Ich versuche mich mal mit einer Analyse, Walter E. Schoen wird im naechsten Monat (sobald er wieder Zeit hat) dann vielleicht noch einiges dazu sagen wollen:
Zuerst muessen wir zwei Arten von chromatischer Aberration unterscheiden:
1) Die longitudinale CA ("Farblaengsfehler"), die auch paraxial (im Zentrum des Bildes) auftaucht. Astronomen kennen den Effekt sehr gut, wenn der Jupiter im Zentrum des Bildes ploetzlich einen farbigen Rand hat. Ursache: Nicht alle Wellenlaengen werden in dieselbe Bildebene fokussiert - wenn gruen scharf ist, dann ist rot etwas unscharf, ebenso blau. Je nach Bauart des Objektivs laesst sich dieser Effekt (genauer: das sekundaere Spektrum) reduzieren. Die longitudinale CA spielt eher bei hoeheren Vergroesserungen eine Rolle, bei Handfernglaesern und 10x Vergroesserung ist sie meist kaum festzustellen.
2) Die laterale CA ("Farbquerfehler"), die zum Bildfeldrand hin stark zunimmt. Hier ist die Ursache ein unterschiedlicher Abbildungsmasstab fuer die verschiedenen Farben. Die laterale CA ist in praktisch jedem Fernglas sehr leicht zu sehen, auch bei niedrigen Vergroesserungen. Sie ist die eigentliche Ursache der bekannten Farbsaeume. Findet man solche Farbsaeume doch mal im Zentrum des Bildes, dann liegt es meist nicht an der longitudinalen CA, sondern daran, dass man seine Pupille nicht genau auf die Austrittspupille zentriert hat, also irgendwie schief einsieht.
Je nach Qualitaet der Optik kann die laterale CA mehr oder weniger auffaellig sein: Falls jede Menge Koma, sphaerische Aberration und Astigmatismus vorhanden sind, dann ist das Bild zum Rande hin so unscharf, dass die Farbsaeume kaum auffallen. Bei einer sehr gut korrigierten Optik sind auch die Randbereiche noch scharf genug, dass die laterale CA auffaellig wird: Die Farbsaeume werden schoen scharf abgebildet!
Es ist klar, dass jede Form von CA den Kontrast mindert, da ja Teile des Lichts ausserhalb des Fokus liegen. Allerdings ist dieses "Verschmieren" auf einen kleinen Bereich beschraenkt, man kann also sagen, dass nur der Mikrokontrast beeinflusst wird. Hat man also eine Testtafel vor sich, mit vielen sehr feinen weissen und schwarzen Balken, dann sorgt die CA fuer eine Kontrastminderung und somit fuer eine reduzierte Feinaufloesung. Was wir aber allgemein als Kontrast empfinden, betrifft eher den Helligkeits/Farbunterschied verschiedener (ausgedehnter) Objekte im Bildfeld und nicht so sehr die extrem feinen Details. Anders als bei Streulicht wird dieser Kontrast durch die CA nicht beeinflusst, ein Fernglas kann daher durchaus einen guten Kontrast aufweisen, auch wenn CA vorhanden ist, da ja lediglich der Mikrokontrast (also praktisch die Feinaufloesung) durch die CA in Mitleidenschaft gezogen wird.
Ein Ornithologe, der feinste Details in den Federn lesen will, wird hier vielleicht widersprechen und betonen, dass Kontrast fuer ihn dasselbe ist wie Mikrokontrast und daher unbedingt eine bessere Korrektur der CA verlangen. Ich wuerde trotzdem vorschlagen, Kontrast (= Helligkeits-/Farbunterschied ausgedehnter Flaechen) und Mikrokontrast (also praktisch Aufloesung) zu unterscheiden. So gesehen beeinflusst die CA nicht den Kontrast, sondern die Aufloesung.
Dies waere meine Interpretation zum Thema CA, Kontrast und Aufloesung, ich bin aber offen fuer alternative Vorschlaege.
Viele Gruesse,
Holger Merlitz