So bedauerlich es ist, daß Ihnen mit dem durchgeführten Test möglicherweise die Freude an Ihrem bisher hochgeschätzten Canon 15x50 IS getrübt wurde, so sehr werden Sie es hoffentlich begrüßen, künftig beim Kauf des nächsten Fernglases eine simple und dennoch effektive Testmethode kennengelernt zu haben, um Transmission und Farbstich selbst zu prüfen.
Daß Ihnen der Gelbgrünstich und die etwas niedrige Transmission bisher nicht aufgefallen waren, liegt sicher nicht daran, daß Sie ein weniger gutes Beurteilungsvermögen als andere Menschen haben. Es geht oder ginge vielen anderen genauso wie Ihnen, wenn die Bedingungen dieselben wären. Solange Sie nur durchs Fernglas auf ein mehr oder weniger buntes Motiv schauen, das alle möglichen Strukturen, Helligkeitsabstufungen und Farbtöne enthält, ist ein Farbstich erst erkennbar, wenn er schon relativ deutlich ist. Könnten Sie das Bild im Fernglas auf Papier speichern und neben ein anderes ebenso auf Papier gespeichertes Bild der wirklichen Farben legen, so wäre es schon viel leichter, den Farbstich wahrzunehmen, weil Sie den direkten (zeitgleichen) Vergleich haben. Aber erst, wenn Sie einen Unbuntton, also ein neutrales Grau (besser etwas heller als dunkler) oder Weiß als Testmotiv haben, werden selbst leichte Farbstiche unübersehbar. Man sieht daran, daß die menschlichen Sinne (in diesem Falle der Farbensinn) sich nicht als Meßinstrumente eignen.
Nun haben Sie eine Methode kennengelernt, die beide wichtige Voraussetzungen erfüllt, nämlich das zeitgleiche Beobachten des zu prüfenden Bildes (weiße Kreisscheibe im Objektiv) und der Referenz (weißes Papier außen um das Fernglas herum) sowie ein farbneutrales Motiv (das weiße Papier). Die Tatsache, daß Sie im beschriebenen Test den Farbstich sehr deutlich sehen, er Ihnen aber bisher beim Beobachten normaler Motive noch gar nicht aufgefallen war, zeigt aber auch, daß man bei der Interpretation der Testergebnisse nicht übertreiben sollte. Wer krampfhaft versucht, mit diesem Papiertest z.B. zwischen einem Leica Ultravid, einem Zeiss Victory FL und einem Swarovski EL winzigste Helligkeits- oder Farbunterschiede auszumachen, wäre mit jemandem vergleichbar, der feststellen will, ob der Weg von München nach Frankfurt über die Autobahn Nürnberg oder die Autobahn Stuttgart kürzer ist und dann zur Prüfung die Weglänge nicht in Kilometern, sondern in Millimetern ausmißt. Ich will damit sagen: Der von mir beschriebene Papiertest ist nützlich; aber wenn die dabei festgestellten Unterschiede so gering sind, daß man sie nur mit Mühe und unter Zweifeln feststellen kann, dann spielen sie in der Praxis der Landschafts-, Tier- oder Himmelsbeobachtung garantiert keine Rolle mehr. Es ist immer gut, einen Test zu haben, der genauer ist als erforderlich, statt umgekehrt weniger genau als nötig. Aber dann sollte man auch bei der Auswertung der Ergebnisse beachten, wo die praktisch relevanten Grenzen liegen und nicht in der fünften Nachkomastelle noch nach Unterschieden suchen, wenn es bereits auf die erste Nachkommastelle gar nicht mehr ankommt.
Ich hatte diesen Test hier und an anderen Stellen schon mehrfach empfohlen, auch deshalb, weil manchmal nach Bekanntwerden von Meßergebnissen irgendwelcher Tester oder von Herstellern gern lang und breit darüber diskutiert wird, ob nun Fernglas A besser als Fernglas B sein, weil die Transission bei A stolze 91,2%, die von B aber nur bei mageren 90,5% liegt. Solche Unterschiede sind wahrlich nicht praxisrelevant. Ob 78% oder 90%, das kann man schon gut sehen, und da gibt es dann für das bessere Glas kräftig Pluspunkte. Aber 1 oder 2 oder auch 3% Unteschied ist so wenig, daß man sich lieber den anderen Unterschieden zuwenden sollte, z.B. in der Sehfeldgröße, der Randschärfe, der Farbsäume, der Haptik oder im Einblickverhalten usw.
Walter E. Schön