Walter Wehr hat Ihnen schon gesagt, was ähnlich auch ich Ihnen geschrieben hätte, wenn ich früher als er dran gewesen wäre. Ich lebe zwar nicht in Japan, war aber fünfmal dort, hatte früher sehr viel mit Japanern aus der Fotobranche beruflich zu tun und kenne daher aus eigener Erfahrung den Status, den Leica dort genießt. Natürlich freue ich mich über jedes Leica-Glas, das dort verkauft wird und hilft, Leica weiterhin am Leben zu erhalten.
Wenn Sie Leica- mit Nikon-Ferngläsern vergleichen, müssen Sie bei Nikon alles außer den HG- und den SE-Gläsern vergessen, denn nur diese Modelle stehen of höchstem Niveau (Ausnahmen sind vielleicht noch das 18x70-Astroglas und einige Marinemodelle, die ich nicht näher kenne). Der restliche Teil des Nikon-Sortiments ist überwiegend billiger China-Ramsch. Die Produktpolitik ist dort also eine andere als bei Leica oder Swarovski (die hat Walter Wehr in seinem Beitrag übersehen, denn Swarovski produziert auch nur im Top-Segment). Sie haben ähnliche Konzepte bei VW und Porsche im Automobilbereich: VW bietet vom kleinen Polo (den ich allerdings nicht als „Ramsch” bezeichnen möchte!) bis zum Phaeton und Bugatti extrem Unterschiedliches an, Porsche nur im oberen Preissegment Edelware. Das soll jede Firma halten, wie sie meint. Sie können also nicht einfach Nikon gegenüber Leica niedermachen, indem Sie auf die Billigware im Nikon-Sortiment verweisen, wenn es hier doch einzig und allein um das Nikon 8x32 HG-L aus der obersten Schublade ging!
Auch das von Ihnen selbst geschilderte Kopfschütteln über ein Zeiss-FL- beim Vergleich mit einem Leica-Glas zeigt doch überdeutlich, daß Ihre für so kompetent gehaltenen Japaner doch keineswegs objektiv urteilen, sondern oft auch überaus emotional. Ihre Aussage „Japaner sind kritisch" ist also mit großem Vorbehalt zu betrachten.
Daß Nikon die ehemalige Spitzenposition im Kamerasektor vor allem durch Canon streitig gemacht wird, begann im wesentlichen mit der Canon T90, die der damaligen Nikon F2 den Rang als beste KB-SLR abgelaufen hatte (das war ca. 1984 oder 1985). Und als Canon dann die EOS-Serie entwickelte, war es endgültig mit der Vormachtstellung von Nikon dahin.
Aber zurück zu unserem Thema Ferngläser: Ich widerspreche Ihrer Aussage, daß der Helligkeitsunterschied zwischen Zeiss FL und den entsprechenden Nikon-HG-Modellen „erheblich” sei. Bei den Modellen mit 42 mm Öffnung dürfte der Transmissionsunterschied maximal 5% (ich schätze um 3%) und bei denen mit 32 mm Öffnung maximal 3% (ich schätze um 2%) betragen. Wenn Sie mit den entsprechenden Nikon-SE-Modellen vergleichen, ist der Unterschied noch kleiner.
Was die Randschärfe betrifft, so halte umgekehrt ich das, was Sie als minimal bezeichnen, für erheblich. Da Sie offensichtlich wesentlich jünger sind als ich, können Sie dank größerem Akkomodationsvermögen den durch Bildfeldwölbung bedingten Teil der Randunschärfe von Leica, Swarovski und Zeiss nicht sehen. Aber das ist kein Qualitätsmerkmal dieser Produkte, sondern kaschiert nur deren Schwächen. Sie können doch auch nicht, um wieder einen Vergleich mit dem Automobilsektor heranzuziehen, behaupten, ein Porsche 911 sei nur minimal schneller als ein Gogomobil, wenn Sie sich nicht trauen oder fahrtechnisch nicht in der Lage sind, schneller als 80 km/h zu fahren. Wenn Sie sagten, daß für Sie (momentan - in 10 oder 20 Jahren wird es anders sein) kein wesentlicher Unterschied in der Randschärfe festzustellen sei, so kann das richtig sein. Aber wenn Sie (dank Ihrem Akkomodationsvermögen) diesen Unterschied nicht wahrnehmen können, so heißt das doch nicht, daß es ihn nicht gibt und daß er nicht für andere Beobachter offensichtlich und störend sein könnte.
Zum SE. Das Kidneybeaning resultiert im wesentlichen aus einem für die meisten Beobachter (viel) zu großen AP-Längsabstand. Nur Weitsichtige mit mehr als ca. 3 dpt, die mit Brille beobachten, finden die SE-Gläser im Einblickverhalten optimal. Ich kann dazu aus eigener Erfahrung folgendes sagen: Ich besaß ein Nikon 12x50 SE, fand Schärfe, Helligkeit und Verzeichnungsarmut vorbildlich, aber kam mit dem Einblickverhalten nicht zurecht (ich bin mit ca. -5 dpt kurzsichtig). Also verkaufte ich das Glas wieder. Dann kaufte ich doch wieder ein 10x42 SE, weil ich dachte, daß es da vielleicht besser wäre. Aber es war genauso: Sehr gute Schärfe bis zum Rand, sehr wenig Farbsäume am Rand, sehr hell, fast verzeichnungsfrei für ein Fernglas, aber für mich wieder schlechtes Einblickverhalten. Ich verkaufte auch dieses Glas, und der heutige Besitzer, mit dem ich zufällig erst gestern wieder telefonierte, ist nach wie vor von diesem Glas begeistert (er und seine Frau sind weitsichtig, bei beiden paßt der AP-Längsabstand perfekt). Mir ließ es keine Ruhe, ich kaufte mir nochmals ein 10x42 SE, und diesmal nahm ich die miserablen Gummi-Stülpaugenmuscheln ab und steckte die Butler-Creek-Schutzdeckel (die mit der praktischen Klappe) auf, die etwas streng sitzen, aber sich mit kleiner Gewaltanwendung soweit auf die Okularfassungen drücken lassen, wie ich es brauchte, um ab Hinterkante der Butler-Creek-Schutzdeckel im aufgeklappten Zustand exakt den für mich richtigen AP-Längsabstand zu haben. In dieser Position ist der AP-Längsabstand um ca. 3,5 mm gegenüber dem ursprünglichen Abstand verkürzt. Ich habe nun nicht nur denselben Komfort mit den ruck-zuck auf- und zugeklappten Schutzdeckeln wie ich ihn mir schon ans Leica Ultravid 12x50 BR, ans Nikon 10x32 HG und ans Canon 12x36 IS II gebastelt hatte, sondern von da an auch kein Kidneybeaning mehr mit dem Nikon 10x42 SE.
Daß die SE-Gläser nicht wasserdicht und aufgrund der Porroprismen sperriger sind und der Nahbereich bei 5 m endet, ist eine andere Sache. Dafür hat man im Bereich bis ca. 50 m einen schöneren 3D-Effekt aufgrund der etwa verdoppelten Stereobasis. Die SE-Gläser haben also durchaus wertvolle Qualitäten, auch wenn sie nicht Gläser für jeden sind. Es kommt halt darauf an, was, wann, wo und wie man beobachtet und wie man seine Prioritäten setzt.
Daß der Nikon-Fernglas-Kundendienst ebenso wie der von Canon in Deutschland miserabel ist, steht auch auf einem anderen Blatt. Da sind wieder ganz klar unsere heimischen Hersteller entschieden besser.
Walter E. Schön