Wenn es nicht spezielle andere Gründe gibt (z.B. mechanische Einschränkungen bei sehr hoch vergrößernden Ferngläsern mit sehr langbrennweitigen Objektiven), dann begrenzen die Hersteller die Naheinstellung so, daß ...
1. die Überlappung der Sehfelder beider Augen noch mindestens etwa 35% des gesamten Sehfeldes beider Augen beträgt und
2. die Augen bei der Fusion der beiden Bilder im Überlappungsbereich nicht mehr schielen müssen als ohne Fernglas auf ca. 25 cm Abstand.
Wenn der Objektivachsenabstand genau oder zumindest annähernd so groß wie der Okularachsenabstand ist, also für die meisten Dachkantferngläser, ergibt sich die sinnvolle Nahgrenze nach der zweiten Bedingung durch Multiplizieren mit der Vergrößerung, bei einem 8fach vergrößerenden Fernglas, wie es hier diskutiert wird, also in der Größenordnung von 8 · 0,25 m = 2 m.
Wenn, wie es bei normalen Porro-I-Ferngläsern der Fall ist, der Objektivachsenabstand deutlich größer ist, muß zusätzlich noch mit dem entsprechenden Faktor multipliziert werden. Beim Nikon 8x30 E II ist der Objektivachsenabstand wie bei den meisten Porro-I-Ferngläsern fast genau doppelt so groß wie der Okularachsenabstand, so daß noch mit 2 zu multiplizieren ist und die sinnvolle, weil für die überwiegende Mehrzahl aller Anwender noch ohne Anstrengung nutzbare Nahgrenze 4 m wäre.
Bei Ferngläsern mit relativ zur Vergrößerung durchschnittlich großem Sehfeld bzw. -winkel führt die erste Bedingung zu ziemlich genau derselben Nahgrenze wie die zweite Bedingung. Bei Ferngläsern mit überdurchschnittlich großem Sehfeld, wie hier beim Nikon 8x30 E II, kommt man nach der ersten Bedingung auf eine bis zu ca. 20% kürzere Nahgrenze, was im Falle dieses Fernglases noch ca. 3,2 m als Nahgrenze zuließe - allerdings bei verstärktem Schielen.
Selbstverstärndlich braucht sich kein Hersteller an diese Regeln zu halten, sondern darf die Nahgrenze auch kürzer oder länger machen. Wenn Nikon tatsächlich im Falle Ihres Exemplars bis 1,85 m geht, so halte ich das aber schon für bedenklich oder besser gesagt: für „zu gut gemeint“, da von den meisten Anwendern nur mit erheblicher Anstrengung nutzbar.
Immerhin müssen Sie dann schon so stark schielen wie ohne Fernglas auf eine Entfernung von nur ca. 11,6 cm! Bei mir als Kurzsichtigem (ca. -5 dpt), der gewohnt und geübt ist, sehr kleine Dinge bei Bedarf ohne Brille aus kürzester Entfernung zu betrachten und dabei stärker zu schielen, liegt die „Schmerzgrenze“ bei knapp über 12 cm. Ich müßte daher mit Ihrem Nikon 8x30 E II bei kürzester Einstellung schon eine deutliche, nicht mehr sehr angenehme Anstrengung spüren.
Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, ob ich damals, als ich Ihr Fernglas zum Messen des SSW leihweise bekommen hatte, auch die extreme Naheinstellung ausprobiert hatte. Wahrscheinlich nicht, denn sonst hätte mir das auffallen sollen. Ich besitze ja selbst das Nikon 10x35 E II, das bis auf die Objektive etwas längerer Brennweite mit Ihrem Modell baugleich ist, so daß ich nicht viel Gründe hatte, mich über die SSW-Messung hinaus intensiver mit Ihrem Fernglas zu befassen – ich war ja im Prinzip mit seinem größeren Schwestermodell sehr gut vertraut.
Ich habe jetzt natürlich bei meinem 10x35 E II die Nahgrenze nachgemessen und dafür 3,2 m ermittelt. Auch das ist kürzer als eigentlich sinnvoll, aber doch schon eher allgemeintauglich (d.h. auch für nicht schielgewohnte Nicht-Kurzsichtige). Diese 3,2 m bei 10facher Vergrößerung entsprächen 2,56 m bei 8facher Vergrößerung, also auch schon sehr kurz für ein Porroglas, Das hierbei erforderliche Schielen ist so stark wie ohne Fernglas auf 16 cm Entfernung.
Walter E. Schön