Hallo an alle die neugierig sind, wie die Restaurierung ausgegangen ist.
Das Focalpin 10x60 habe ich komplett gereinigt, wieder zusammengebaut und penibel justiert.
Die Versilberung der Prismen ist zu 100% intakt und auch die Vergütung ist wie neu.
Keine Putzspuren, keine Kratzer, nichts.
Somit habe ich die Optik vermutlich auf den selben Stand gebracht, wie sie das Werk etwa 1958 verlassen hat.
Einer zuverlässigen Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Glases steht nun nichts mehr im Weg.
Zum Vergleich dient ein Carl Zeiss Jena 10x50 Dekarem mit einfacher Vergütung, das in etwa aus der selben Zeit stammt.
Das Dekarem kennen vermutlich die meisten und so liegt es nahe dieses Glas als Referenz zu wählen.
Mechanik:
Wenn man bedenkt, dass Kern Aarau bei der Mechanik absolutes Neuland betreten hat, arbeitet die Innenfokussierung perfekt.
Kein lästiges Nachjustieren des Dioptrienausgleichs, nichts ruckelt oder hakelt, feinmechanisch typisch Kern Aarau, absolut einwandfrei.
Hier ist das Dekarem fast auf Augenhöhe, allerdings mit altbewerter Technik und den bekannten Nachteilen der Dichtigkeit.
Man darf hier nicht vergessen, warum Kern Aarau diesen immensen Aufwand der Innenfokussierung auf sich genommen hat.
Es ging um nichts Geringeres, als darum ein Porroglas mit Mitteltrieb zu konstruieren, das druckwasserdicht ist.
Der Punkt geht natürlich an Kern Aarau.
Haptik:
Selten hatte ich ein Porroglas mit 60mm Objektiven in der Hand, das sich so perfekt greifen und gleichzeitig einstellen lässt.
Auch hier geht der Punkt klar an das Focalpin.
Optik:
Kern Aarau hat hier einen Spagat gewagt, der nur zum Teil aufgegangen ist.
Wenn man die Größen der Prismengehäuse vergleicht, so fällt natürlich sofort auf, dass das Focalpin deutlich schlanker gebaut ist. Zumal das Dekarem 50er Objektive und das Kern Aarau 60er Objektive besitzt!
Will man große Sehfelder verwirklichen, sind große Prismen meist unvermeidlich.
So verwundert es nicht, dass das Dekarem ein deutlich größeres Sehfeld besitz.
Die von mir gemessenen realen Sehfelder betragen:
Focalpin: 5,75 Grad
Dekarem: 7,28 Grad
Dieser Punkt geht deutlich an das C.Z.J.
Die Schärfeleistung ist bei beiden Gläsern sehr gut. Wenn man das Bild nachvergrößert, kann man einen sehr geringen Vorteil für das Dekarem verbuchen. Dieser ist aber wirklich vernachlässigbar gering und spielt bei normaler Betrachtung keine Rolle.
Gleichstand.
Der Kontrast ist bei beiden Gläsern dieser Vergütungsstufe gut.
Hier würde ich einen geringen Vorteil für das Focalpin sehen, aber auch nur marginal.
Kein Punkt.
Die Farbtemperatur ist bei beiden Gläsern leicht in den warmen Ton verschoben.
Beim Kern etwas mehr, vermutlich wegen der Versilberung der Prismen.
Möglicherweise erklärt sich dadurch auch der etwas bessere Kontrast des Focalpin, bei dem derzeit etwas diesigen Wetter.
Die Lichttransmission ist natürlich bei beiden Gläsern nicht vergleichbar mit Ferngläsern mit moderner Breitbandvergütung, aber für damalige Verhältnisse sehr gut.
Auch hier Gleichstand.
Die Randunschärfe ist meines Erachtens die einzige wirkliche Schwäche des Focalpin.
Sie setzt etwas früher ein, als beim C.Z.J.
Und das bei deutlich kleinerem Sehfeld.
Dennoch ist der sweet spot, also das Feld, in dem man scharf sieht, zumindest für meine Augen ausreichend groß, um angenehm zu beobachten.
Der Punkt geht trotzdem an das Dekarem.
Chromatische Aberrationen sind bei beiden Gläsern wahrnehmbar, aber wegen der rasch einsetzenden Randunschärfe wird sie nicht als störend empfunden.
Die Streulichtempfindlichkeit beim Focalpin ist sehr gering, geringer als beim Dekarem.
Da hat Kern Aarau ganze Arbeit geleistet.
Geisterbilder an hellen Objekten sind natürlich vorhanden, da einfache Vergütung, aber moderat.
Der Vorsprung ist aber zu gering für einen Punkt.
Das Focalpin ist etwa 25mm höher (165mm zu 190mm) bei Unendlich.
Aber dennoch etwa 6mm schmaler (198mm zu 192mm) bei 65mm Augenabstand als das C.Z.J.
Und das trotz der 60mm Objektive!
Beim Gewicht ist das Kern Aarau auch vorne, wenn man Gewichtsreduzierung als Vorteil verbucht.
Focalpin 990 g
Dekarem 1031g
Ein bisschen verwundert mich die Masse schon, da Kern Aarau das 10x60 mit 1060g angibt.
Meine Küchenwage zeigt bei einem Prüfgewicht von 1000 g 1015g an, was bedeuten würde, dass das Focalpin tatsächlich sogar noch etwas leichter als 990g sein dürfte.
Vielleicht hat man den Riemen und die Okularabdeckung mit gewogen.
Wie dem auch sei, es ist etwa 40g leichter als das 10x50 aus Jena und somit: Punkt für die Schweiz.
Gäbe es auch Punkte für außergewöhnliches Design, so hätte das Focalpin sicher auch da einen Punkt verdient.
In Sachen Preis/Leistung vermutlich allerdings das Dekarem.
Auch wenn ich hin und wieder Punkte vergeben habe, ging es bei mir diesem Vergleich aber gar nicht darum einen Gewinner zu küren, sondern darum eine Vergleichbarkeit zu einem so seltenen Glas wie dem Focalpin zu schaffen.
Deswegen wählte ich als Referenz ein Fernglas, durch das vermutlich die meisten schon einmal geschaut haben oder sogar besitzen, das Dekarem.
Für mich jedenfalls bedeutet das Kern Aarau Focalpin eine große Bereicherung meiner Sammlung.
Es hat trotz seiner Schwächen auch Vorteile und auch einen ganz eigenen Charme in Haptik, Anmutung und optischer Leistung.
Hier noch eine Anmerkung zu der Justierung des Fernglases.
Ich benutze für die binokulare Justierung ein eigens von mir für alle Fernglastypen entwickeltes Gerät, das es mir ermöglicht die Parameter Justage, Bildaufrichtung und Vergrößerungsdifferenz sehr genau zu beurteilen und bei Bedarf einzustellen, insofern Einstellungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Bei Interesse kann ich ja darüber auch ein paar Sätze schreiben.
Viele liebe Grüße an alle im Forum
Holger
