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Nanotechnologie für hydophile Oberfläche und „Selbstreinigung“

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16. Oktober 2006 00:30
Antibeschlagmittel sind keine Zauberei und keim Humbug, sondern funktionieren wirklich (zumindest die der seriösen Hersteller).

Es spielen dabei mehrere Effekte eine wichtige Rolle. Zuvor aber noch einige allgemine Informationen zum Thema „Beschlagen“.

Beschlagen ist Kondensation von in der Luft enthaltenem Wasserdampf bei Unterschreitung des Taupunktes. Was bedeutet das? Luft kann je nach Temperatur eine gewisse Menge Wasserdampf gasförmig aufnehmem, ohne daß dieser (trotz einer Temperatur unter dem Siedepunkt des Wassers) sofort wieder zu Tröpfchen kondensiert. Bei niedriger Lufttemperatur ist das Aufnahmevermögen für Wasserdampf niedrig, bei hoher Temperatur ist es hoch. Die Prozentangaben der „relativen Luftfeuchtigkeit“ bedeuten, das die Luft soundsoviel Prozent Wasserdampf ihres maximalen Aufnahmevermögens bei der aktuellen Temperatur enthält. Bei z.B. 20°C kann ein bestimmtes Luftvolumen (bei Normaldruck) eine bestimmte Wasserdampfmenge maximal aufnehmen – wieviel das ist, weiß ich nicht und müßte ich erst selber recherchieren, doch darauf kommt es jetzt nicht an. Beträgt die Luftfeuchtigkeit bei 20°C etwa 50%, so heißt das, das die Luft genau die Hälfte der Wasserdampfmenge gasfömig enthält, die sie maximal bei 20°C enthalten könnte. Wird diese Luft, ohne daß ihr Wasserdampf entzogen oder neuer Wasserdampf zugeführt wird, auf 30°C erwärmt wird (z.B. weil im Sommer den ganzen Vormittag die Sonne schien), dann enthält die Luft immer noch die gleiche Menge (oder Masse) an Wasserdampf wie zuvor, aber weil die Luft bei 30°C eine höhere Wasserdampfmenge aufnehmen könnte, entspricht diese absolut gleich gebliebene Menge jetzt nur noch beispielsweise 40° relativer Luftfeuchtigkeit. Legen Sie mich nicht auf diese Zahlen fest, es geht nur ums Prinzip. Wird die Luft weiter erwärmt, nimmt die relative Luftfeutigkeit weiter ab, wenn weiterhin weder Wasserdampf entzogen noch zugeführt wird. Umgekehrt erhöht sich die relative Luftfeuchtigkeit, wenn sich die Luft abkühlt. Und dann kommt bei irgendeiner Temperatur der Punkt, an dem die in der Luft enthaltene Menge Wasserdampf genau die Menge ist, die die Luft bei dieser Temperatur maximal enthalten kann. Die Luft ist nun „mit Wasserdampf gesättigt“. Geht die Abkühlung nun aber noch weiter, dann kann die Luft nicht mehr die bisherige Wasserdampfmenge halten, und so muß ein Teil kondensieren, z.B. als Nebel oder in höheren Luftschichten als Wolken oder direkt am Boden als Tau. Die Temperatur, bei der beim Abkühlen die 100% relative Luftfeuchtigkeit überschritten wird, heißt Taupunkt.

Nun kommen wir wieder zur Brille. Wer sich mit Brille im Winter längere Zeit draußen in der Kälte aufhält, hat eine Brille mit sehr kalten Gläsern. Wenn dieser Mensch nun eine warme Wohnung betritt, in der z.B. 22°C Temperatur und 45% Luftfeuchtigkeit herrschen, dann wird normalerweise seine Brille beschlagen. Denn die z.B. -10°C kalten Brillengläsen kühlen die damit in Kontakt kommende Luft rasch stark ab, so daß in der Luft in unmittelbarer Umgebung der Brille der Taupunkt unterschritten wird: Am kalten Brillenglas kondensiert gasförmiger Wasserdampf zu Wassertröpfchen, die alle wie Mini-Sammellinsen wirken und das Brillenglas wie eine Mattscheibe aussehen lassen.

Wie ich schon weiter oben sagte, kann es nicht nur am kalten Brillenglas, sondern auch bei allmählicher Abkühlung ohne direkten Kontakt mit einer kalten Fläche zur Kondensation kommen, beispielsweise in großer Höhe in Form von Wolken. Aber die Luft kann bis zu einem gewissen Grade „übersättigt“ sein, ohne daß es zur Kondensation kommt, weil ihr „Kondensationskerne“ fehlen. Das wäre in extrem sauberer Luft der Fall. Fliegt nun durch derart saubere Luft in sehr großer Hohe, wo es ziemlich kalt und die Luft bereits mangels Kondensationskernen übersättigt sein kann, ein Flugzeug mit Strahltriebwerk („Düsenflugzeug“), das jede Menge Feinpartikeln aus den Triebwerken schleudert, dann bilden diese Teilchen Kondensationskerne. So kann entlang der Flugbahn hinter dem Flugzeug Wasserdampf aus der übersättigten Luft daran Kondenswassertröpfchen bilden und die sog. Kondensstreifen auf dem blauen Himmel erzeugen. Die Wetterlage der letzten Woche bot ideale Voraussetzung für derartige Vorgänge. Wer in dieser Zeit öfter mal in die Luft geguckt hat, konnte so viele Kondensstreifen sehen, wie selten zu beobachten sind.

Wieder zurück zur Bille. Auch hier kondensiert der Wasserdampf bevozugt an geeigneten Kondensationskernen. Eine unsaubere Brille wird also schneller und evtl. stärker beschlagen als eine blitzsaubere.

Damit haben nicht den wichtigsten, aber einen der verschiedenen Wirkmechanismen der Antibeschlagmittel identifiziert. Diese Mittel sorgen für eine saubere, glatte Glasoberfläche. Es handelt sich um Tenside und Antistatika, die das Glas sauber machen und elektrostatische Aufladung (durch Reibung, z.B. beim Putzen) verhindern, damit keine neuen Schmutzpartikeln aus der Luft angezogen werden.

Wenn es nun doch zur Kondensation kommt, die auch eine ganz saubere Brille nicht verhindern kann, wenn Luftfeuchtigkeit und Temperaturunterschied hoch genug sind, so entstehen normalerweise die schon eingangs geannten Mini-Wassertröpfchen, die stark gewölbte Mini-Sammellinsen auf der Glasoberfläche darstellen und den Mattscheibeneffekt verursachen.

Damit sind wir einem anderen, und zwar dem wichtigsten Wirkmechanismus der Antibeschlagmittel auf der Spur: Es dürfen keine Tröpfchen entstehen.

Wann entstehen Tröpfchen? Wenn der Kantenwinkel des Wassers auf der Oberfläche groß ist, was eine Frage der Oberflächenspannung ist. Bei hoher Oberflächenspannung verhält sich eine Flüssigkeit so, als wäre sie von einem elastischen Häutchen umgeben, das versucht, das eingeschlossene Flüssigkeitsvolumen so zu formen, daß es eine möglichst kleine Oberfläche hat. Im Idealfall, bei maximaler Oberflächenspannung bzw. wenn keinerlei andere Kräfte (Schwerkraft) einwirken, nimmt der Tropfen Kugelform an (Beispiel: Quecksilberkügelchen). Der Kantenwinkel, also der durch die Flüssigkeit hindurch gemessene Winkel zwischen der Oberfläche, auf der der Tropfen ruht, und der Flüssigkeitsgrenzfläche zur Luft beträgt dann 180°. Normale Wassertropfen auf halbwegs sauberem Glas haben vielleicht einen Kantenwinkel von 60° (bitte legen Sie mich auch hier nicht auf diesen Wert fest, aber die Größenordnung dürfte ungefähr stimmen). Wenn die Oberfläche aber z.B. fett oder ölig ist, ändern sich die Verhältnisse und der Kantenwinkel wird größer, z.B. 100°. Damit ist der Wasserrand nicht mehr eine mehr oder weniger steile Böschung, sondern hat einen „Überhang“. Steht die Unterlage schräg, so wird der Tropfen ab einem bestimmten Neigungswinkel abrollen.

Wenn man nun durch eine geeignete Beschichtung dafür sorgt, daß die Oberfläche „hydrophob“ (wasserabstoßend) wird, dann entstehen solche oder gar noch größere Böschungswinkel und das Wasser perlt ab. Das ist z.B. bei der hier schon mehrfach erwähnten schmutz- und wasserabweisenden MRC-Vergütung verschiedener B+W-Filter der Fall.

Eine solche Maßnahme wäre aber zur Verhinderung des Beschlagens völlig ungeeignet, denn nun würden die kondensierten Wassertröpfchen noch kugeliger werden und der Lichtstreuungseffekt (Mattscheibeneffekt) wäre noch schlimmer. Also muß man das Gegeneteil versuchen, nämlich die Glasoberfläche „hydophil” (wasseranziehend) machen. Das erscheint zur Beschlagverhinderung auf der ersten Blick kontraproduktiv, ist es aber nicht, denn es passiert nun folgendes: Wenn Wasserdampf am Brillenglas kondensiert, haben die Wassertröpfchen einen sehr kleinen Kanten- bzw. Böschungswinkel, so daß die Wassertröpfchen keine Kügelchen bilden, sondern zerlaufen. Gelingt es, durch geeignete Mittel den Kanten- bzw. Böschungswinkel auf 0° zu senken, dann zerlaufen die Wassertröpfchen zu einem hauchdünnen, die gesamte Oberfläche lückenlos überziehenden Film. Wir kennen das von unserem Auge: Die Tränenflüssigkeit überzieht die gesamte Hornhaut des Auges dort, wo sie an Luft grenzt, und mit jedem Lidschlag wird dieser Film wie mit einem Scheibenwischer gleichmäßig verteilt, dabei werden Staub und andere Fremdkörper weggefegt, und aus einer Drüse unter dem Lid wird neue Tränenflüssigkeit hinzugefügt. Die Tränenflüssigkeit ernährt sogar die Hornhaut, die je von keinen Blutgefäßen durchzogen ist und somit irgendwoher die zu ihrer Regenerierung nötigen Substanzen bekommen muß. Wir haben auch hier keine Flüssigkeitströpfchen, also keine Mattscheibe vor dem Auge, sondern einen klaren Flüssigkeitsfilm, den wir gar nicht wahrnehmen.

Die früheren Antibeschlagmittel für Brillen enthielten Silikone oder Öle, die lediglich eine Art fettigen hydrophoben Überzug erzeugten. Die modernen Antibeschlagmittel dagegen sind Produkte der Nanotechnologie und enthalten in einem flüchtigen Lösungsmittel (z.B. in Alkoholen) mehrere Komponenten und sind hydrophil: Da ist eine Substanz, die als klebriges Kontaktmittel dient, eine andere Substanz, die als sog. Matrix die eigentliche Wirksubstanz in einer sehr gleichmäßigen Verteilung fixiert und vom zuvor genannten Kleber auf dem Glas festgehalten wird, und dann ist da auch noch Titandioxid in Nanopartikeln, also in einer Teilchengröße in der Größenordnung von wenigen Nanometern (zum Vergleich: die Wellenlängen des Lichts liegen zwischen ca. 380 nm und 750 nm, sind also etwa um den Faktor 100 größer!).

Titandioxid ist normalerweise nichts Besonderes. Viele weiße Farben enthalten Titandioxid als Pigment anstelle des früher üblichen, aber wegen seiner Giftigkeit verpönten Bleicarbonats („Bleiweiß“). Aber als Nanopartikel hat Titandioxis (TiO2) mehrere für unsere Zwecke phantastische Eigenschaften:

1. TiO2 wirkt bei Anwesenheit von UV-Strahlung als Katalysator „schmutzauflösend“ bei organischen Substanzen. Aller Schmutz organischer Natur wird also buchstäblich zerlegt in vorzugsweise Kohlendioxid und Wasser (und teils auch Wasserstoffperoxid). Es handelt sich also um einen Vorgang, der ziemlich genau das Gegenteil der Photosynthese des Chlorophylls darstellt. Dort werden mittels Sonnenlicht als Energielieferant aus Kohendioxid der Luft und Wasser organische Pflanzenbaustoffe synthetisiert, und hier zerlegt TiO2 mittels UV-Strahlung die organischen Substanzen wieder. Dabei verbraucht sich das TiO2 nicht, denn es wirkt ja als Katalysator und ist an der chemischen Reaktion nicht selbst beteiligt. Diese Schmutzauflösung sorgt dafür, daß das Glas keine oder zumindest wenig Kondensationskerne für die Kondensation des Wasserdampfes der Luft auf der Oberfläche hat. Also wird die Kondensation schon mal erschwert (aber nicht ganz verhindert).

2. TiO2 ist extrem hydophil, sorgt also dafür, daß dennoch kondensiertes Wasser nicht Tröpfchen bildet, die das Brillenglas zur Mattscheibe machen und dem Brillenträger die Sicht nehmen, sondern daß die Tröpfchen sofort einen zusammenhängenden dünnen Film bilden, der so klar wie das Brillenglas selbst ist und dem Brillenträger die gleiche Sicht bietet wie ein unbeschlagenes Brillenglas.

Die Mischung aus Kleber, Matrix und TiO2-Nanopartikeln ist zunächst im Fläschen weitgehend gleichmäßig verteilt und neigt evtl. ein wenig zum Entmischen. Es empfiehlt sich daher, die Flüssigkeit vor Gebrauch längere Zeit (ein bis zwei Minuten) gut zu schütteln, damit die Verteilung der Ingredienzien möglichst gelichmäßig wird. Dann wird die Flüssigkeit mit einem Tuch, am besten einem Mikrofasertuch, aufgetragen und nach kurzer Pause gut verrieben. Kleber, Matrix und TiO2-Nanopartiken entwickeln nun eine sog. Selbstorganisation, d.h. sie ordnen sich automatisch in der richtigen Schichtung an – unten auf dem Glas der Kleber, darauf die Matrix und darauf die TiO2-Nanopartikeln. Die ganze Sache ist sogar ralativ haltbar und widerstandsfähig, behält ihre Wirksamkeit also für längere Zeit. Es gibt auch ähnliche Mittel zur Behandlung von Außenflächen von Fenstern, die nicht dem Beschlagschutz dienen, aber einen Selbstreinigungseffekt haben und so viel selteneres Fensterputzen erforderm, und wenn dieses nötig wird, so geht es schneller und einfacher vonstatten. Diesen Mitteln können dann auch noch einige andere Substanzen beigemischt sein.

Um alles verständlich zu machen, mußte ich ein bißchen ausholen, und so ist dieser Beitrag recht lang geworden. Ich hoffe, er war aber interesant genug, um Ihre Aufmerksamkeit bis zum Schluß aufrechtzuerhalten.

Walter E. Schön
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Anti Beschlag Gläser

Ralf Wiinter 2099 15. Oktober 2006 00:48

Re: Anti Beschlag Gläser

Ralf Wiinter 1245 15. Oktober 2006 00:49

Re: Anti Beschlag Gläser

P. Nisius 1380 15. Oktober 2006 12:41

Re: Anti Beschlag Gläser

Lüpke 1440 15. Oktober 2006 13:13

Re: Anti Beschlag Gläser

P. Nisius 1248 15. Oktober 2006 13:38

Re: Anti Beschlag Gläser

Jens Stolpmann 1273 15. Oktober 2006 21:18

Re: Anti Beschlag Gläser

Thomas 1101 15. Oktober 2006 23:18

Re: Anti Beschlag Gläser: ein wenig Physikalische Chemie

konfokal 1527 16. Oktober 2006 01:03

Re: Anti Beschlag Gläser

Thomas Becker 1343 16. Oktober 2006 12:31

Re: Anti Beschlag Gläser

Thomas Becker 1160 16. Oktober 2006 12:20

Leider enthalten manche (ältere) Antibeschlagmittel Silikon oder Öle

Walter E. Schön 1383 16. Oktober 2006 13:27

Nanotechnologie für hydophile Oberfläche und „Selbstreinigung“

Walter E. Schön 2276 16. Oktober 2006 00:30

Re: Nanotechnologie für hydophile Oberfläche und „Selbstreinigung“

Frank 1145 16. Oktober 2006 07:13

Nebenbei: Was ist eine "Übersättigung" der Luft?

Lüpke 1397 16. Oktober 2006 14:45

Gleichgewicht zwischen Verdunsten und Kodensieren ist dynamisch

Walter E. Schön 1495 16. Oktober 2006 15:39

"Übersättigung" der Luft? Kondensationskeime - es geht auch ohne

konfokal 1621 16. Oktober 2006 18:24

Ich liebe dieses Forum.

P. Nisius 1276 16. Oktober 2006 19:03

Literaturhinweis

Carsten Brühl 1169 01. November 2006 18:00

Re: Literaturhinweis

Armin Stoll 1279 02. November 2006 06:59

Re: "Übersättigung" der Luft? Kondensationskeime - es geht auch ohne

Lüpke 1268 16. Oktober 2006 21:25

Re: Nanotechnologie für hydophile Oberfläche und „Selbstreinigung“

Jinchen Liu 1382 03. August 2007 17:16

Suchen Sie sich mit Google ein passendes Mittel

Walter E. Schön 1183 03. August 2007 17:53

Eher Probleme mit den Okularen

Holger Merlitz 1254 16. Oktober 2006 03:17



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