Thesen eines Ketzers gegen vier verbreitete Irrtümer zum Thema Ferngläser
1. „Absolute Farbtreue muss sein !“
Gerade die Ornithologen insistieren häufig, ein Fernglas müsse die Farben so naturgetreu wie nur möglich wiedergeben. Je nach Farbnuance des Gefieders könne sonst u.U bei einzelnen Vogelarten nicht zwischen Männchen und Weibchen unterschieden werden. Daher sind FGs mit einer leichten Warmtönung wie z.B. die Meopta-Gläser (denen deswegen oft in gewaltiger Uebertreibung ein „Gelbstich“ attestiert wird – wer solches sagt, soll sich mal ein Swarovski Habicht 10x40 W aus den 70er und 80er Jahren anschauen ...) verpönt. Aus meiner Sicht völlig zu Unrecht; nicht nur gibt es je nach Situation gute Argumente für eine kontrasterhöhende Tönung (siehe entsprechende Passagen im „Merlitz“), die Ornithologen sollten endlich die physiologische Grundwahrheit zur Kenntnis nehmen, dass das Gehirn Farbunterschiede kompensieren kann – Stichwort „Farbkonstanz“ (siehe ebenfalls „Merlitz“). Sonst wären ja sinnvolle Beobachtungen bei wechselnder Bewölkung oder mal mit, mal ohne Sonne gar nicht denkbar.
2. „Die besten Geräte haben auch die beste Garantie !“
Falsch, ganz falsch. Leider !
Beispiel:
Leica wirbt mit „10 Jahre Garantie“.
Realität:
Leica Ultravid HD, ausgeliefert April 2014: Der Garantieschein sagt wörtlich:
„Herzlichen Glückwunsch ... erhalten Sie von der Leica Camera AG für 10 Jahre Garantieleistungen nach den nachstehenden Regelungen... Bei Beanstandungen, die auf Fabrikationsfehler beruhen, übernehmen wir während der gesamten Laufzeit der... Garantie SÄMTLICHE ANFALLENDEN MATERIALKOSTEN. WÄHREND DER ERSTEN FÜNF JAHRE ÜBERNEHMEN WIR ZUSÄTZLICH ALLE NOTWENDIGEN ARBEITSKOSTEN“ (Hervorhebung durch mich).
Wenn der unbedarfte Fernglaskäufer unter Garantie volkstümlicherweise versteht „Reparatur ohne Kostenfolge“, dann gibt Leica also eine Garantiezeit von 5 Jahren, und übernimmt zudem die Materialkosten – aber nicht die Reparaturkosten – für weitere fünf Jahre.
Nun kann man einwenden, Leica, so wie auch Zeiss und Swarovski, hätten erfahrungsgemäss einen sehr kulanten Service. Mag sein. Aber wenn’s drauf ankommt und die Geschäfts-Bilanz wieder mal ein bisschen angespannt ist (soll ja vorkommen ;-) dann kriege ich vielleicht genau das, was versprochen wurde, und keinen Deut mehr.
Bei Swarovski und Nikon sieht es genau gleich aus wie bei Leica: angepriesen wird „10 Jahre Garantie“, aber das gilt nur für die Materialkosten, Arbeit wird nur für 5 Jahre gedeckt.
Da lobe ich mir Zeiss: dort sind 10 Jahre = 10 Jahre, für Arbeit und Material (und noch mehr lobe ich mir natürlich Hersteller wie Kite oder Meopta, wo die Garantiezeit 30 Jahre beträgt...)
3. „Gewicht spielt (k)eine grosse Rolle !“
Glaube ich den Aussagen, die mir in Fachgeschäften gemacht werden, so wünscht sich ein Grossteil der FG-Käufer leichtere Ferngläser. Die Realität ist aber doch eigentlich so, dass die Ferngläser eher schwerer als leichter werden (aber trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen - bemühen sich die Hersteller, mit möglichst niedrigen (und teilweise schlichtweg gemogelt falschen) Gewichtsangeben aufzutrumpfen).
Die Entwicklung mahnt mich ein bisschen an die Automobilbranche: dort werden die Motoren laufend effizienter und verbrauchsgünstiger, aber ein grosser Teil der Einsparungen geht gleich wieder drauf für Leistungssteigerungen.
Warum war es vor 30 Jahren möglich, ein Trinovid 10x40 zu bauen, das punkto Robustheit den Vergleich mit heutigen Gläsern nicht zu scheuen braucht und dennoch nur 590 Gramm (inkl. Riemen) wog, während das neue Trinovid 10x42 (inkl. Riemen und Okulardeckel) über 900 Gramm auf die Waage bringt ?
Das führt zum nächsten Punkt:
4. „Gummi-Armierung ist unverzichtbar für den rauhen Einsatz draussen !“
Für mich eine klare Irrmeinung, wenn es um die Robustheit geht.
Mein Armee-Glas Kern 8x30, Baujahr laut Aufschrift 1968, hat nunmehr über 45 Jahre Einsätze im Dienst wie auch in der Freizeit hinter sich, wurde nie im Etui getragen, sondern immer am Riemen vor der Brust, oft angeschlagen, konnte nicht immer geschont werden, hat entsprechend heute Gebrauchsspuren, aber optisch und mechanisch ist das Glas in einwandfreiem Zustand.
Das Gleiche gilt übrigens für das unter 3. erwähnte Trinovid 10x40 (das ich ebenfalls oft - gegen die Vorschrift - im Dienst einsetzte).
Zudem sind Kern wie altes Trinovid nach einem Tageseinsatz im Dauerregen nach einer Nacht auf dem Pult am nächsten Morgen wieder völlig trocken (bei meinem Zeiss Victory FL 8x32 mit dicker Gummiarmierung muss ich mindestens einen halben Tag länger warten, bis letzte Feuchtigkeitsreste auch unter den Okularauszügen usw. verschwunden sind).
Ich gebe gerne zu, dass die Gummiarmierung andere Vorzüge hat (insbes. Geräuschdämmung), die ja nach Einsatzbereich von grossem Vorteil sein können. Aber wegen der Robustheit alleine bräuchte es den vielen Gummi nicht, und damit wäre auch bezüglich Gewicht wieder etwas gewonnen.
Feedback welcome ( welcome natürlich nur, wenn es meinen Thesen nicht widerspricht …)
;-)
Viele Grüsse.
Pinac