Ich habe mich sehr häufig Greifvogelnestern im Rahmen von Bestandskontrollen genähert und muss sagen, dass es dabei nur ein einziges Mal zu einer Art Scheinangriff gekommen ist. Dennoch flog der Vogel mehr als 5 m an mir vorbei. Es war übrigens ein Baumfalke und nicht z.B. etwa der viel kräftigere Habicht. Ob die zunehmend zu beobachtende Verstädterung einiger Greifvogelarten die Notwendigkeit zur Nest- oder Jungenverteidigung auf Dauer erhöht, weil Risikosituationen für die Jungen zunehmen, kann derzeit sicher noch nicht seriös geklärt werden. Wo es sich lohnt, können z.B. Möwen selbstverständlich lernen, den Spaziergängern regelmäßig das Eis aus der Hand zu schlagen, was natürlich auch als Anpassung an lokale Möglichkeiten zu werten ist.
Bei Eulen sieht es etwas anders als bei Greifvögeln aus, weil Eulenjunge im Gegensatz zu Greifvögeln regelmäßig ihr Nest schon verlassen, bevor sie flügge werden. Daher ist ein Selektionsdruck bei Eulen in Richtung Verteidigung der dann doch recht gefährdeten Jungen sinnvoll.
Leider werden viel zu viele Greifvögel, oft auch illegal, in Gefangenschaft gehalten. Sollten derartige Vögel in die Freiheit gelangen, könnten sie (auf den Menschen) fehlgeprägt sein. Das könnte auch auf verletzte, gepflegte und dann wieder freigelassene Vögel zutreffen. Sie kennen Menschen eigentlich mehr oder auch als Futterlieferanten und Spaziergänger werten dann als Angriff, was der Vogel sich vielleicht eher als Anflug auf die Futter verheißende Faust des Falkners oder Pflegers vorgestellt hat, die aber natürlich nicht hochgehalten wurde, schon gar nicht mit Futter. Man sollte immer auch an diese Ursache als Möglichkeit für ein angeblich aggressives Verhalten von Greifvögeln denken.
MP