahmen würde ich den dG wohl kaum benutzen. Das ist jetzt vielleicht eine unfaire Einschätzung, weil der dG gar nicht für Fotografie ausserhalb des engen Bereichs Tierbestimmung angepriesen wird. Wichtiger wird sein, ob die Kamera genügend gute Bilder schiesst, dass ich eine Beobachtung ausreichend dokumentieren kann, und dass die Merlin App anschliessend mit der Identifikation zurechtkommt. Siehe weiter unten.
Nach dem Drücken des Auslösers vergeht etwa eine dreiviertel Sekunde, bis die Kamera den «Shuttersound» von sich gibt, und die Gebrauchsanweisung erwähnt, man solle die Kamera «während der Bildaufnahme so ruhig wie möglich» halten (wobei offenbar eine Bildstabilisierung eingebaut ist.) Das ist etwas ärgerlich, denn das heisst wohl, dass Schnappschüsse mit dem dG schwierig sind. Aber die dG-Kamera braucht offenbar diese Zeit, um den Autofokus in Gang zu setzen.
Wie einfach bzw. intuitiv ist die gesamte Bedienung des dG?
Kurzeinschätzung: sehr gut, bzw. völlig unproblematisch.
Wie nahe muss ich an Vögel herankommen, damit eine brauchbare Aufnahme gemacht werden kann? Wie hell muss es sein für die Aufnahme?
Siehe weiter unten.
Kann das dG auf Stativ montiert werden?
War offenbar von Swarovski leider nicht beabsichtigt (weshalb eigentlich nicht?). Ein Schrauböffnung für die üblichen Stativadapter fehlt. Ich habe mir daher mit dem hölzernen Stativadapter von Berlebach beholfen, und das funktioniert bestens (siehe Bild «Stativ»). Die Antwort auf die Frage wäre demnach «Jein».
TEIL 2
Der dG «im Feld»
Mit eingeschaltetem dG und verbundenem Smartphone habe ich mal auf kurze Distanz versucht, ein paar «einfache» Vögel anzusprechen. Distanzen habe ich nachträglich mit dem Laser vermessen. Die Kamera nimmt Vögel etwa in der gleichen Grösse auf, wie sie mir in der 8x Optik des dG erscheinen.
Situation 1: Singende Amsel in Zwetschgenbaum, Distanz 25m
Die Amsel sass recht ruhig auf ihrem Zweig und war vor dem verschieden hellen grünen Hintergrund gut auszumachen. Das erste Foto gelang bereits gut (Bild «Amsel»).
Die Merlin App hat verzugslos richtig identifiziert. So weit, so gut (und so einfach).
Situation 2: Kohlmeise in Zwetschgenbaum, Distanz 32m
Die Meise hüpfte ruhelos im Baum herum, und jedesmal, wenn ich den Auslöser drückte, sass sie schon wieder auf einem anderen Ast bzw. hinter einem Blatt. Mehrere Aufnahmen gingen daher ins Leere, weil die dG Kamera ja mit etwas «Verzug» arbeitet. Die 6. Aufnahme gelang dann (Bild «Meise»). Wiederum kein Problem für die Merlin App, die Meise richtig zu bestimmen.
Situation 3: Singende Mönchsgrasmücke am Waldrand, Distanz 41m
Die Grasmücke sass zunächst auf unserer Birke und jodelte, was das Zeug hielt, «entkam» mir dann aber, bevor ich sie aufnehmen konnte, blieb aber zum Glück nach kurzem Flug in den Bäumen am Waldrand und setzte ihr Lied dort fort. Das erste Bild gelang, allerdings recht unscharf (Bild «Screenshot»). Dennoch bestimmte die Merlin App den Vogel korrekt (und ohne Auswahl-Alternativen anzubieten, was sie bei nicht ganz klaren Verhältnissen jeweils tut). Auf die Distanz mit dem kleinen Vogelbild fand ich das eine recht überzeugende Leistung.
Meine Eindrücke nach diesen ersten kurzen Versuchen (ich plane, weitere Versuche demnächst mal mit den hier stark verbreiteten Milanen, Bussarden und Falken durchzuführen, sowohl im Flug wie stationär):
- Verarbeitung, Finish und Haptik des dG sind einwandfrei und von gewohnter Swarovski-Qualität
- Die Bedienung des dG bietet keine Probleme. Der Auslöser der Kamera ist gut bedienbar, dürfte aber etwas leichtgängiger sein (mit dem Risiko, dass man dann vielleicht eher mal ungewollt auslöst)
- Wie erwähnt, würde ich mir eine etwas schnellere Fokussierung wünschen
- Wegen des bescheidenen Sehfelds der dG-Optik bietet das Auffinden der Vögel, insbesondere in Bäumen, eine gewisse Herausforderung (verstärkt noch durch die Einäugigkeit). Hat man den Pieper dann mal lokalisiert, ist die Hauptaufgabe gemeistert, das Weitere geht dann recht einfach (ausser bei Vögeln, die dauernd hin und her springen). Etwas mehr Sehfeld wäre wünschenswert
- Die Auslöseverzögerung der Kamera, die durch das Einschalten des Autofokus bedingt ist, führt dazu, dass man bei sehr «nervösen» Vögeln öfters mal eine nutzlose Foto schiesst. Schnappschüsse sind daher kaum möglich (lasse mich gerne belehren, dass es dennoch geht).
- Ob die Kamera des dG für Dokumentationszwecke genügend Details bietet, muss wohl jeder für sich entscheiden. Da kommt es dann vielleicht auch darauf an, wie gut einem die Fotos in der Handhabung gelingen
- Für Bestimmungszwecke reichen die Bilder der dG aber offenbar bestens (weiter zu verifizieren), und in Kombination mit der Merlin App dürften v.a. Anfänger (vielleicht sogar «Intermediates»?) einigen Nutzen aus der Benutzung ziehen können.
- Ein richtiger Stativadapter wäre aus meiner Sicht wünschbar
- Via die auf dem Smartphone installierte dG App sind diverse zusätzliche Einstellungen möglich, die ich bis jetzt gar nicht ausprobiert habe
Leander Khil hat im Fabruar 2020 einen Review des dG geschrieben, siehe hier:
[
www.leanderkhil.com]
der einige weitere Aspekte des dG beleuchtet.
Ob man das Fernglas zu Hause lassen und nur mit dem dG allein ausrücken will, muss jeder für sich entscheiden. Und ob der dG seinen Preis wert ist, ebenfalls. Aufgrund der Integration von visueller Optik, Kamera und digitaler Konnektivität sind gewisse Kompromisse unvermeidlich, Der Hauptanwendungsbereich liegt vielleicht weniger in der Einzelpersonen-Nutzung als im Bereich Ausbildung und Schulung. Dennoch hat mir der dG bis jetzt mehr Spass gemacht, als ich erwartet hatte, und ich freue mich auf weitere Versuche mit Greifvögeln.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.04.20 17:50.
