Ich finde eine Zweiglaslösung ist beim gemeinsamen Beobachten auf Dauer die einzig vernünftige. Dioptrienausgleich, Augenweite, Augenmuscheln und Fokussierung verstellen, womöglich auch noch den Riemen vom Hals nesteln, das alles raubt Zeit, in der ein interessantes Beobachtungsobjekt sich längst verabschiedet haben kann. Sich über die Beobachtung zu unterhalten geht auch schlecht. Ich favorisiere übrigens 10-fache Vergrößerung als Standard ebenso wie Sie, finde aber 20-fach freihand oft beeindruckender, weil ich damit Vögel im Flug, besonders Greifvögel, faszinierend gut beobachten kann.
Sie hatten optisch einen kleinen, aber doch wahrnehmbar besseren Abstand von ihrem Kowa zu teureren Vergleichsmodellen festgestellt, so hatte ich Sie verstanden. Das hätte mich interessiert, und darum hatte ich provozierend das kontrastierende Urteil von Herrn Schön weitergegeben, weil ich ihn für einen Kenner halte, dessen Qualitätsurteil Ernst zu nehmen ist, ohne dass ich es verabsolutieren würde, da haben Sie mich missverstanden. Und deshalb hatte ich darauf spekuliert, er könnte dieses Urteil vielleicht hier gegen Ihre Ansicht - in Sachen Preisgestaltung sogar gegen seine frühere eigene Ansicht - verteidigen oder kommentieren, er hat lange nichts von sich hören lassen.
Aus seinem optischen Urteil zu Ihrem Glas hatten Sie dann die Frage nach dem "weltbesten Fernglasspezi" abgeleitet, darum war es mir nirgendwo gegangen. Ich weiß nicht, ob Herr Schön auf so einen Titel scharf wäre. Aber interessant, soso, Herr Jülich hält mich für nachtragend und glaubt ich hätte Ressentiments :-) Warum? In der ein oder anderen prinzipiellen Frage eine andere Meinung zu vertreten und sich darüber ausgiebig auseinanderzusetzen, bedeutet doch eher im Gegenteil gegenseitige Anerkennung! Sonst würde keiner seine Zeit in einen intensiven Dialog stecken. Ich hatte immer den Eindruck, die Debatten wurden genau aus diesem Grund so heftig: aus dem Wunsch heraus, trotz Meinungsverschiedenheiten die Anerkennung der Gegenseite zu finden. Ich habe keine Ahnung, welche Fernglasexperten es sonst noch auf dem Globus gibt, aber Herr Schön zählt auch m. E. zur Riege der allerbesten, genügt diese Feststellung?
Für Tests sollte man m. E. Gläser möglichst eine ganze Zeitlang zur Verfügung haben, um sie in unterschiedlichen Situationen vergleichen zu können. Herr Schön ist sicher jemand, der so etwas mit seinem theoretischen und praktischen Wissen und seiner Erfahrung wie kaum ein anderer tun kann und das in aller Ausführlichkeit auch tut. Ich selbst kenne weder Ihr Kowa, noch sonst die aktuellen Spitzengläser aus eigener Erfahrung, schon gar nicht im direkten Vergleich, ich kann mir also gar kein eigenes Urteil darüber erlauben. Und genau deshalb finde ich das Qualitätsurteil von Herrn Schön immer interessant, wobei ich aber seinen perfektionistischen Eifer mit einer Mischung aus Bewunderung und einem gewissen Befremden betrachte:
Tests und Rangfolgen, das Bestreben stets das Beste zu finden, sind so eine Sache, die Rangfolge kann sich je nach Vergleichsaspekt oder Beobachtungssituation ändern, jeder kann bestimmte Aspekte anders gewichten, verschiedene Leute werden angesichts feiner Unterschiede zu anderen Ergebnissen kommen und am Ende ist eine individuelle Wahl wohl oft die bessere Wahl, als blind einer fremden Empfehlung oder haarspalterischen Ranglisten zu trauen. Herr Schön selbst weiß das zwar auch, und empfiehlt ebenfalls immer, sich rein persönlich und individuell zu entscheiden, und die Wahl dann abzuschließen. Er selbst scheint aber nur zeitweise so handeln zu können, ich habe den Eindruck, dass ihn seine fast obsessive Suche nach dem Allerbesten, das Sammeln, Vergleichen, Austauschen und Optimieren kaum loslässt, und ihm das vermutlich nicht nur bei Ferngläsern, sondern bei vielen technischen Dingen so gehen könnte.
Ich glaube, eine Suche nach dem heiligen Gral kann frustrierend werden. Vielleicht hat Herr Schön nicht umsonst, sondern aus Selbsterfahrung, oft geraten, ein bewährtes Modell zu behalten, statt auf den Nachfolger zu spekulieren, weil er zu gut um die geringe Bedeutung kleiner Unterschiede wußte – was ihn nicht davon abhielt, zugleich anderweitig dasselbe eigene Modell zu veräußern, wahrscheinlich um den Nachfolger anschaffen und testen zu können… Aber andererseits können natürlich gerade deshalb alle hier im Forum von Herrn Schöns leidenschaftlicher Gralsuche mehr oder weniger profitieren, denn dabei kommen oft interessante Aspekte zur Sprache und man wird angeregt tiefer nachzudenken. Man kann anhand seiner detailliert geschilderter Erfahrungen sogar seine eigenen Bedürfnisse genauer einzuschätzen lernen.
Herrn Schön gebührt dafür größte Anerkennung, meinetwegen auch in Form eines Champion-Titels. Vielleicht hat er aber bei all den Auseinandersetzungen hier zu wenig "Emotionsresonanz" gespürt, den gelegentlichen Spott oder Widerspruch, den er manchmal mit einem zur Anmaßung neigenden Ton selbst provoziert hat, als persönliche Anfeindung betrachtet, und zunehmend empfunden, seine Champion-Kenntnisse unter Wert zu verbreiten. Er hat sogar befürchtet, sie könnten bei einem Fernglasbuch gegen ihn verwendet worden sein und vielleicht - und hoffentlich - erklärt auch das sein Schweigen, denn sein immer wieder angekündigtes Buch wird sehnlich erwartet.
M.E. gehört übrigens auch Herr Jülich in die Liga der besten Kenner, er ist promovierter Astrophysiker, nicht zu vergessen, aber er hat andere Ambitionen. Seine Expertise scheint mir nicht auf Versuche ausgerichtet, für jeden Anwendungszweck das möglichst aktuell objektiv beste Gerät des Weltmarktes zu ermitteln, oder kleinste Änderungen im Angebot seismografisch zu registrieren. Er stellt sich der mindestens ebenso schwierigen Aufgabe, die Bedürfnisse der Interessenten herauszufinden und sie von einer langfristig praktikablen Lösung zu überzeugen, die sich nicht automatisch an den teuersten oder aktuell vermeintlich weltbesten Produkten eines Segments orientieren muß. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf Handferngläser, sondern Teleskope und Mikroskope, die eine weit weit anspruchsvollere technische Beratung und Kundenbetreung erfordern, gehören ebenso dazu. Allerdings rückt er sein großes Wissen nur in vergleichsweise kleinen Häppchen heraus, und agiert mit seinen Urteilen diplomatisch geschickter, wie es der Umgang mit seiner Zeit, den Kunden und den Menschen in seinem Unternehmen ja auch erfordert. Was ihm eine ganz andere und weniger sensible Form von Anerkennung bescheren dürfte.
Es wird halt sein wie mit all diesen Fragen nach dem Absoluten, Einzigen, Besten, Höchsten: sie werfen einen irgendwann auf sich selbst zurück, und dann spürt man, es könnte alles auch ganz anders sein, als man es sich wünscht oder vorstellt. Es könnte oft die falsche Frage sein. Selbst der christliche Monotheismus redet an Pfingsten von der Dreifaltigkeit…