Gehe ich recht in der Annahme, daß Mathematik nicht Ihr Lieblingsfach in der Schule war?
Sofern die Abbildungsqualität beider Ferngläser gleich gut ist, beide Ferngläser nicht zittern oder wackeln (also z.B. auf einem stabilen Stativ montiert sind) und keine störenden Effekte (wie z.B. Dunst, Staub, Regen, Schnee) die Sicht behindern, welche bei größerer Entfernung einen höheren negativen Einfluß nehmen als bei kleinerer, müssen sich die Beobachtungsentfernungen genauso wie die Vergrößerungen verhalten. Somit muß die Entfernung, die man beim Blick durch das 10fach-Fernglas zum Beobachtungsobjekt hat, 10/12 der Entfernung betragen, die man beim Blick durch das 12fach-Fernglas hat. Das ist dann nicht um 20%, sondern nur um ca. 16,7% weniger (bei Rundung auf eine Nachkommastelle). Wenn Sie jedoch umgekehrt vom einer bestimmten Beobachtungsentfernung mit dem 10fach-Fernglas ausgehen und fragen, wie weit Sie mit einem 12fach-Fernglas gleicher Güte entfernt sein müßten, um die Details gleich gut zu sehen, dann ist diese Entfernung um 20% weiter. Daß sich beim Herunter- und Hinaufrechnen verschiedene Werte ergeben, liegt daran, daß Sie im ersten Falle die Entfernung des 12fach-Fernglases als Referenzgröße gleich 100% setzen und im zweiten Falle die kleinere Entfernung des 10fach-Fernglases. 20% der kürzeren Entfernung sind aber gleich 16,7% der größeren; die Differenz ist also immer dieselbe.
An einem einfacheren Beispiel wird das deutlicher: Wenn Sie von der Entfernung 10 m ausgehen und diese Entfernung um 50% vergrößeren (also „hinaufrechnen“), so kommen Sie auf 15 m. Um von 15 m wieder zurück zu 10 m zu kommen, dürfen Sie jetzt nicht wieder 50% wegnehmen (Sie kämen dann zu 7,5 m), sondern nur ca. 33,3%. Denn jetzt ist Ihr 100%-Referenzwert nicht mehr 10 m, sondern die größere Entfernung 15 m.
Zu Ihrer mißverstandenen Aussage über die Detailschärfe eines 7fach-Fernglases im Vergleich zu der eines 10fach-Fernglases hat Ihnen schon Herr Müllers geantwortet. Ich möchte noch ergänzen, daß niemand ernsthaft von höherer Detailschärfe des 7fach-Fernglases geschrieben hat (außer vielleicht Herr Champollion, der manchmal gern ein bißchen „zugespitzt“ formuliert). Vielmehr ist es so, daß die mit wachsender Vergrößerung rechnerisch proportional dazu wachsende Detailauflösung bei freihändiger Beobachtung wegen der zunehmenden Auswirkungen des Handzitterns und Wackelns nicht in vollem Umfang genutzt werden kann. Das geht sogar so weit, daß (individuell verschieden und auch abhängig von der momentanen körperlichen Verfassung) ab einer bestimmten Vergrößerung, z.B. 12fach, 16fach oder 20fach, gar kein Gewinn an Detailauflösung mehr wahrzunehmen ist. Aber schon lange vorher beginnt der Vorteil der höheren Vergrößerung gegenüber der niedrigen schon deshalb bedeutungslos zu werden, weil er mit einem merklich kleiner werdenden Sehfeld erkauft wird, das bei den meisten Beobachtungen als nachteilig wahrgenommen wird. Je nachdem, was jemand beobachtet (z.B. ein einzelnes, kleines Objekt oder eine Vielzahl von Objekten wie etwa ein Rudel Hirsche oder einen Vogelschwarm) und welche Bedeutung er dem Überblicken eines größeren Umfeldes beimißt, kann daher die als optimal empfundene Vergrößerung recht verschieden sein. Die meisten reinen Naturbeobachter bevorzugen 8fache, die meisten Vogelbeobachter 10fach Vergrößerung, aber manche Fernglasfreunde eben auch nur 7fache und ebenfalls manche eine 12fache (aber da muß man schon eine sehr ruhige Hand haben und darf keine anstrengende Bergtour machen). Jeder muß für sich und seine Beobachtungsobjekte den optimalen Wert selbst finden.
Walter E. Schön
Nachtrag (wenn's immer noch zu „knifflig“ gewesen sein sollte):
Sie können die Frage nach der Entfernung, aus der Sie mit dem 10fach-Fernglas ebensogute Detailschärfe erzielen wie mit dem 12fach-Fernglas auch auf eine noch einfacher zu verstehende Weise lösen.
Um mit bloßem Auge dieselbe Detailschärfe wie mit dem 12fach-Fernglas zu erzielen, müssen Sie die Entfernung auf 1/12 verkürzen. Um dann mit dem 10fach vergrößernden Fernglas dieselbe Detailschärfe zu erzielen, wie aus der so verkürzten Entfernung mit bloßem Auge, dürfen Sie sich auf deren 10fachen Wert entfernen. Also erst 1/12, dann davon das 10fache, und Sie haben dann auch hier 10/12 der ursprünglichen Entfernung.