Liebe Forumskollegen,
warum heisst es „man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“ ?
Weil man erst im Abendlicht erkennt, wie es wirklich um das Streulichtverhalten des eigenen Fernglases steht ...
:-)
Der Herbst naht und mit ihm nahen die Beobachtungssituationen, wo die Sonne tief steht oder schon untergegangen ist und wo man immer noch draussen ist.
Ich habe mir mal den Spass erlaubt, 15 gängige Ferngläser der 8x30 Klasse (genauer: 14, sowie 1 7x30) an zwei wirklich anspruchsvollen Streulicht-Situationen zu bewerten:
1. Situation
Beobachtung in der Himmelsrichtung, in der die Sonne rund 25 Grad über dem Horizont steht, und zwar über ein Gewässer hinweg, in welchem sich die Sonne spiegelt und dessen Oberfläche rund 25 Grad unter der Beobachtungsebene liegt.
Also, etwas über der Beobachtungsebene steht die Sonne, etwas unterhalb der Beobachtungsebene liegt ein Weiher, und ich beobachte über die spiegelnde und reflektierende Wasserfläche hinweg das gegenüberliegende Ufer.
Ganz so selten ist eine solche auf den ersten Blick ungewöhnliche Situation vielleicht gar nicht, jedenfalls dürften die Birder sie durchaus kennen.
2. Situation
Auch diese ist den meisten wohl nicht ganz unbekannt. Es handelt sich um das, was ich den „Merlitzschen Waldrandtest“ nennen würde, also die auf Seite 161f. beschriebene Situation der Beobachtung NACH Sonnenuntergang gegen einen dunklen Geländeabschnitt, wobei der Himmel noch mehr oder weniger erhellt ist. Tönt eigentlich völlig harmlos, aber wie zu zeigen, hat auch diese Beobachtungssituation es wirklich in sich.
Die Ergebnisse sind in der beiliegenden Tabelle zusammengefasst.
Folgende Kommentare dazu aus meiner Sicht:
- das ist keine wissenschaftliche Arbeit, sondern einfach das Ergebnis von drei sonnigen Abenden, die ich mit FGs hobbymässig draussen verbracht habe
- ich habe unterschieden zwischen „veiling glare“ und „Reflexen“ und verwende die Begriffe wie folgt:
„veiling glare“ heisst, dass das GANZE Bild wie von einem feinen Schleier überzogen ist (gewisse Autoren bezeichnen auch die bloss sichelartig auftretenden Lichteffekte am Rand des Bildes manchmal als veiling glare). Tritt der Schleier nur teilweise auf, insbesondere beim Schwenken des FGs, oder wandert er über das Sehfeld, zeigt sich als Sichel, blitzt manchmal wie auf, usw. dann zähle ich das zu den „Reflexen“
„Reflexe“ sind alle Formen von Lichteffekten im Bild, ob permanent oder nur spontan auftretend und beim Bewegen des Glases u.U. verschwindend
- bei beiden Formen von Streulichteffekten habe ich versucht zu unterscheiden, wie stark der Effekt auftritt: wenig – mittel – stark. Die Effekte waren bei einzelnen Gläsern nicht an jedem der drei Abende immer gleich stark, sodass bei einzelnen FGs mehrere Kolonnen angekreuzt sind.
- Es hat sich wieder mal gezeigt, dass
-- Streulicht-Unterdrückung bzw. -Verminderung eine äusserst anspruchsvolle Sache ist
-- die sog. Premiumgläser hier gar nicht unbedingt am besten abschneiden
-- die „Waldrand-Situation“ mit ihrem Einfluss auf die Bildqualität vermutlich oft unterschätzt wird.
- Insgesamt war ich überrascht, wie stark die Streulichteffekte bei vielen Gläsern ausfielen. Nachdem ich mich während längerem mehr mit den grösseren Formaten (8x42, 10x42 und grösser) befasst hatte, bekam ich bald mal den Eindruck, die 8x30 Klasse sei insgesamt weniger gut gegen Streulicht abgeschirmt als die grösseren Gläser. Um auszuschliessen, dass ich hier vielleicht mit unterschiedlichen Ellen messe, habe ich vergleichsweise dann doch noch 8x42 Top-Gläser zum Vergleich beigezogen und tatsächlich festgestellt, dass jedenfalls von Zeiss das SF und das HT, von Swaro das EL SV und von Leica das HD Plus zum Teil deutlich besser abschnitten die kleineren Gläser.
Insgesamt fand ich die Leistung der 8x30 Gläser „befriedigend“, mehr nicht.
Könnte das heissen, dass man mit der Kompaktklasse 8x30 nicht nur weniger Lichstärke, sondern generell auch ein weniger gutes Streulichtverhalten in Kauf nehmen muss, weil mit der kompakteren Bauweise die Abschirmung schwieriger wird??? Sicher gibt es dazu Erfahrungen und Meinungen aus dem Forum.
- Auf eine Rangliste verzichte ich. Generell „vorne“ fanden sich das Eschenbach, das Nikon HG-L und das Pentax, „hinten“ das Monarch 7 und das Habicht (was nicht unerwartet kam, dessen grössere „Brüder“ hätten besser abgeschnitten, das 10x42 etwas besser, das 7x42 deutlich besser; Streulicht scheint leider die Schwachseite des sonst eindrücklichen 8x30 Habicht), die anderen Gläser, inklusive die Premiumgläser, dazwischen. Siehe die Tabelle.
- Für mich etwas enttäuschend war das Zeiss Victory FL, auf dem ich sonst grosse Stücke halte, es ist für mich wegen seines sehr hellen und scharfen Bildes neben dem EL SV das beste 8x30er, das ich kenne. Eigentlich schnitt das FL in fast allen Disziplinen ausgezeichnet ab, zeigte kaum Reflexe usw., aber direktes Sonnenlicht auf der Frontlinse behagt ihm gar nicht, dann überzieht sich das ganze Bild wie mit einem feinen Film, der v.a. bei der Beobachtung dunkler Objekte stört und sofort verschwindet, wenn man die direkte Sonneneinstrahlung mit der Hand abschirmt.
Kollegen mit einem 8x32 FL bin ich verbunden, wenn sie bei Gelegenheit mal testen könnten, ob sie den Effekt bei direkter Sonneneinstrahlung ebenfalls erkennen. Da das Bild sofort gut wird, wenn die Sonne nicht mehr direkt auf die Frontlinse scheint – auch wenn alle anderen Faktoren, einschliesslich glitzerndes Wasser usw., unverändert bleiben – vermute ich, dass der Effekt irgendwie mit der Vergütung der Objektiv-Linsneflächen zu tun hat (?). Eine zweites beigezogenes 8x32 FL zeigte den Effekt ebenfalls. Keine Ahnung, warum nur das 8x32 FL den Glare so zeigt, jedoch die anderen Zeiss Gläser nicht, und auch die grösseren FLs, die ich kenne – 7x42, 8x56 – nicht.
- Ich habe aus Interesse noch ein Glas beigezogen, das in Beobachtungssituationen mit tiefer Sonne und glitzerndem Wasser eigentlich „glänzen“ müsste: ein Steiner Commander 7x30 Marineglas (Entschuldigung hier an die Kollegen, die den Namen Steiner ebenso hassen wie der Teufel das Weihwasser :-). Bezüglich veiling glare war das Commander hervorragend, bezüglich Reflexen aber – im Unterschied zum grösseren Bruder 7x50, den ich als einwandfrei abgeschirmt kenne - völlig unbefriedigend. Eigentlich schade, das kleine Commander zeigt sonst ein wunderbar helles, scharfes und kontrastreiches Bild; die Produktion wurde allerdings soeben eingestellt, womit es praktisch (ausser dem Navigator, ebenfalls von Steiner) keine gängigen 7x30 Gläser mehr auf dem Markt gibt.
For whatever it’s worth.
Pinac
