Die Formulierung „die Luft hält die Feuchtigkeit“ ist nicht ganz korrekt, obwohl ich glaube, mich zur Beschreibung mit einfachen Worten für bessere Verständlichkeit selbst in einem meiner Beiträge mal ao ausgedrückt zu haben.
Wenn sich Wasserdampf mit trockener Luft mischt, so finden stets gleichzeitig Verdunstung und Kondensation statt, nur daß sich die Reaktionsgeschwindigkeit in der einen wie in der anderen Richtung je nach Temperatur gegenläufig verändern: Bei niedriger Temperatur erfolgt das Kondensieren schneller und das Verdunsten langsamer, bei hoher Temperatur erfolgt das Kondensieren langsamer und das Verdunsten schneller. Der aktuelle Zustand einer dem Beobachter stationär erscheinenden relativen Luftfeuchte (konstanter Höhe) ist in Wirklichkeit das sich in einem dynamischer Prozeß je nach Temperatur unterschiedlich einstellende Gleichgewicht zwischen Kondensation und Verdunstung, also nicht viel anders als bei chemischen Reaktionen.
Dieses Gleichgewicht wird allerdings außer von der Temperatur auch vom Vorhandensein geeigneter Oberflächen, an denen Kondensation stattfinden kann, beeinflußt. In extrem sauberer Luft eines sehr großen Volumens, bei dem sich begrenzende Behälterflächen so weit entfernt befinden, daß sie zur Kondensation nicht zur Verfügung stehen, kann das z.B. bei starker Abkühlung der wasserdampfhaltigen Luft dazu führen, daß die Kondensation mangels Kondensationsflächen so stark gehemmt wird, daß es zu einer Übersättigung, also zu einem vielfach höheren Wasserdampfanteil als 100% rel. Feuchte kommt. Nicht nur die das Volumen begrenzenden Wände, sondern auch die relativ zu ihrem Volumen bzw. zu ihrer Masse großen Oberflächen kleinster Schwebeteilchen können Kondensationsflächen sein und werden dann Kondensationskerne genannt. Wenn nun plötzlich Kondensationskerne in die übersättigte Luft eingebracht werden oder sich anderweitig bilden (z.B. durch Ionisation), kommt es zu einer sehr plötzlichen, sozusagen schlagartigen Kondensation. Ein solches Beispiel sind die „Kondensstreifen“ zur Sichtbarmachung der je nach elektrischer Ladung und Geschwindigkeit in einem Magnetfeld unterschiedlich gekrümmten Bahnen von Elementarteilchen, die in übersättigte Luft einer „Nebelkammer“ geschossen werden.
Walter E. Schön