Zu den Punkten von Herrn Becker möchte ich noch einen weiteren hinzufügen: Ereignisse wie die „photokina” (weltgrößte Messe rund ums Bild, früher Foto- und Filmtechnik, dann auch Video und Digitales, nebenher aber immer auch den Bereich Ferngläser einschließend) üben auf alle Hersteller einen Zwang zu Neuvorstellungen aus, die auf solchen Messen natürlich ein ideales Forum finden. Oftmals unternehmen die Firmen größe Anstrengungen, noch rechtzeitig zur Messe nicht nur ein funktionsloses Modell („Dummy”), sondern funktionsfähige Prototypen in Einzelfertigung zustande zu bringen. Bis dann eine Serienfertigung anlaufen kann, dauert es oft noch lang, insbesondere wenn es sich nicht um eine bloße Verbesserung eines schon existierenden Modells handelt, bei dem nur einige Teile verändert wurden, sondern wenn es von Grund auf neue Modelle wie in diesem Falle der kleinen Ultravids 8x20 und 10x25 sind. Optik und Mechanik haben hier nur sehr wenig mit den Trinovids gemein, so daß bis auf vielleicht interne Fokussiergestänge und das Glas der Umkehrprismen (die jedoch anders vergütet und verspiegelt sind) so gut wie alles völlig neu ist.
Man könnte Leica vorwerfen, daß die neuen kleinen Ultravid zu früh vorgestellt worden seien und man noch zwei oder drei Monate hätte warten sollen, aber unter Marketinggesichtspunkten wäre das eine katastrophale Entscheidung gewesen, die „photokina” nicht zur Neuvorstellung zu nutzen.
Ich erinnere an die Neuvorstellung der ersten Kleinbildkamera mit Multiautomatik (Zeit- und Blendenautomatik) vor gut 25 Jahren durch Rollei auf der „photokina”, auf welche dann rund 6 Jahre gewartet werden mußte, mit der Konsequenz, daß am Ende die Canon AE-1 und keine Rollei zur ersten serienmäßig lieferbaren KB-Kamera mit Multiautomatik wurde. Aber solche Verzögerungen gab es nicht nur bei deutschen Firmen, auch die japanische Firma Pentax hatte mal (noch früher) eine ähnlich lange Wartezeit von der Neuvorstellung eines Prototyps bis zum käuflichen Serienmodell bei der Mittelformat-Spiegelreflexkamera Pentax 6x7.
Wenn man den Blick auf neue Automodelle richtet, die auf der IAA in Frankfurt oder auf dem Genfer Autosalon gezeigt werden, ist es nicht anders – im Gegenteil sind dort die Wartezeiten auf die Neuvorsellungen oft noch sehr viel länger als jetzt bei Leica! Die Serienfertigung eines hochwertigen, komplexen Produkts ist eben keine einfache Sache, wenn man spätere Rückrufaktionen oder allzu viele Reklamationen wegen „Kinderkrankheiten” vermeiden will.
Übrigens: Geduld ist eine Tugend, und wir wollen doch alle tugendhafte Menschen sein (bitte an die guten Vorsätze zu Weihnachen und Neujahr denken!).
Walter E. Schön