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Entfernungsvergleich mit und ohne Fernglas - und ein Kommentar zum „N.E.E.D.“-Wert

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23. Juni 2005 16:37
Wenn das Fernglas keinerlei Abbildungsfehler und Transmissionsverluste hätte (was aber praktisch nie möglich ist, sondern selbst bei den Spitzenprodukten nur angenähert erreichbar ist), wäre das richtig. Bei Betrachtung über sehr große Entfernungen, wie sie bei Ferngläsern durchaus sehr oft, bei manchen Einsatzgebieten (maritim) sogar überwiegend oder (astronomisch) immer vorkommen, muß auch noch der Qualitätsverlust durch Verschmutzung (Trübung), Lichtstreuung (Kontrastverlust) und Turbulenzen (Unschärfe, Flimmereffekte) der Luftschicht berücksichtigt werden. Deshalb würde man selbst mit einem nur denk-, aber nicht realisierbaren fehlerfreien Fernglas z.B. einen Gegenstand in 5 km Entfernung (= dicke Luftschicht) bei 10facher Vergrößerung nicht so klar und scharf sehen wie ohne Fernglas in 500 m Entfernung (dünne Luftschicht, daher klarere Sicht).

Auf der vor allem unter Hobby-Ornithologen beliebten Website www.betterviewdesired.com sind zahlreiche Fernglastests veröffentlicht, bei denen die Qualitätsbeurteilung nach einem als „N.E.E.D.” bezeichneten Index erfolgt (N.E.E.D. = naked eye equivalent distance). Da wird also genau der von Ihnen angestellte Vergleich herangezogen, aber – obwohl der Autor Steve Ingraham unter Fernglasfreunden hohe Reputation genießt - offensichtlich mit einem mangelhaften Verfahren. Denn die dort angegebenen N.E.E.D.-Werte, die unter Berücksichtigung der oben von mir genannten Bedingungen immer kleiner als der mit der Fernglasvergrößerung multiplizierte Vergleichs-Betrachtungsabstand fürs bloße Auge sein müßten, erreichen dort - welch ein physikalisches Wunder! - manchmal bis zu doppelt so hohe Werte. So beträgt gemäß einer im Test des Bausch & Lomb 8x42 enthaltenen Information die Vergleichsentfernung des bloßen Auges 14 Inch (= 355,6 mm), und Steve Ingraham kommt dann mit diversen 10fach vergrößernden Ferngläsern z.B. auf einen N.E.E.D.-Wert von über 20 Feet (= 6,096 m), also mehr als die 17,14fache Entfernung des bloßen Auges.

Das läßt sich so erklären, daß der Tester wohl mit fehlsichtigen Augen ohne Brille geschaut und deshalb mit bloßem Auge nicht die wirklich maximal mögliche Schärfe gesehen hat, dann aber durchs Fernglas die Fehlsichtigkeit durch angepaßte Fokussierung kompensiert und so seinen Visus (= Fachausdruck der Augenoptiker für die meßbare Sehschärfe des Auges) um mehr als den Faktor 1,7 gesteigert hat. Alternativ wäre denkbar, daß die vom Tester beurteilten Feinstrukturen (Linienmuster auf einem Dollarschein) in der Entfernung fürs bloße Auge zu grob waren, um das Auge bis an seine Auflösungsgrenze zu fordern, und damit die volle Sehkraft der Augen noch gar nicht beansprucht haben. Aber ob so oder so, mit solchen Mängeln darf man natürlich nicht Ferngläser testen, schon gar nicht, wenn man dann die Ergebnisse nicht für sich behält, sondern mit dem Anspruch der fachlichen Korrektheit und Kompetenz übers Internet in alle Welt hinaus posaunt (erstaunlich, daß eine gewiß kompetente Firma Carl Zeiss dann Steve Ingraham sicher nicht ganz umsonst - ich meine natürlich „kostenlos”, nicht „vergebens” – als Berater der Fernglasentwicklung engagiert haben soll, wie mehrfach im Internet geschrieben wurde; haben die Zeiss-Entwickler sich nie näher mit dem an sich sinnvollen, aber mangelhaft angewandten N.E.E.D.-Wert befaßt?).

Ich weiß, daß ich mich damit bei den vielen „Birdern” unbeliebt mache, die ihren Steve Ingraham wie einen Guru verehren - hallo, Steve (Green), was meinst Du denn dazu? -, aber das mir hier durch den Beitrag von Herrn Dreher gegebene Stichwort war mir eine willkommene Gelegenheit, zur dieser Art von Fernglastest-Murks mal einen Kommentar abzugeben. Bitte nicht böse sein!

Um nochmal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Machen Sie doch selbst diesen Test. Kleben Sie eine Zeitungsseite mit Tesa an eine Wand, entfernen Sie sich dann so weit von ihr, daß Sie die Texte mit der kleinsten Schrift gerade noch lesen können, und messen Sie diese Entfernung (in gerader Linie von der Zeitung zu den Augen). Je nach Schriftgröße und Helligkeit könnte diese Entfernung knapp über 1 m liegen. Denn nehmen Sie Ihr Fernglas und gehen Sie so weit weg, bis Sie auch durchs Fernglas die kleinste Schrift gerade noch lesen können. Um Unschärfe durch Handzittern (wofür das Fernglas nichts kann) auszuschließen, muß das Fernglas natürlich wackelfrei auf einem stabilen Stativ stehen. Sie weren feststellen, daß die Entfernung mit Fernglas je nach Güte des Fernglases ein wenig kleiner ist als die mit dem Vergrößerungsfaktor multiplizierte Entfernung mit bloßem Auge. Falls Sie (wie Steve Ingraham) mit Fernglas auf eine größere Entfernung kommen sollten, sollten Sie (wie Steve Ingraham) das als ein Warnsignal und eine Aufforderung betrachten, schnellstmöglich einen guten Augenarzt aufzusuchen und sich eine korrekt angepaßte Brille oder Kontaktlinsen verschreiben zu lassen.

Fast hätte ich's vergessen: Es gibt doch eine den physikalischen Gesetzen nicht zuwiderlaufende Möglichkeit, mit dem Fernglas zu einer geringfügig größeren Entfernung als der mit der nominellen Vergrößerung des Fernglases multiplizierten Entfernung bei bloßem Auge zu kommen: Man muß dazu ein Fernglas mit Okularfokussierung benutzen, also z.B. ein Porroglas (Dachkantgläser haben in der Regel Innenfokussierung), denn bei Okularfokussierung nimmt in Nahbereich der Vergrößerungsfaktor etwas zu, weil die vergrößerte Bildweite des Objektivs (deretwegen das Okular beim Fokussieren vom Objektiv weg bewegt werden muß) ein größeres Bild erzeugt. Bei Innenfokussierung dagegen bleibt wegen der Brennweitenverkürzung beim Fokussieren (Zoomeffekt) die Bildweite und damit auch der Vergrößerungsfaktor für alle Entfernungen konstant. Wenn man nun ein Porrofernglas mit möglichst langer Objektivbrennweite nimmt und den Test in Nahbereich durchführt (also wie Steve Ingraham nicht mit einer Zeitung fürs bloße Auge aus z.B. 1,10 m Abstand, sondern mit einer Dollar-Banknote aus nur 36 cm Entfernung), dann könnte das in der Ferne 10fache Vergrößerung bietende Fernglas vielleicht schon auf 11fache Vergrößerung kommen, und wenn man dann aufgrund der eingangs beschriebenen unvermeidbaren Qualitätsverluste eine Verschlechterung um nur 5% annimmt, käme man dann tatsächlich auf einen N.E.E.D.-Wert in der Größenordnung des ca. 10,5fachen der Entfernung fürs bloße Auge.

Nebenbei noch eine weitere Kritik an Steve Ingrahams Test: Ein Fernglas ist kein Nahglas. Es ist für optimale Bildqualität bei großen Entfernungen konzipiert und kann im Nahbereich je nach Bauart mehr oder weniger deutlich in der Schärfe abfallen (man kennt das ja auch von Fotoobjektiven, weshalb es spezielle Makroobjektive gibt). Fernglastests sollten deshalb auf große Entfernungen abgestellt sein, um für die Praxis relevante Ergebnisse zu liefern. Relativ zu den bei normalen Ferngläsern (nicht Astro-Großferngläsern) üblichen Objektivbrennweiten zwischen etwa 12 und 20 cm würde ich „fern” als mindestens ca. 10 m ansehen. Mit einem hochwertigen 10fach-Glas sollte man dann etwa so scharf sehen wie mit bloßen Auge um oder knapp über 1 m (siehe obiges Beispiel mit der Tageszeitung). Steve Ingraham sollte seine Dollarscheine also mal aus 1 m Entfernung oder etwas mehr betrachten und die dann gerade noch erkennbaren Fernstrukturen zum Kriterum seiner Beobachtungen mit den Ferngläsern machen, um dann zu neuen N.E.E.D.-Werten zu kommen, die nicht mehr irreführend höhere Schärfe vorgaukeln, als sie physikalisch möglich ist.

Damit soll mein Lästern ein Ende haben.

Walter E. Schön
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Michael 2427 20. Januar 2005 08:40

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Werner Jülich 1916 21. Januar 2005 12:10

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Achim Sobotta 1334 25. Januar 2005 07:59

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Werner Jülich 1411 28. Januar 2005 10:23

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Thomas Becker 1330 29. Januar 2005 02:34

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Dieter Pförtner 1168 31. Januar 2005 19:38

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Gunnar 1128 31. Januar 2005 23:39

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Paul Heller 1159 02. Februar 2005 14:47

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Werner Jülich 1383 08. Februar 2005 17:19

Re: Wie prüft man die Qualität eines Fernglases?

Karl Dreher 1364 23. Juni 2005 14:04

Entfernungsvergleich mit und ohne Fernglas - und ein Kommentar zum „N.E.E.D.“-Wert

Walter E. Schön 2145 23. Juni 2005 16:37

Re: Entfernungsvergleich mit und ohne Fernglas - und ein Kommentar zum „N.E.E.D.“-Wert

Werner Jülich 1268 23. Juni 2005 20:39

Re: Entfernungsvergleich mit und ohne Fernglas - und ein Kommentar zum „N.E.E.D.“-Wert

S. Green 1253 24. Juni 2005 13:27

Fragen zu Steve Ingrahams Reputation in der „Birderszene“

Walter E. Schön 1355 24. Juni 2005 13:56

Re: Fragen zu Steve Ingrahams Reputation in der „Birderszene“

S. Green 1435 24. Juni 2005 16:29

Unsachlicher Einwand, Ornis beobachten nicht, sie hören

Franz-Josef Severin 1342 25. Juni 2005 11:20

Re: Unsachlicher Einwand, Ornis beobachten nicht, sie hören

Walter Wehr 1307 25. Juni 2005 13:38

Re: Unsachlicher Einwand, Ornis beobachten nicht, sie hören

Carsten Weiss 1059 29. Juni 2005 07:11

Re: Unsachlicher Einwand, Ornis beobachten nicht, sie hören

Walter Wehr 1356 29. Juni 2005 10:26



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