Hallo Frank,
wenn Du jetzt mal an dieser Stelle eine Frage an die hier versammelten Fernglas- und Spektivfreunde richtest, muß ich mich natürlich mit einer Antwort melden. Ich lese zwar noch in gewissen Abständen, was sich so im A.de-Forum tut und was Du dort nach wie vor mit Verve, geballter Erfahrung und immer einem Schuß Humor mitteilst, aber da mir die Flut von Rechtschreibfehlern in annähernd 90% der Beiträge der übrigen Forumsteilnehmer auf die Nerven geht und manchmal geradezu physisch empfundenen Schmerz bereitet, habe ich mich dort stark zurückgezogen.
Zu Deiner Frage:
Da ich ein solches geradsichtiges, inkl. beider Schutzdeckel weniger als 24 cm langes, ohne den schweren, völlig überflüssigen und zum schnellen Scharfstellen eher hinderlichen Fokussiermotor nur 935 g schweres Zeiss 30x60 B/GA besitze und mich immer wieder über seine exzellente Abbildungsqualität freue, kann ich es nur sehr empfehlen. Ich werde es bestimmt so schnell nicht (wahrscheinlicher, obwohl man dieses Wort mit Vorsicht gebrauchen sollte: nie) hergeben.
Es ist so wunderbar handlich, kompakt und leicht, daß es diesbezüglich nur das Ausziehspektiv 30x75 von Swarovski als (ein wenig lichtstärkere) Alternative gibt. Aber im Gegensatz zu diesem muß man es nicht ständig zum Beobachten auseinanderziehen und zum Transport wieder zusammenschieben, sondern es bleibt immer so kurz.
Zumindest mein Exemplar, das ich ohne zu ahnen, damit derart glücklich zu werden, inkl. Motor bei eBay ersteigert hatte, ist optisch erstklassig. Es ist auch am Rand des mit schätzungsweise ca. 60° (oder möglicherweise sogar etwas darüber) relativ großen scheinbaren Sehwinkels noch sehr scharf, hat einen für mich Brillenträger einen wie maßgeschneiderten Pupillenabstand und wird von mir am liebsten auf einem Carbon-Einbeinstativ Gitzo 1568 MK2 mit einem kompakten, dafür ausreichend stabilen Cullmann-Kugelkopf (Typenbezeichnung weiß ich nicht mehr) benutzt.
Da ich dieses technisch singuläre Kompaktspektiv mit Gregory-System (allein schon deswegen für technisch Interessierte faszinierend) wegen meiner Begeisterung dafür mehrfach anderen Leuten empfohlen hatte, habe ich einmal eine negative Antwort erhalten, die ich hier nicht verschweigen möchte: Eine Hobbyornithologin sagte, daß Ihr (ebenfalls ornithologisch interessierter) Ehemann mal ein Zeiss 30x60 B/GA angeboten bekommen habe, dieses dann aber im Vergleich mit einem einfachen Kowa-Spektiv mit 50 mm Öffnung die deutlich schlechtere Schärfe gezeigt habe. Ich kann mir das aufgrund meiner eigenen, äußerst positiven Erfahrung nur so erklären, daß dieses Zeiss-Exemplar defekt gewesen sein muß (evtl. nach einem Sturz dejustiert, was bei Spiegelsystemen bekanntlich z.B. zu sehr starker Koma führen kann). Ich wage zu behaupten, daß mein Zeiss 30x60 B/GA garantiert von keinem Kowa-Spektiv (vielleicht mit Ausnahme des binokularen Kowa High Lander Prominar mit 82 mm Öffnung für ca. 5000 Euro) in der Schärfe übertroffen wird!
Ich hatte mich übrigens kurz nach meinem eBay-Kauf des Zeiss 30x50 B/GA, als dieser Spektivtyp noch auf einer von mir heute nicht mehr auffindbaren Internetseite beschrieben war, telefonisch an einen Zeiss-Mitarbeiter aus der Entwicklungsabteilung gewandt (ich hatte mir den Namen nicht notiert), um etwas mehr darüber zu erfahren. Er sagte mir damals, daß das Zeiss 30x60 B/GA nicht deswegen eingestellt worden sei, weil man mit den Diascope-Modellen etwas Besseres geschaffen habe, sondern weil das 30x60 B/GA wegen seiner sehr speziellen und die Einhaltung äußerst geringer Toleranzen erfordernden Spiegelkonstruktion heute zu einem auf dem Markt konkurrenzfähigen Preis nicht mehr hergestellt werden könne. Wenn man weiß, daß das Zeiss 30x60 B/GA zuletzt vor schätzungsweise zehn Jahren etwa 3400,- DM gekostet hat, dann sagt das einiges über die von einem (korrekt justierten) Zeiss 30x60 B/GA zu erwartende Qualität aus.
Es gibt nach meinen Bewwertungskriterien und Ansprüchen nur folgende Nachteile, die man vor dem Kauf kennen sollte:
1. Das Zeiss 30x60 B/GA ist nicht wasserdicht, nicht einmal spritzwassergeschützt (wo die Zahnräder des ansetzbaren Motors eingreifen, ist diesbezüglich eine besondere Schwachstelle). Dieses Manko kann für „@#$%&-Ornithologen" ein K.o.-Kriterium sein. Für mich ist es das nicht, da ich bei Regen damit nicht beobachte, damit auch nicht durch Sümpfe und Bäche wate, und wenn mich unterwegs ein Regenguß überrascht, kann ich das Spektiv dank seiner einmaligen Kompaktheit problemlos regensicher in einem Fach meiner Fototasche verwahren.
2. Das Zeiss 30x60 B/GA bietet nur eine feste Vergrößerung (30fach). Auch das ist mir ausreichend, da ich während meines vorübergehenden Besitzes eines Leica Apo-Televids mit drei Okularen (20fach, 32fach und Zoom 20-60fach) feststellte, daß ich zu etwa 30% das 20fach-Okular, zu etwa 60% das 30fach-Okular und zu höchstens 10% das Zoomokular fast nur in der Einstellung auf 60fach benutzte. In Kombination mit einem meistens 10fach vergrößernden Fernglas ist mir die 30fache Vergrößerung eine ideale Ergänzung – obwohl ich natürlich nichts degegen hätte, wenn es doch die Möglichkeit zum Okular- und Vergrößerungswechsel gäbe.
3. Das Zeiss 30x60 B/GA hat, und das ist für mich die einzige wirklich störende Einschränkung, nur eine Naheinstellung bis auf minimal ca. 16 m. So kommt es also nur unterwegs auf größere Distanzen zum Einsatz, nicht aber z.B. zur Beobachtung der Vögel in meinem Garten (der nur ein kleiner Reihenhaus-Minigarten ist).
Ich hoffe, diese Stellungsnahme hilft Dir, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich würde bei den üblichen Gebrauchtpreisen von je nach Zustand etwa 500 bis 800 Euro selbst den höchsten Preis bei einwandfreiem Zustand (vorher möglichst selber durchschauen oder Rückgaberecht vereinbaren) noch für angemessen halten, und wenn das Angebot niedriger sein sollte, zum schnellen Zugreifen raten. Wenn der Motor nicht dabei ist, kann man noch etwas günstiger einkaufen, und das gänzlich ohne Nachteil - außer einem etwas reduzierten Wiederverkaufswert.
Walter E. Schön
