Ihrem Appell möchte ich mich gern anschließen, nicht zuletzt auch deshalb, weil meine Beiträge (berufsbedingt) immer techniklastig sind und es daher für viele Leser so aussieht, als wäre ich nur Technikfetischist, der beim „Mittel zum Zweck" den Zweck vergißt. Ich möchte dazu einen Vergleich zur High-Fidelity anstellen. Als ich vor langer, langer Zeit Chefredakteur der Zeitschrift Stereoplay war, hatte ich in dieser Funktion viele Kontakte nicht nur zu ganz normalen HiFi-Geräte-Nutzern und Musikhörern, sondern auch sowohl zu großen, kenntnisreichen Musikfreunden einerseits als auch zu Datenfetischisten und Voodoo-Pseudophysikern andererseits. Unter letzteren gibt es viele, die ständig nach dem noch besseren Gerät suchen, aber nur Testschallplatten, Test-CDs, Test-SACDs oder Test-DVDs anhören und oftmals noch nie in ihrem Leben in einem richtigen Konzertsaal waren. Der schlimmste derartige Fall in meiner Erfahrung war ein gut verdienender Frankfurter Olivetti-Mitarbeiter, der den Gegenwert einer Luxuslimousine mit Wurzelholz-Armaturenbrett und vergoldeten Auspuffrohren in HiFi-Geräte investiert hatte, aber nur ca. 20 bis 25 Schallplatten besaß (CDs gab es damals noch nicht), nämlich die Testplatten 1 bis 5 des Deutschen High-Fidelity-Instituts, die Testplatte von Shure, die Testplatte von Ortofon, die Testplatte von Audio-Technika, die Testplatte von Technics, die Testplatte ... usw. und sage und schreibe auch noch eine richtige Musik-Schallplatte, nämlich die Telarc-Aufnahme von Tschaikovskys „Overtüre 1812“ mit dem Cincinnati Symphony Orchestra unter Erich Kunzel mit dem Kanonenschlag (zu Napoleons Sieg) von so großer Amplitude in der Schallplattenrille, daß es die Diamantspitze des Tonabnehmers aus der Kurve haut, wenn dessen Qualität nicht den höchsten Ansprüchen genügt.
Die HiFi-Technik sollte jedoch ebenso die die Fernglastechnik kein Selbstzweck sein, sondern der möglichst naturgetreuen, authentischen Musikwiedergabe dienen, so wie die Fernglastechnik dem Beobachter nur ein Werkzeug zur optimalen Beobachtung bieten sollte.
Wer zu Hause optimal aufgezeichnete oder per Rundfunk übertragene Musik hören möchte, kommt nicht umhin, sich vor dem Kauf der dafür nötigen Geräte mit der Technik zu befassen oder sich von kompetenter Seite entsprechend beraten zu lassen. Aber irgendwann muß die Kaufentscheidung fallen, damit endlich das Musikhören beginnen kann. Wer auf der Suche nach dem noch besseren Gerät zwei Jahre länger wartet, hat zwei Jahre hochqualitatives Musikhören verpaßt. Wer nach reiflichem Informieren, Vergleichen und Abwägen einen Schlußstrich zieht und das zum aktuellen Zeitpunkt als beste Lösung (unter den Randbedingungen von Leistung, Design, Bedienungskomfort, Bezahlbarkeit usw.) erscheinende Gerät kauft, sollte zwar nicht ganz aufhören, die weitere technische Entwicklung zu verfolgen, aber sich von diesem Zeitpunkt an auf die Nutzung der gekauften Geräte konzentrieren – der HiFi-Käufer also aufs entspannte, genußvolle Musikhören und der Ferngals-Käufer aufs Beobachten der Landschaft, der Vögel oder anderer Tiere oder sonstiger Natur. In beiden Bereichen kann man, wenn die Kaufentscheidung halbwegs richtig war, davon ausgehen, daß die gekaufte Gerätschaft für die nächsten fünf bis zehn Jahre, eventuell sogar noch länger, ihre Aufgabe zu hoher Zufriedenheit erfüllt. Wer sich aber, statt sich über die perfekte Musikwiedergabe oder das perfekte Seherlebnis mit dem vorhandenen Gerät zu freuen, das Leben durch Suche nach weiteren kleinen Detailverbesserungen schwer macht, versäumt den Musik- bzw. Beobachtungsgenuß.
Nach dem Kauf kann es, auch wenn es die Händler im HiFi- und Fernglasgeschäft aus ihrer Interessanlage etwas anders sehen sollten, besser sein, ab und zu Geld statt in noch besseres Gerät in deren bessere Nutzung zu investieren. Das heißt, zur HiFi-Anlage neue CDs zu kaufen oder ergänzend zum Hören zu Hause auch das Live-Erlebnis im Konzertsaal nicht zu kurz kommen zu lassen (nur wer das kennt, weiß wie die Musik wirklich klingen muß, und wer z.B. Kissin, Mutter, Gergiev oder Scholl einmal auf der Bühne erlebt hat, wird später beim Anhören deren Musik von der Konserve dank seiner visuellen Erinnerung diese Musik mit einer ganz anderen Intensität erleben). Und beim Fernglas-Käufer heist das, auch mal statt Geld ins Dritt- oder Viert-Fernglas zu investieren, dieses für eine Exkursion oder auch nur einen ganz normalen Besuch eines Vogenschutzgebietes, einer bestimmten vogelreichen Küste usw. auszugeben. Erst wenn die Nutzung des Geräts solche Höhepunkte umfaßt, ist das viele Geld für hochwertige Elektronik bzw. Optik gerechtfertigt. Nebenbei: Da in nicht wenigen Fällen der Ehe- oder Lebensparter die „Geldverschwendung“ für hochwertige Elektronik oder Optik mit Argwohn betrachtet oder gar mißbilligt, können solche Nutzungserfahrungen hier sehr zum Umdenken beitragen, wenn dieser Partner einbezogen wird. Das hat schon oft dazu geführt, daß der ursprüglich diesem Hobby ablehnend gegenüberstehende Partner plötzlich ganz begeistert mitzieht (und dann z.B. auch ein eigenes Fernglas haben möchte, was die Fernglashändler mit meinen Empfehlungen versöhnen könnte).
Also: Gründlich überlegen, pritisch prüfen, gut beraten lassen – und dann kaufen und nutzen, nutzen und wieder nutzen. Aber bitte auch dann noch zumindest ab und zu hier im Forum vorbeischauen. Wir wollen einander ja nicht aus den Augen verlieren.
Walter E. Schön