Da ich heute schon viel zu lange Beiträge im Forum geschrieben habe, statt mich meiner Arbeit zu widmen, nur einige wenige Anmerkungen (man könnte über diese Theme dicke Bücher füllen!), will ich jetzt nur einige wenige Anmerkungen machen und nicht weit in die Tiefe gehen.
Es kommt z.B. sehr darauf an, welche Parameter man wählt, denn es gibt bei den angesprochenen Sinnen jeweils mehrere.
Der Gesichtssinn z.B. unterscheidet Helligkeiten, Farbtöne, Farbsättigungen, aber erkennt auch Strukturen, Formen, Richtungen, Größen, Bewegung, räumliche Tiefe usw. Bei den Helligkeiten umfaßt er dank Adaption einen Bereich von 11 Zehnerpotenzen (von ca. 0,000 001 cd/mˆ2 bis 100 000 cd/mˆ2). Da sind die nur ca. 10 Oktaven oder 3 Zehnerpotenzen des hörbaren Tonumfangs (ca. 20 Hz bis 20 kHz) geradezu lächerlich. Kann man da nicht billigerweise erwarten, daß in einem von 11 auf nur 3 Zehnerpotenzen komprimierten Bereich die unterscheidbaren Stufen feiner sind?
Nun muß man allerdings berücksichtigen, daß Tonhöhen und Helligkeiten pysikalische Größen sehr unterschiedlicher Art und schon deshalb auch physiologisch nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Der Tonhöhe in der Akustik entspricht nämlich nicht die Helligkeit in der Optik, sondern die Spektralfarbe, und der Helligkeit in der Optik enstpricht in der Akustik die Lautheit. Wenn man einen fairen Vergleich durchführen will und, da der Transmissionstest Ausgangspunkt dieser neuen Diskussion war, die akustische Entsprechung zu Helligkeitsunterschieden sucht, dann muß man die Lautheitsunterschiede nehmen. Dafür ist nun aber das Ohr bei weitem nicht so unterscheidungsfähig: Bei einem Schalldruckpegelumfang von max. etwa 120 dB zwischen Hör- und Schmerzschwelle (soviel aber nur im Frequenzbereich um etwa 1 kHz, darunter und darüber viel weniger!) liegt der zur Unterscheidung nötige Pegelunterschied nur in der Größenordnung von 1 dB (bei leisen Geräuschen sind viel größere Unterschiede nötig, um unterschieden werden zu können, bei sehr lauten etwas geringere, also genau umgekehrt wie bei Helligkeiten). Hinzu kommt noch, daß es bei gleichzeitigem Sehen verschieden heller Flächen zu keiner Überlagerung oder Vermischung kommt, bei Geräuschen sich jedoch (wenn sie sich nicht aufgrund sehr unterschiedlicher Richtung oder Tonhöhen in gewissem Maße trennen lassen) die Lautheitsempfindung aufsummiert (allerdings nicht als einfache Addition), man also evtl. nur eine neue Gesamtlautstärke wahrnimmt. Alles das macht den Vergleich schwer bis unmöglich.
Wie will man bei anderen Vergleichen verschiedener Sinneswahrnehmungen berücksichtigen, daß die Wahrnehmungsstärke mancher Parameter linear und die anderer (der meisten) logarithmisch ist? Wie will man für so unterschiedliche Sinne die Bedingungen definieren, unter denen man Unterschiede wahrnehmen kann? Bei Helligkeiten oder Farben etwa kommt man zu sehr verschiedenen Feinheiten der Abstufung, wenn man z.B. den Vergleich zeitlich oder räumlich ausdehnt, also fragt, ob sich eine gestern oder vor wenigen Minuten oder gleichzeitig gesehene Helligkeit von einer anderen unterscheidet, die ich jetzt sehe. Ähnlich ist es bei Tonhöhen, wo auch eine Rolle spielt, ob der Hörer ein „absolutes Gehör“ besitzt (also gewissermaßen seine Stimmgabel im Kopf hat) und ob sein Gehör geschult ist. Bei Tonhöhen kann durch den sog. Schwebungseffekt die Auflösung beträchtlich gesteigert werden; bei nicht gleichzeitigem Hören entfällt dieser Effekt.
Wie will man ein Maßsystem für Geschmacksunterschiede festlkegen (bei denen genau genommen Geschmack und Geruch sehr effizient zusammenwirken, so daß Geschmacksunterschiede ohne gleichzeitige Geruchswahrnahmung fast auf null zusammenschrumpfen), insbesondere ein solches, das z.B. mit einem Maßsystem für Leuchtdichten oder Tonhöhen irgendwie fair vergleichbar wäre?
Die Unterscheidbarkeit von 4 cent in der Tonhöhe (1 cent = 1/100 eines Halbtonschritts, z.B. von c nach cis, in logarithmischer Skalierung) einer Unterscheidbarkeit von nur 4 Geschmacksrichtungen gegenüberzustellen, ist Unsinn. Denn die Geschmacksrichtungen sind keine Skalierung, sondern Parameter. Innerhalb jeder Geschmacksrichtung gibt es eigene Abstufungen, nur daß wir dafür keine Skala in physikalischem Sinne so angeben können wie für Tonhöhen. Dennoch gibt es aber eine riesige Vielfalt eindeutig und reproduzierbar unterscheidbarer Geschmacke (aber wiederum nur in Verbindung mit den zugehörigen Gerüchen). Beispiel: Eine reife Erdbeere ist süß, eine Ananas auch, und doch kann man beide blind unterscheiden (außer in Österreich, weil dort die großen Erdbeeren „Ananas“ genannt werden!). Zucker ist süß, aber anders als Honig, Aspertan oder Sacharin. Und viele weitere Beispiele ließen sich nennen.
Man muß schließlich gerade beim Vergleich von Gesichts- und Hörsinn einen ganz wesentlichen Unterschied beachten: Das Ohr hat Sensoren für einzelne Frequenzen (Tonhöhen). Deshalb kann jemand z.B. einen Gehörschaden nur in einem engen Frequenzbereich haben und ansonsten alles normal hören. Das Auge hat dagegen keine vergleichbare spektrale Auflösung nach Frequenzen bzw. Wellenlängen (die umgekehrt proportional zu den Frequenzen sind), sondern hat für das Farbensehen nur drei verschiedene Sensoren, nämlich die L-Zapfen, die M-Zapfen und die K-Zapfen. Aber das heißt noch lange nicht, daß das Auge nur drei Farben unterscheiden könnte! Denn durch Analyse der Intensitätsverhältnisse kommt es zu einer riesigen Zahl unterscheidbarer Farbtöne (MacAdam-Ellipsen!), wobei allerdings die Unterscheidbarkeit von mehreren Parametern abhängt, z.B. davon, wie hell die Farben sind, ob die zu unterscheidenden Farbflächen gleichzeitig oder nacheinander (ggf. mit welchem Zeitunterschied), ob sie direkt nebeneinander mit einer scharfen gemeinsamen Grenze oder in räumlich getrennten Flächen betrachtet werden, welche Umgebungsfarben vorhanden sind (neutrales Grau stört am wenigsten, grelle und viele Umgebungsfarben stören am meisten). Wenn man dem Auge gleichzeitig 500 verschiedene Wellenlängen als Mischfarbe präsentiert, nimmt es dennoch eine eindeutige Farbe wahr. Wenn man dem Ohr dagegen 500 verschiedene Frequenzen gleichzeitig präsentiert, nimmt es nur ein als Rauschen zu bezeichnendes, ziemlich undefinierbares Geräusch wahr. Wenn man dem entgegenhält, daß aber doch die Stimmen sehr vieler verschiedener Menschen unterschieden und wiedererkannt werden können, obwohl die spektrale Zusammensetzung ein schier unentwirrbares Gemisch verschiedenster Frequenzen darstellt, so liegt ein Irrtum vor, weil wir beim Erkennen einer Stimme nicht nur das Frequenzgemisch, sondern auch dessen zeitliche Änderung, also einen dynamischen Verlauf mit eben den letztlich wichtigen charakteristischen Modulationsformen auswerten. Also spielt hier etwas mit, wozu es bei Farben keine Analogie gibt, so daß der Vergleich schon wieder hinken muß.
Ich merke, daß ich schon wieder zuviel geschieben habe. Schluß, ich muß mich ums Abendessen kümmern und danach eine Nachtschicht einlegen, um die heute versäumte Arbeit nachzuholen. Ich wollte ja nur sagen, daß alles nicht so einfach ist, wie es auf den ersten oberflächlichen Blick erscheint - und daß man eigentlich doch ein ganzes Buch darüber schreiben müßte, um die hier aufgeworfenen Fragen halbwegs korrekt zu beantworten.
Walter E. Schön