In der so friedlichen, besinnlichen und durch den liebevollen Umgang miteinander gekennzeichneten Vorweihnachtszeit stand ich einmal in einem hektischen, mit gestreßten und zum Teil aggressiven Zeitgenossen angefüllten Elektromarkt des Ringplaneten am Berliner Alexanderplatz. Alle auf der Jagd nach dem schnellen Schnäppchen und ganz im Bestreben des Erfüllens der geheimsten Wünsche Ihrer Lieben gefangen, nahmen einige von i(I)hnen mich wahr. Gleichwohl ich nicht als Weihnachtsmann verkleidet war, schien mein Anblick gerade die kleinsten der Menschenkinder, die oftmals brutal herumgezerrt wurden und eigentlich die Schnauze schon voll hatten, auf besondere Weise zu interessieren. Was war so fesselnd?
Ich hatte mich, auf der Suche nach einem leichten, aber vollwertigen Reisestativ für den Weihnachtsurlaub auf La Palma [
www.juelich-bonn.com], in eine etwas ruhigere Ecke des Marktes zurückgezogen und wurde in regelmäßigen Abständen von den außerordentlich engagierten Saturn-Mitarbeitern mit weiteren Modellen zum Testen versorgt. Wie testet man ein Stativ? Ich dachte mir, ein Fernglas möglichst hoher Masse und höherer Vergrößerung wäre geeignet und weitaus praktischer als ein Spektiv. Also stand ich da mit meinem Zeiss 15x60, rüttelte an den Stativen, legte atemberaubende Schwenks mit den Neigern hin und versuchte hin- und wieder weit entfernte Preisschilder zu entziffern oder in das dunkle Reich geöffneter Mikrowellen im Flutlicht zu spähen. Die Kommentare der vorbeikrakelenden Gutmenschen fielen entsprechend aus. Einige Beispiele:
Stark berlinernde Mutter mit eigentlich ganz nettem Sohn auf dessen interessierte Frage, was den das 'Ding' sei, mit dem der Onkel da spiele: "Damit kannste den Nachbarn inn Topf gucken."
"Oder ins Schlafzimma!" würgte ein dicht dahinter schlurfender Power Shopper nach.
Meine Erwiderung, daß man damit auch ferne Galaxien, die Monde des Jupiter und scheue Tiere 'ganz nah heranholen' könnte, blieb mir im Hals stecken...
"Kiek da nich so hinnnnn! Ditt iss'n Perverser" meinten zwei, die irgendwie aussahen wie die aus der Talk Show mit den übergewichtigen, gepiercten, der deutschen Sprache nur rudimentär mächtigen, die den ganzen Tag Zeit haben sich über recht intime Details ihres Lebens öffentlich zu produzieren, aber trotzdem ein außerordentlich waches und aufgeschlossenes Kerlchen zustande gebracht hatten.
Schade eigentlich, daß vielen Kindern so früh so viel ausgetrieben wird.
"Wofür der das wohl braucht? Naja, das will ich mir lieber nicht vorstellen." tuschelten aber auch leicht schwerhörige, studierte Studiosus-reisewillige bei der Suche nach einer digitalen Spiegelreflexkamera für die türkischen Ruinen.
Kurzum, in diesem Klima des Argwohns, der Ideenlosigkeit, fehlenden Interesses und mangelnder Toleranz hätten es wohl nicht nur Zeiss, Abbe, Hensoldt und Leitz, sondern erst recht Grzimek und Sielman schwer gehabt mit ihrem Interesse für Optik und Beobachtung. ...von Kriegszeiten einmal abgesehen...
Warum das Thema so negativ belegt ist, daß viele sich lieber nicht mit einem Fernglas um den Hals unter's Volk trauen, kann ich mir eigentlich nicht anders erklären als mit den gleichen Mechanismen, die die Angst vor dem Wolf nähren, Gartenzwerge wachsen, die Kartoffelchipsindustrie und den Videoverleih blühen, oder die Eier des Kormorans zerstören lassen.
Bedauernd,
Jan Münzer