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ja, aber manchmal trauen wir unseren Sinnen auch viel zu sehr!

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14. März 2008 08:07
Vorab: dieser Beitrag ist für Leser mit ausschliesslichem Interesse an fernoptischen Themen irrelevant.

Sehr geehrter Herr Champollion,

wenn Sie moderner komplizierter Messtechnik mit einer gesunden Portion Skepsis begegnen und ihr ein naturalistisches „Zurück zu den Sinnen“ entgegenhalten ist das nicht grundsätzlich verkehrt, solange Sie dabei die Sinne nicht überschätzen und ihre Grenzen zu akzeptieren bereit sind. Es gibt allein auf medizinischem Gebiet viele unsinnig aufwendige apparative Untersuchungen die mit viel einfacheren sinnesbasierten Verfahren oder durch Einsatz von diagnostischem Sachverstand ersetzt werden könnten - und in vielen anderen Ländern mit einem effizienteren Gesundheitssystem auch dadurch ersetzt werden. Die Interessen die dem in einem reichen verwöhnten Land entgegenstehen kann sich jeder ausmalen. Und wenn Sie mit Ihrem Appell auch dazu aufrufen wollen, die eigenen Sinne durch Erprobung zu schärfen, ist dem vorbehaltlos zuzustimmen. Geübte Augen, Ohren, Nase und Hände bereichern ja nicht nur das persönliche Leben. Viele Entdeckungen und große wissenschaftliche Theorien wurden erst durch ein geschärftes Wahrnehmungsvermögen möglich.

Ich glaube aber das Problem, Sinneseindrücke oder Meßergebnisse überzeugend und relevant zu finden, oder nicht, hat nicht so sehr mit Einfachheit, Komplexität oder Aufwand der eingesetzten Meßmethode zu tun, wie Sie mutmaßen, sondern die Schwierigkeiten stecken eher darin, wie man Befunde zu interpretieren hat. Ich glaube also nicht wie Sie, dass die Papiertestkritiker Ihren eigenen Sinnen misstrauen, weil der Test zu einfach ist. Ich denke, dass alle Papiertestkritiker ohne Weiteres die mit diesem einfachen Verfahren zu erkennenden Transmissionsunterschiede korrekt wahrnehmen und zu Protokoll geben würden. (Sie liegen, wenn ich mich recht entsinne, bei minimal 0,3% laut Herrn Weigand, dessen Messungen ich in diesem Falle für die Fernglas-Beobachtungspraxis für bedeutungsvoll halte, sehr im Gegensatz zu seinen... aber lassen wir das).

Ich glaube eher, die Kritiker verstehen nicht, was sie da eigentlich sehen, sie können die Interpretation der Befunde nicht nachvollziehen. (Und dies rührt vielleicht von der schmerzlichen Erfahrung her, dass dem Verstand nicht immer zu trauen ist, eine Erfahrung, die wohl jeder von uns schon machen musste, wenngleich manche mehr, manche weniger. Ich würde annehmen, dass unter den Kritikern erstere überwiegen.) Die manchmal rührend verzweifelten und manchmal leider bis zur persönlichen Beleidigung gehenden Erklärungsversuche von Herrn Schön werden daran nicht viel ändern können. Für die Unfähigkeit zur Einsicht kennt wohl jeder genügend Beispiele. (Und wie ich maliziös hinzufügen möchte, das nicht nur bei anderen, sondern manchmal auch bei sich selbst, nicht wahr Herr Schön?)

Ein besonders hübsches Beispiel aus der Wissenschaftsgeschichte ist der Fall Galilei.Galilei nutzte bei seinen Experimenten zu den Fallgesetzen für die genauen Zeitmessungen auf der schiefen Ebene wahrscheinlich seine Laute. Als passionierter Lautenspieler hat er vermutlich zu den herunterlaufenden Kugeln musiziert und sein Rhythmusgefühl als Zeitmesser benutzt, weil er damit viel genauere Zeitunterschiede erfassen konnte als mit den damals verfügbaren Uhren. Jedenfalls kann man sich bis heute die hohe Genauigkeit seiner Meßwerte nicht anders erklären.

Doch so sehr man auch hier versucht sein mag, das Loblied auf die menschliche Sinneswahrnehmung erneut anzustimmen und so viele andere glänzende Beispiele es dafür sonst noch gibt, so sehr sollte man sich andererseits der Begrenztheit und Fehleranfälligkeit sinnlicher Wahrnehumg bewußt sein. Ein allzu schlichter, naiver Sensualismus hat seine Tücken. Denken Sie nur an die zahlreichen Beispiele von Sinnestäuschungen (und ich wette, Sie erliegen einer solchen, wenn Ihnen 1kg Zucker schwerer vorkommen als 1kg Haselnußspäne.) Dass Sinnestäuschungen zuweilen sehr angenehm und sogar vorteilhaft sein können, wie im Fall der wohltemperierten Stimmung von Tasteninstrumenten, wird keiner in Abrede stellen. Aber - Ihr Wahrnehmungsvermögen in Ehren - wenn Sie als Lebensmittelhändler ihre Preise nach gefühltem Gewicht bestimmten, würde ich Ihnen garantiert keinen Zucker abkaufen.

Zurück zum Beispiel Galilei. Es zeigt nämlich andererseits auch, wie eine zu weitgehende Fixierung auf die direkte sinnliche Wahrnehmung der Einsicht entgegenstehen kann: Galileis kühner Schritt, sinnlich wahrnehmbare Geschwindigkeiten mathematisch durch das Verhältnis Länge pro Zeit zu beschreiben und sie dadurch berechenbar zu machen, erschien den meisten seiner Zeitgenossen als kapitaler Kategorienfehler und wurde als absurd zurückgewiesen. Man hielt eine solche Begriffsbildung deshalb für unzulässig, weil es der unmittelbaren sinnlichen Anschauung widersprach, zwei getrennt wahrgenommene Sinneseindrücke (die Kategorien Länge und Zeit) miteinander zu kombinieren, man hielt dies für ebenso sinnlos und irreführend, wie Äpfel durch Birnen zu dividieren.

Dass sich Galileis Anschauung gegen erheblichen Widerstand der „Hochgelahrten“ durchsetzte und heute selbst von Schulkindern nicht mehr als Erkenntnisproblem wahrgenommen wird zeigt, welch komplexe Interaktionen von Sinnen und Verstand im Laufe der geistigen Entwicklung eines Menschen bei guter Bildung ablaufen können, und mit welch wunderbarer Plastizität es unserem Gehirn gelingt durch Kombination aus Sinneswahrnehumg und Verstand unser Verständnis der Welt zu erweitern.

Für sich allein genommen können Sinne und Verstand manchmal sogar kontraproduktiv wirken: Die gleichen hochgelahrten Herren, die Galileis Geschwindigkeitsdefinition mit Hinweis auf vermeintlich zuwiderlaufende Sinneseindrücke ablehnten, lehnten es mit Hinweis auf die Unzulänglichkeit ebendieser Sinneseindrücke ab, auch nur einen einzigen Blick durch Galileis Fernrohr zu werfen! Sie versagten sich die sinnliche Erfahrung, denn das dabei laut Galilei sichtbare Bild der Jupitermonde (eines anderen Weltensystems mit umlaufenden Himmelskörpern als das vermeintlich einzige irdische) könne nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben , es müsse sich hier um eine Sinnestäuschung handeln, schließlich verfälsche dieser Apparat die natürliche Wahrnehmung. (Die denkblockierten Papiertestkritiker lassen freundlich gruessen und müssten für diese Haltung groesstes Verständnis haben).

Man sieht, die Sinne über den Verstand zu stellen kann genauso trügen , wie den Verstand über die Sinne zu stellen. Wenn es um Naturforschung geht, bringt erst das kritische und scharfsinnige Miteinander neue bedeutungsvolle Einsichten hervor. Ohne einen scharfen und kritischen Verstand ist auf blosse Sinneseindrücke oder Gefühle nicht immer Verlaß, was jeder Magier vorführen kann und manche Scharlatane gerne nutzen... Erst die vernünftige Balance von Wahrnehmung und Abstraktion, die intelligente Wahl der Mittel und die intelligente Interpretation der Befunde ermöglichen bedeutende Einsichten. Die Frage nach der Komplexität der eingesetzten Messmethodik ist dabei nicht unbedeutend (Finanzen, Zeit, Genauigkeit, Grenzen, etc.), aber erkenntnistheoretisch eher sekundär. Mit komplizierten Messverfahren kann man allerdings Laien besser beeindrucken (oder wie gewünscht manipulieren, s.o.)

Es ist sicher gut und wichtig, seinen Sinnen einigermaßen zu trauen. Es kommt aber noch mehr darauf an, die Sinneseindrücke kritisch bewerten zu können, damit man entscheiden kann, wann man ihnen trauen kann und wann besser nicht. Und manchmal kommt es darauf an, bei dem was alle schon tausendmal gesehen, wahrgenommen, gefühlt oder erlebt haben, etwas Neues zu denken. Mit Sinnen, Erkenntnis und Verstand ist es vielleicht ein bisschen so wie mit Genuss, Wissen und Lernen. Lernen ohne Genuß verhärmt, Wissen ohne Verständnis blockiert , und zuviel Genuß ohne Lernen verblödet und schränkt Wahrnehmung und Genussfähigkeit ein. Galilei jedenfalls war nicht nur ein exzellenter Beobachter und kritischer Denker, sondern auch ein guter Musiker, begabter Dichter und ein sinnenfroher Feinschmecker.

Ich hoffe Ihr Rehbraten ist inzwischen fertiggegoren. Bon Appétit.




1-mal bearbeitet. Zuletzt am 14.03.08 08:14.
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Test-Philosophie, oder: wir trauen unseren Sinnen viel zu wenig!

marc champollion 1683 12. März 2008 19:15

Re: Test-Philosophie, oder: wir trauen unseren Sinnen viel zu wenig!

Gunnar 861 13. März 2008 06:46

Dabei ist doch alles ganz einfach!

Walter E. Schön 900 13. März 2008 09:55

Re: Dabei ist doch alles ganz einfach!

marc champollion 934 13. März 2008 14:12

Der Test ist sehr gut

F. Neumann 814 24. April 2008 10:27

Re: Test-Philosophie, oder: wir trauen unseren Sinnen viel zu wenig!

Andreas Werner 909 13. März 2008 16:01

Re: Test-Philosophie, oder: wir trauen unseren Sinnen viel zu wenig!

marc champollion 830 13. März 2008 16:21

Solche Vergleiche sind nicht möglich, weil einheitliche Maßstäbe fehlen

Walter E. Schön 1060 13. März 2008 19:26

Re: Solche Vergleiche...

marc champollion 796 13. März 2008 21:06

ja, aber manchmal trauen wir unseren Sinnen auch viel zu sehr!

konfokal 1486 14. März 2008 08:07

Applaus, Applaus!

Walter E. Schön 849 14. März 2008 10:30

Re: ja, aber manchmal trauen wir unseren Sinnen auch viel zu sehr!

marc champollion 822 14. März 2008 11:13

Leseempfehlung

Jan Münzer 845 14. März 2008 11:23



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